Archiv für Mai 9th, 2016

Sechs Fäuste für ein Halleluja

Die neue Ausgabe von “Compact” ist da. Und wie jeden Monat beglückwünschen sich “Compact”-Chef Jürgen Elsässer, Redakteur Marc Dassen und CvD Martin-Müller Mertens auf Youtube gegenseitig zum neuen Heft.

Traditionell geht es dabei zuerst um das wahnsinnig originelle Titelblatt. Dassen meint, das Cover der Mai-Ausgabe zeige “sozusagen eine Christin und ihr sanftes Antlitz sozusagen, ihre Frömmigkeit”, worauf sein Chef Elsässer ergänzt: “Ihre Wehrlosigkeit auch.”

Eine sanfte, fromme, wehrlose Christin also:

Gut, ganz so sanft und wehrlos scheint die Dame allerdings doch nicht zu sein, wenn man sich mal dieses Foto von ihr anschaut:

Und fromm? Nun ja:

Wir wissen nicht, ob die Coverfrau tatsächlich gläubige Christin ist, wie die Redakteure suggerieren. Zweifelsohne aber ist sie ein Modell für Stockfotos, also für relativ günstig zu lizenzierende Fotografien, die auf Vorrat produziert werden. In besonderem Maße authentisch, wie man das von einem Magazin mit dem Slogan “Mut zur Wahrheit” vielleicht annehmen könnte, ist das Bild jedenfalls nicht.

Aber schlechte Titelbilder sind kein Alleinstellungsmerkmal, also genug der Oberflächlichkeiten. Was liefert die Mai-Ausgabe von “Compact” inhaltlich?

Es geht um Christenverfolgung. Genauer gesagt: um die “neue” Christenverfolgung. Wir hatten schon vor zwei Monaten darauf hingewiesen, dass das Thema keineswegs so neu ist, wie “Compact”-Lesern glauben gemacht wird, und eher zu den Dauerbrennern der von dem Magazin so betitelten “Lügenmedien” gehört.

Nun meint Marc Dassen, Christen würden nicht mehr nur in Syrien verfolgt werden, denn:

Das gleiche sehen wir jetzt auch immer wieder, wenn wir die Medien verfolgen, zum Beispiel in den Flüchtlingsunterkünften, wo also Christen eine Minderheit sind, die sehr stark unter Beschuss ist.

Dass er das Thema selbst aus den Medien kennt, hindert ihn nicht daran, einige Sätze später zu behaupten, man habe “in den Massenmedien nicht so richtig viel darüber gelesen und gehört.” Ein außerordentlicher Fall von selektiver Wahrnehmung.

Die Wortwahl seines Chefredakteurs Jürgen Elsässer ist eindeutiger:

Die Monopolpresse spricht ja immer über die Islamophobie, dass die Muslime verfolgt werden, aber dass unsere hauptsächliche Glaubensrichtung, das Christentum, auch so stark unter Druck steht, wie wahrscheinlich noch nie in der Geschichte seit dem Mittelalter, das wird natürlich ausgeblendet vom Mainstream.

Was Elsässer ausblendet, wird klar, wenn man sich noch einmal sein offenbar etwas angestaubtes Schulwissen bewusst macht: Das Ende des Mittelalters markiert Luthers Reformation, in Folge derer sich Christen unterschiedlicher Konfession in Europa etwa 200 Jahre lang gegenseitig verfolgten und ermordeten, bis sich mit der Aufklärung langsam die Idee religiöser Toleranz durchsetzte. Elsässer setzt die heutige Situation mit dem Dreißigjährigen Krieg gleich, der verschiedenen Schätzungen zufolge zwischen drei und elf Millionen Todesopfer forderte.

Die Zahlen für eine solche irre Behauptung soll Martin Müller-Mertens und Federico Bischoffs Titelgeschichte liefern. Darin zählen sie zunächst islamistische Terrorakte rund um Ostern auf, darunter die Falschmeldung, dass ein katholischer Priester im Jemen am Karfreitag gekreuzigt worden sei.

Dann sollen Daten den Ernst der Lage untermauern. Jeder zehnte Christ lebe “in Angst vor Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung” soll der Wiener Präsident der katholischen Organisation “Pro Oriente” “offenbart” haben. Mal abgesehen davon, dass nicht nachvollziehbar ist, wie er zu dieser Zahl kommt: Diskriminierung und Ermordung sind derart unterschiedliche Dinge, dass sie getrennt gezählt werden müssten. Wenn Menschen in Angst vor etwas leben, sagt das auch wenig über die reale Bedrohung aus — man könnte sich etwa fürchten, weil man den “Compact”-Artikel zu ernst nimmt, deshalb wird man noch lange nicht tatsächlich verfolgt.

