Archiv für September 15th, 2015

In nur vier Stunden vom Obdachlosen zum Perser

Helge Schneider hat für seine Zivilcourage mal ordentlich Prügel kassiert. Das hat er vergangenen Woche in einem Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” (mit Bezahlschranke) erzählt:

Aber viele Künstler sind sehr verliebt in die Regel: Die Politik ist hilflos, wir müssen jetzt ran.

Wenn einem etwas direkt im Alltag begegnet, muss man schon ran. Das nennt man Zivilcourage, hab’ ich auch schon mal gemacht.

Was war passiert?

Das waren zwei Typen, die wollten einen Perser verkloppen. Da bin ich dazwischengegangen. Der konnte wegrennen. Dann hab’ ich das abgekriegt.

Wurden Sie verletzt?

Es hielt sich im Rahmen. Ich hatte den Kiefer angebrochen. […]

Schneider, Schlägerei, angebrochener Kiefer — klar, dass das auch andere Medien aufgreifen. Zum Beispiel “Spiegel Online”

… oder stern.de

… oder welt.de:

Und auch “Focus Online”. Doch dort klingt die Geschichte schon in der Überschrift etwas anders:

Und Helge Schneider erzählt auf einmal eine ganz neue Version des Vorfalls:

“Das waren zwei Typen, die wollten einen Penner verkloppen. Da bin ich dazwischengegangen”, erzählte der Komiker und Musiker der “Süddeutschen Zeitung” vom Samstag.

Bei morgenpost.de ist ebenfalls von einem “Penner” die Rede.

Der Protagonistenwechsel dürfte durch eine fehlerhafte dpa-Meldung entstanden sein. Die Nachrichtenagentur hatte am Samstagmittag den “Penner” ins Spiel gebracht und erst vier Stunden später eine Korrektur verschickt, mit dem Hinweis: “Berichtigung: Wort im zweiten Satz berichtigt”.

Das interessierte offenbar weder “Focus Online” noch morgenpost.de: Ihre falschen Artikel veröffentlichten beide Redaktionen erst, als die dpa-Korrektur schon Stunden raus war.

Dass ein Medium durchaus auf Agentur-Berichtigungen reagieren — und das auch noch der Leserschaft transparent präsentieren — kann, beweist diepresse.com:

Anmerkung der Redaktion: Quelle dieses Artikels ist die Nachrichtenagentur DPA. Diese hat in einer ersten Meldung von einem “Penner” geschrieben, später allerdings auf “Perser” korrigiert. Wir bedauern den Irrtum.

Mit Dank an Hansi!

Kritik-Klau, Erdogan-Selfie, richtige Verschleierung

1. Krone.at klaut komplette „Stadl“-Kritik
(horizont.at, Timo Niemeier)
Hans Hoff musste sich am Wochenende die ARD-“Stadlshow” angucken und bei “DWDL” drüber schreiben. Schon schlimm genug. Doch dann hat Krone.at seinen Text komplett kopiert, um 900 Zeichen gekürzt und selbst veröffentlicht — ohne bei Hoff nachzufragen. Dafür habe man keine Zeit gehabt, sagt der Krone-Multimedia-Leiter. “DWDL”-Chef Thomas Lückerath dazu: “So dreist hat noch niemand DWDL-Artikel geklaut”.

2. Umstrittenes Titelbild: Polizei durchsucht Redaktion wegen Erdogan-Selfie
(spiegel.de, Hasnain Kazim)
Die türkische Zeitschrift “Nokta”, ein regierungskritisches Politmagazin, spottete auf seinem Cover mit einer Fotomontage über Staatschef Erdogan. Der lässt prompt die Redaktion durchsuchen und stoppt die Auslieferung der Ausgabe. Der Vorwurf: “Beleidigung des Präsidenten” sowie “Verbreitung von Propaganda für eine Terrororganisation”.

3. Urteil: Wegen falschem Germanwings-Co-Pilot auf Cover verurteilt
(tagesanzeiger.ch)
Die Boulevardzeitung “Österreich” hatte nach dem Absturz der Germanwings-Maschine im März ein unverpixeltes Foto des vermeintlichen Co-Piloten gedruckt. Nur: Es zeigte gar nicht ihn, sondern einen Deutschen, der in Bern lebt. Jetzt muss “Österreich” zahlen: 7500 Euro “wegen übler Nachrede, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und der Verletzung der Unschuldsvermutung”. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

4. Textsushi für die Generation YouTube
(taz.de, Adrian Schulz)
Mit “Ze.tt”, “Bento” und “BYou” haben “Zeit Online”, “Spiegel Online” und “Bild” kürzlich neue Jugendportale gestartet. Die “taz” lässt die Zielgruppe zu Wort kommen. Der 18-jährige Adrian Schulz ist wenig begeistert: “Vermutlich hecken Portale wie ‘Ze.tt’ und ‘Bento’ hüftsteife alte Herren aus, mittelalte Berufsjugendliche, zeitlose Junggebliebenseinwollende oder nie wirklich jung Gewesene.”

5. NZZ a.S. fordert Aussenpolitik in Militärstiefeln
(infosperber.ch, Jürgmeier)
Der Chef der “NZZ am Sonntag” glaubt, dass die Lösung der Flüchtlingskrise in den Herkunftsländern “einen Einsatz militärischer Mittel erfordern” würde. Jetzt schreibt ihm Jürgmeier einen Leserbrief: “Wer Verhandeln & Diplomatie als ‘Verschweizerung’ klein redet und derart lächerlich macht, darf sich nicht wundern, wenn seine (womöglich sensibel-verzweifelte) Rede Kriegstreiberei genannt wird.”

6. Dies ist keine Burka
(kleinerdrei.org, Miriam)
“Es gibt zehntausend Dinge, die mich an der deutschen Kopftuchdebatte nerven, und eines davon ist, dass die Leute keine Ahnung davon haben, was eine Burka ist und was nicht.” Eine wertvolle Hilfestellung, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten.