Archiv für März, 2013

Gift-Mais, Gruppensex, Gier

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Faszination des Deckels”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Wie deutsche Medien die von den Schweizer Stimmbürgern angenommene Volksinitiative “gegen die Abzockerei”, eine Stärkung der Aktionärsrechte, als “Gesetz gegen Gier” darstellen.

2. “Der schärfste Special Effect, den das Schreiben zu bieten hat”
(blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Ein guter Vergleich, schreibt Constantin Seibt, brauche als Rohmaterial “Verblüffung und präzise Beobachtung”: “Das entspricht ziemlich genau dem Blick eines Kindes. Und Kinder sind manchmal grausame Wesen.”

3. “A Day in the Life of a Freelance Journalist—2013”
(natethayer.wordpress.com, englisch)
Ein E-Mail-Wechsel zwischen einem freien Journalisten und der Redaktion von “The Atlantic”: “Maybe by the end of the week? 1,200 words? We unfortunately can’t pay you for it, but we do reach 13 million readers a month.”

4. “Futtermittelskandal: Der Skandal ist der Skandal selbst”
(novo-argumente.com, Georg Keckl)
“Noch zu keiner Zeit in der Geschichte gab es so wenig pilzbelastetes Getreide wie heute”, schreibt Agraringenieur Georg Keckl zu aktuellen Meldungen über “Gift-Mais”. Das eigentliche Problem sei “die öffentliche Skandalisierung”.

5. “Chronologie einer Berichtigung”
(hossli.com)
Mit Hartnäckigkeit bringt ein Twitterer die NZZ zu einer Berichtigung.

6. “Neue Episode im Gruppensex-Mem”
(gefaelltmir.sueddeutsche.de)
Die Quelle eines im Internet kursierenden Zeitungsausschnitts ist gefunden. Die Nachricht “Gruppensex am Mittag kein Kündigungsgrund” erschien am 10. Dezember 1982 im Lokalteil der “Süddeutschen Zeitung”. Siehe dazu auch die Texte “Nicht lustig” und “Skandal aus einer anderen Zeit”.

Übergriffe, Drachen, SWR3-Topthema

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wenn Politiker übergriffig werden”
(welchering.de)
Journalist Peter Welchering berichtet nach Recherchen über die Verwendung von Steuergeldern von Übergriffen durch Politiker: “Vollends irritiert hat mich, dass die vier Kollegen, die ähnliche Erfahrungen mit übergriffigen CDU-Politikern gemacht haben wie ich, von diesen Amtsträgern mit Bananenrepublikverständnis so eingeschüchtert waren, dass sie dringend um Anonymität gebeten haben.”

2. “SWR3 Flopthema – Mein Topthema”
(thorstenreimnitz.blogspot.de)
Thorsten Reimnitz kritisiert das “SWR3-Topthema”: “Ich will keine Phrasen (‘blühender Blödsinn’, ‘Neiddebatte’) oder gar Beleidigungen (‘Lügenbaron’) hören, ich will Argumente. Und eine Meinung will ich mir selber bilden, ansonsten kann ich auch eine Boulevardzeitung lesen.”

3. “In eigener Sache: Der Heise Zeitschriften Verlag und das Leistungsschutzrecht”
(heise.de)
Zum vom Bundestag letzte Woche verabschiedeten Leistungsschutzrecht für Presseverleger erklärt der Heise Zeitschriften Verlag: “Die Freiheit der Berichterstattung, der Verlinkung und des Zitierens, wer immer sie auch in Anspruch nimmt, darf keinesfalls gefährdet werden. Oder, um es allgemeiner zu formulieren: Wir akzeptieren keine Einschränkungen der Freiheiten und Möglichkeiten des Internet.”

4. “Ich blogge jetzt 8 Jahre und wollte euch was sagen”
(stadt-bremerhaven.de, Caschy)
Caschy bloggt “seit Jahren so 12 – 14 Stunden am Tag”: “Wie sich dieses Blog mit mir finanziert? Es gibt hier keine Schleichwerbung.”

5. “Die Finanzkrise im Spiegel der Medien”
(nzz.ch, Helena Hamann und Stephan Russ-Mohl)
Eine Gruppe von Forschern untersucht die Medien während der Finanzkrise: “Überraschend war für die Forscher, dass in den Nachrichten zwar von staatlichen Eingriffen berichtet und ihr Nutzen diskutiert worden sei, die Medien jedoch die Einmischung des Staates generell nicht mehr in Frage gestellt hätten. Auch die redaktionellen Linien der untersuchten Medien hätten ihre Gesamtberichterstattung nicht beeinflusst. ”

6. “#6 Chinabildblog: Medien machen Angst”
(doppelpod.com)
China als Drache auf den Titelseiten von “Spiegel” und “Focus”: “Ist das den Korrespondenten denn nicht langsam peinlich, für Magazine zu arbeiten, die mit ihrer Bildersprache da weiter machen, wo Wilhelm II mit seiner Hunnenrede aufgehört hat? Merken die denn gar nicht, dass sie mit diesen Bildern den Verdacht vieler Chinesen, westliche Medien würden anti-chinesische Propaganda betreiben, immer weiter erhärten?”

Apropos Trash

Da absolviert man eine langjährige journalistische Ausbildung, um dann auf der Internetseite des “Handelsblatts” eine Bildergalerie mit dem Titel “Das sind die schlimmsten Trash-Sendungen” (“Anlass”: Der Sendestart von RTL 2 vor 20 Jahren) zusammenzustellen. Das wünscht man tatsächlich niemandem.

Andererseits hätte das routinierte Abfrühstücken vermeintlich minderwertiger TV-Ware von “Big Brother” über “Frauentausch” bis hin zu “Toto & Harry” dann doch ein bisschen gewissenhafter ausfallen können:

Wer? Nie gehört! Prominente, die eigentlich keine sind, sich aber so schimpfen, kochen füreinander und müssen sich gegenseitig bewerten. Das ist "Das perfekte Promi-Dinner" auf dem Nischensender Vox. Die einzelnen Folgen dauern brutto zweieinhalb Stunden. Für eine Kochsendung im deutschen Fernsehen ist das Rekord.

Nun ist es ja wirklich nicht so, dass all die Kandidaten, die sich “Prominente” “schimpfen”, immer auch einem größeren Publikum bekannt sind. Aber wenn die Redakteure vom “Handelsblatt” keinen der Abgebildeten kennen, könnte das natürlich auch daran liegen, dass es sich nicht um ein Szenenbild aus “Das perfekte Promi-Dinner” (vier Kandidaten pro Sendung) handelt, sondern um eines der in jedem Fall Promi-freien Sendung “Das perfekte Dinner” (fünf Kandidaten pro Sendewoche).

Es geht aber noch trauriger:

Wenn es um Trash-TV geht, darf natürlich "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" nicht fehlen. Moderiert wurde die RTL-Sendung unter anderem von Dirk Bach, der im letzten Jahr verstorben ist. Co-Moderatorin Sonja Zietlow führt seitdem mit Daniel Hartwig "das Erbe" weiter. Das Grundkonzept der Sendung ist Schadenfreude, gespickt mit ekelerregenden Strafen. Zuschauer rufen für den jeweiligen Star an, der eine Dschungelprüfung durchlaufen muss. Meist müssen irgendwelche stark eiweißhaltigen Käfer oder Genitalien von größeren Tieren verspeist werden. Die letzte Staffel sahen im Schnitt immerhin 7,3 Millionen Zuschauer. Eine traurige Zahl. Doch viel trauriger ist die Tatsache, dass "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" 2013 für den Grimme-Preis in der Kategorie "Unterhaltung" nominiert wurde.

Ja, “Ich bin ein Star – Holt mich hier raus” wurde “unter anderem” von Dirk Bach moderiert, der im letzten Jahr verstorben ist, und von Sonja Zietlow. Doch das auf dem Foto sind Bernhard Hoëcker und Susanne Pätzold als Dirk Bach und Sonja Zietlow.