Weiter werden Zahlen des evangelikalen Hilfswerks “Open Doors” genannt — die sowohl von der evangelischen als auch der katholischen Kirche als unseriös abgelehnt werden, weil sie nicht überprüfbar sind. Der hinsichtlich heimlichen Sympathien mit Islamisten eher unverdächtige Leiter der Auslandsredaktion der Katholischen Nachrichtenagentur, Alexander Brüggemann, hat vor einem halben Jahr in einem Gastbeitrag für die “Zeit” erklärt, was die Zahlen bedeuten, und kam zu folgendem Schluss:

Die statistische Erfassung des Phänomens ist extrem schwierig.

Selbst die “Compact”-Autoren landen schließlich selbst bei viel kleineren Opferzahlen. 130.000 bis 170.000 christliche “Märtyrer” sollen es laut der Studie “The Price of Freedom Denied” pro Jahr sein. “Zahlen, die kein Gehör in der Öffentlichkeit finden”, meinen Müller-Mertens und Bischoff. Zahlen, die sie vermutlich aus der Wikipedia oder dem dort zitierten Artikel aus der “Weltwoche” haben.

Diese letztgenannten Daten kursieren tatsächlich relativ weit. Problematisch sind sie trotzdem. Der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher, hat sich für die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte mit der Zahl beschäftigt:

Es fällt mir schwer, diese Zahl wegen ihrer weiten Verbreitung zu kritisieren, zumal sie von seriösen Forschern und guten Freunden kommt. Aber als Wissenschaftler habe ich solche Zahlen zu oft vor säkularen Kollegen, Politikern weltweit, dem Deutschen Bundestag oder dem Europäischen Parlament und natürlich Journalisten zu verantworten, als dass unser Institut (das International Institute for Religious Freedom) sie einfach nur übernehmen könnte.

Außerdem wurden sie aus dem Kontext gerissen. Die Autoren von “The Price of Freedom Denied”, die sich das aufgeladene Wort “Märtyrer” nicht zueigen machen, zitieren nämlich wiederum selbst nur ihre Quelle, das päpstliche Missionswerk “Kirche in Not”. Zudem argumentieren sie in ihrer Studie genau umgekehrt zu Compact:

Grim and Finke argue that it is not religious identity itself that is the force behind much religious conflict, but legal and social restriction of religious freedom. They argue that it is in the most pluralistic and religiously liberal societies that levels of persecution are at their lowest, not in the cultural monopolies of Huntington’s theory.

Die Einschränkung der Religionsfreiheit stehe hinter religiösen Konflikten. Ein Ergebnis, das bei Compact kein Gehör findet.

Dort suggeriert man lieber, dass einzelne Vorfälle der letzten fünf Jahre, über die beispielsweise in der “Welt” berichtet wurde, Zeichen für eine breite Christenverfolgung seien. Bald könnte es in Europa zugehen wie im Islamischen Staat, so der Tenor.

Ein weiterer Artikel in der aktuellen “Compact”-Ausgabe beschuldigt Papst Franziskus, sich den “Terroristen und Islamisten” zu unterwerfen. Denn:

So ergriff Papst Franziskus – ausgerechnet am Gründonnerstag, ausgerechnet zwei Tage nach dem Blutbad in Brüssel – die Gelegenheit, in einem Asylheim bei Castelnuovo di Porto einem Dutzend Asylbewerbern in einer pompösen Zeremonie zuerst die Füße zu waschen und diese dann zu küssen.

Es seien “solche Unterwerfungsgesten”, schreibt der Autor, “die das Christentum wehrlos machen. Wenn die eigenen Werte für wichtig und richtig gehalten werden, dürfen sie nicht auf dem Altar einer falsch verstandenen Liberalität geopfert werden.” In der Bildunterschrift heißt es:

Unterwerfungsgeste: Papst Franziskus wäscht und küsst muslimischen Flüchtlingen die Füße

Dass es durchaus christliche Flüchtlinge sein könnten — an der Fußwaschung nahmen nämlich auch Katholiken aus Nigeria teil — erwähnt “Compact” freilich nicht (deutet aber immerhin im Artikel an, dass es nicht ausschließlich Muslime waren: “Unter den auf diese Weise verwöhnten waren auch vier Muslime”).

Denn, so viel sollte klar geworden sein, für “Compact” ist die von den Mainstreammedien angeblich verschwiegene Christenverfolgung bloß ein weiterer Vorwand, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren.

