Archiv für Juli 6th, 2016

Bild.de befördert Edward Snowden zum Russen-Spion

Neben unverpixelten Opferfotos hat Bild.de-Chef Julian Reichelt eine zweite große Leidenschaft: Mit Hingabe kämpft er für die Theorie, dass Edward Snowden auf seiner Flucht vor der NSA nie ein anderes Ziel als Russland hatte und dass er nun ein russischer Spion ist.

Am vergangenen Samstag war es dann soweit:

Das klingt doch mal so, als hätte Bild.de den ultimativen Beweis gefunden. Autor des Artikels ist John R. Schindler*, Reichelts Mann für groben Unfug fürs Grobe. Schindler* ist laut Bild.de “Sicherheitsberater und früherer Geheimdienst-Analyst und Offizier für Gegenspionage”, vor einiger Zeit präsentierte ihn das Portal auch als “ehemaligen Beamten der NSA-Spionageabwehr”. Bei Bild.de trifft man ihn nur mit Sternchen am Namen und Erklärtext zu seinen Positionen an.

Schindler* darf sich auf Reichelts Portal immer wieder austoben, mal mit einer Psychoanalyse “des Orlando-Killers”, mal mit Vermutungen zu russischen Hooligans bei der Fußball-EM. Und immer wieder mit Beiträgen über Edward Snowden. Die Taktik hinter Schindler*s Anti-Snowden-Texten scheint zu sein: Den Whistleblower als Verbrecher und Überläufer zu diskreditieren, um dadurch auch seine Enthüllungen über die US-Geheimdienste zu diskreditieren.

Da passte ein vierminütiges Radiostück aus den USA perfekt in seine Agenda. Die Journalistin Mary Louise Kelly hat darin unter anderem mit Franz Klintsevich gesprochen, den sie als “equivalent of a senator here in Russia and deputy chairman of the powerful defense and security committee” einführt. Ein “bemerkenswertes Interview”, wie Schindler* schreibt:

In einem bemerkenswerten Interview von dieser Woche erklärte Franz Klintsevich — ein hochrangiger russischer Sicherheitsbeamter — ganz nüchtern: “Seien wir ehrlich. Snowden hat Geheiminformationen weitergegeben. Dafür sind Sicherheitsdienste ja da. Wenn es eine Möglichkeit gibt, an Informationen zu gelangen, dann werden sie es auch tun.”

Das ist der endgültige Beweis (“Jetzt gibt es endlich Fakten!”) für John R. Schindler* und Reichelts Bild.de: die Aussage Das wurde schon immer so gemacht. Das wird auch beim Snowden so gemacht worden sein. Schindler* erklärt einen Mann, den er in die Nähe des russischen Militärnachrichtendienstes rückt und der nach seiner und Julian Reichelts Logik damit so gar nicht als Zeuge taugt, zum Kronzeugen seiner Der-Snowden-ist-doch-ein-oller-Russen-Spion-Theorie.

Klintsevich war es, der 2012 Geld sammeln und davon Adolf Hitlers Geburtshaus kaufen wollte, um es dann direkt abreißen zu lassen. Und Klintsevich war es auch, der vor Kurzem forderte, Russland solle den kommenden Eurovision Song Contest boykottieren, weil in diesem Jahr die Ukraine “nur aus politischen Gründen gewonnen” habe.

Und so hat “Spiegel”-Korrespondent Benjamin Bidder auch eine ziemlich klare Meinung zu Franz Klintsevich:

Ob nun Wirrkopf oder nicht — was Franz Klintsevich offenbar nicht “gesteht”, jedenfalls wird er von Mary Louise Kelly nirgendwo so zitiert: Dass Edward Snowden “ein Russen-Agent” ist. Und auch der Kreml gibt nichts zu. Doch was interessiert das Bild.de bei der Jagd nach Klicks?

Und auch im Text heißt es eindeutig:

Nun hat der Kreml die Frage ein für allemal geklärt, indem er verlautbaren ließ, Edward Snowden arbeite in der Tat für ihn.

Ob Edward Snowden ein russischer Spion ist? Keine Ahnung.

Ob Edward Snowden irgendeinem der russischen Geheimdienste irgendetwas verraten hat? Keine Ahnung.

Ob John R. Schindler* und Bild.de hier unsauber arbeiten und Zitate zu Fakten verbiegen? Ganz sicher.

Mit Dank an Michael G., Martin und @mausraster!