Der Rest des Titelthema-Abschnitts besteht dementsprechend aus Warnungen vor dem Islamismus, stets unter der Prämisse, vor diesem würde noch nicht genug gewarnt oder er sei sogar insgeheim gewollt. Auch ein Vorabdruck von Akif Pirinçcis neuesten Ausfällen soll etwas zum Thema beitragen.

Wir wissen nicht, wie es die “Compact”-Redakteure selbst mit der Religion halten. Sollte jedoch im Paradies eine ähnlich strenge Grenzpolitik herrschen, wie das Blatt sie für Europa propagiert, könnte sich die Einreise der Redaktion aufgrund von Verstößen gegen das achte Gebot erheblich verzögern.

BILDipedia, Whistleblowerleid, Werbesprechstunde

1. Plickbaiting mit BILD
(hogymag.wordpress.com, almasala)
“Hogymag” ist ein “Bild”-Beitrag aufgefallen, der im Wesentlichen aus wörtlichen oder umgepfriemelten Übernahmen aus der Wikipedia bestehe. Es handele sich um eine Kombination von Plagiat mit Clickbaiting (“Plickbaiting”). Die Vorgehensweise der “Bild”-Plickbaiter stelle sich wie folgt dar: “Erwecke Neugier mit lahmer Überschrift a la Einsamer Tod hinter grünen Mauern in Chile. Plagiiere den Hauptteil des Artikels. Verfasse einen Manteltext um den Hauptteil. Überlade den Artikel mit vielen Bildern und Verweisen zu anderen BILD-Artikeln.”

2. Fünf Jahre Haft für “Cumhuriyet”-Journalisten
(sueddeutsche.de, Mike Szymanski)
Was befürchtet wurde, ist traurige Realität geworden: In der Türkei wurden die regierungskritischen Journalisten Dündar und Gül am Freitagabend zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Journalisten hatten über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Islamisten in Syrien berichtet. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte darauf persönlich Anzeige erstattet und trat im Prozess als Nebenkläger auf. Kurz vor Verkündung des Urteils kam es zu einem Attentatsversuch auf Dündar, der jedoch unverletzt blieb (ein Berichterstatter erlitt einen Streifschuss).

3. Enthüller im Visier
(taz.de, René Martens)
Der Regisseur Daniel Harrich hat für seine Recherchen zu illegalen Waffenexporten vor wenigen Wochen einen Grimme-Preis erhalten. Seine Arbeit, und die seines Teams, hatte dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen gegen sechs frühere Verantwortliche der Rüstungsfirma Heckler & Koch einleitete. Nun wird bekannt, dass die Staatsanwaltschaft auch gegen ihn ermittelt, wegen der widerrechtlichen Veröffentlichung von Dokumenten gemäß §353d StGB. “Taz”-Autor Martens kommentiert: “Folgt man der Logik des Paragrafen, hätten die ARD-Journalisten mit der Verwendung des selbst beschafften Materials warten müssen, bis die Staatsanwaltschaft in die Gänge kommt. Die brauchte fünfeinhalb Jahre, ehe sie Anklage erhob.”

4. Gemartert
(tagesanzeiger.ch, Michèle Binswanger)
Die berühmte Whistleblowerin Chelsea Manning (ehemals Bradley Manning) beschreibt für den “Guardian” die Folter der Isolationshaft. Manning hatte hunderttausende von Geheimdokumenten kopiert und an Wikileaks übergeben und wurde dafür zu 35 Jahren Haft verurteilt. 11 Monate musste sie in Isolationshaft verbringen und dabei Torturen über sich ergehen lassen, die von Amnesty International und dem UNO-Beauftragten für Folter stark kritisiert wurden. Manning sagt dazu: “Es ist eine Folter ohne Berührung. Wir sollten sie nicht weiterführen.”

5. Bumsti & die Lügenpresse
(noemix.twoday.net)
Blogger “Nömix” ärgert sich: Alle Jahre wieder werde vom Bundeskriminalamt Österreichs eine aktuelle Kriminalstatistik veröffentlicht, und alle Jahre wieder werde in Österreichs “auflagenzweitstärkster Gratis-Volksinformationspostille der altbekannte Lügenscheiß” berichtet. Während die Kriminalitätstatistik einen Rückgang verzeichne, mache das Kostenlosblatt “Österreich” mit “Kriminalität stark gestiegen – Österreich wird immer gefährlicher” auf.

6. Berits Werbesprechstunde
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Boris Rosenkranz von “Übermedien” erklärt in dreieinhalb vergnüglichen Minuten, was es mit der Sendung “Meine Gesundheit” auf RTL auf sich hat.