Verabschiedet, Versendet, Verschlankt

1. Die Journalismus-Krise ist eine Krise seiner Umwelt
(carta.info, Christoph Kappes)
Was da unter der Überschrift “Gedanken zu Vertrauensverlust, Qualität, Unabhängigkeit und möglichen Entwicklungsrichtungen.” daherkommt, ist nichts weniger als eine umfassende Standortbestimmung des jetzigen Journalismus. Kein Text zum schnellen Überfliegen, sondern eine gründliche Analyse mit dem Potential eine, nein viele Debatten über die Zukunft des Journalismus anzustoßen.

2. Ich mag einfach nicht mehr
(taz.de, Silke Burmester)
Silke Burmester schreibt seit 20 Jahren für die “taz”, sieben Jahre davon als das Mediengeschehen kommentierende “Kriegsreporterin”. Nun beendet sie ihre Kolumnentätigkeit bei der “taz” und verabschiedet sich mit einem letzten Brief. Nicht ohne nochmal verärgert festzustellen, “Dass es nicht zum Selbstverständnis von Journalisten gehört, sich mit Kollegen anzulegen. Und schon gar nicht mit den Bossen. Wir sind eine Branche der Schisser und Anpasser, die zwar groß darin ist, Fehler bei anderen zu suchen, aber sich heulend in der Ecke verkriecht, wenn sie ihre Arbeitsbedingungen benennen soll.”

3. BND darf ausländische Journalisten überwachen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Übermorgen wird im Bundestag ein Gesetzentwurf beraten, der dem Bundesnachrichtendienst gestattet, ausländische Journalisten zu überwachen. Ein Skandal wie der Geschäftsführer der “Reporter ohne Grenzen” findet: “Bisher findet sich in jedem deutschen Überwachungsgesetz eine Ausnahmeregel für Journalisten. Im neuen BND-Gesetz aber ist an keiner einzigen Stelle ein Hinweis darauf zu finden, dass Journalisten nicht ausgespäht werden dürfen. Besonders Journalisten aus Nicht-EU-Ländern geraten damit in das Visier des Nachrichtendienstes. Offenbar betrachtet die Bundesregierung Pressefreiheit als ein deutsches Exklusivrecht, um das sie sich im Ausland nicht zu scheren braucht”

4. Warum meiner Meinung nach aus Sender nichts wurde
(medium.com, Lorenz Matzat)
“Wir gründen einen Sender, den ersten genossenschaftlichen Sender in Deutschland.” Mit diesem ersten Tweet wurde Mitte Januar 2015 ein hoffnungsvolles Projekt angekündigt, das jedoch nicht umgesetzt wurde. Einer der Mitgründer spricht nun über die Gründe: “Woran ist das Ganze gescheitert? Letztlich daran, dass wir uns nicht getraut haben, zu „springen“. Also wirklich zu starten. Ursächlich dürfte dafür gewesen sein, dass wir als Team nicht in der Lage waren, unsere Vision auf einen Nenner zu bringen. Sie blieb zu diffus.”

5. Für das dicke Ende sorgt die Welt.
(fettlogik.wordpress.com, Nadja Hermann)
Comic-Bloggerin Nadja Hermann („erzaehlmirnix“) betreibt mit “Fettlogik” eine Seite, auf der sie sich mit dem Thema Übergewicht auseinandersetzt. Wiederholt hat sie sich über Artikel der “Welt” geärgert, aktuell erregt der Beitrag “Kampf den Kilos: Warum Diäten uns immer dicker und dicker machen” ihren Unmut. Nadja Hermann seziert die Aussagen des Beitrags und ätzt zum Ende: “Wirklich schade, dass ich diesen Artikel nicht vor drei Jahren gelesen habe, dann hätte ich rechtzeitig gewusst, dass weniger essen leider nicht funktionieren wird, um von meinen 150 kg wegzukommen. Hilfreiche Artikel wie dieser hätten mich vielleicht davor bewahrt, zu glauben, ich könnte etwas gegen mein Übergewicht tun.”

6. Charaktermerkmal Doppel-F: Anime hat ein echtes Frauenproblem
(broadly.vice.com, Natalie Meinert)
Natalie Meinert schreibt über die Sexualisierung der weiblichen Figuren in Animes. Diese sei seit den 70er Jahren angestiegen, besonders rapide jedoch in den 90ern, als Anime sowohl in Japan als auch den westlichen Ländern immer populärer wurde. Ob das auch der westlichen Begeisterung für die Kulturform angelastet werden könne, ließe sich nicht klar sagen. Meinert über die auf RTL2 und Co. laufenden Mainstream-Animes: “Den Zuschauer beschleicht das ungute Gefühl, sich zweidimensionalen Frauen mit sozialen Werten aus den 50ern gegenüberzusehen.”