Wenn handelsblatt.com jetzt eine Parodie aus “Switch Reloaded” mit der Originalsendung verwechselt, befindet sich die Seite allerdings in guter passender Gesellschaft: Bild.de ist das bisher drei Mal passiert.

Mit Dank an L.

Nachtrag, 5. März: handelsblatt.com hat das Szenenbild aus “Switch Reloaded” durch ein Foto von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich (echt) ersetzt und darunter geschrieben:

Hinweis: Ursprünglich wurde an dieser Stelle ein Bild aus der Satire-Sendung “Switch Reloaded” gezeigt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

“Das perfekte Promi-Dinner” ist komplett aus der Galerie geflogen.

Berliner Mauer, Piraterie, Unwörter

6 vor 9

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1. “Desinformation: Mauer in Geiselhaft”
(taz.de, Sebastian Heiser)
Haben Bauarbeiter damit begonnen, einen der letzten Reste der Berliner Mauer niederzureißen, “damit dort Luxuswohnungen entstehen können”? “An dieser Botschaft stimmt so gut wie nichts. Aber sie zündet. Und sie wird von Journalisten inzwischen weltweit weiterverbreitet.”

2. “Zweierlei Maß?”
(dradio.de, Audio, 43:40 Minuten)
Walter van Rossum vergleicht Berichte und Kommentare deutscher Medien über Russland und die USA (auch als PDF-Datei oder Text): “In den deutschen Mainstream-Medien, die über das russische Adoptionsverbot berichten, macht sich kein Journalist die Mühe, die offizielle russische Version darzustellen, um sie anschließend zu überprüfen. Fast alle Medien erzählen bis in die Details der Formulierungen dieselbe Geschichte, mit denselben unbelegten Behauptungen, denselben Auslassungen, einseitigen und simplen Stereotypen: hier die eisige russische Nomenklatura, da der freundlich lächelnde american way of life.”

3. “Gezielt vorbei: Mein Problem mit dem ZEIT-Dossier ‘Filmpiraten: Aufnahme läuft!'”
(wortvogel.de, Torsten Dewi)
Torsten Dewi kritisiert den “Zeit”-Artikel “Aufnahme läuft!” von Kerstin Kohlenberg: “So, wie ich das sehe, bastelt Produzent Stefan Arndt an seiner eigenen Legende, um das Versagen von ‘Cloud Atlas’ zu rechtfertigen – und eine Journalistin hat sich für den intimen Einblick in die Szene genau diese Narrative füttern lassen, ohne sie je zu hinterfragen.”

4. “Im publizistischen Würgegriff”
(mspr0.de)
Am 1. März verabschiedete der Bundestag das Leistungsschutzrecht für Presseverleger: “Während beinahe alle Verbände, Aktivisten, Experten und Wissenschaftler kein gutes Haar an den Gesetzesentwürfen zum Leistungsschutzrecht ließen, ignorierte die Presse diese Stimmen eisern und hörte nicht auf, das Gegenteil zu verkünden. Und noch schlimmer als das journalistische Totalversagen: es gab nur wenige Politiker, die sich trauten, dieser interessengeleiteten Kampagne öffentlich zu widersprechen.”

5. “Wer darf das Wort ‘Zensur’ im Munde führen?”
(alexanderlasch.wordpress.com)
Mitglieder der Nationalen Armutskonferenz sammeln “irreführende und abwertende Begriffe” – und stellen eine “Liste der sozialen Unwörter” zusammen. Die FAZ greift die Liste auf und stuft sie als Zensurvorhaben ein. “Die Entstehungsgeschichte der ‘Liste’ wird mit keiner Silbe erwähnt, statt dessen werden die einzelnen Begriffe kurz aufgegriffen und hinsichtlich ihres Diskriminierungspotentials als unbedenklich eingestuft.”

6. “Blogger, Sponsoren und die Transparenz – Kommentar”
(mobilegeeks.de, Sascha Pallenberg)
“Persönlich bis ins Mark” treffen Sascha Pallenberg Vorwürfe wie “du schreibst doch den Artikel nur um deine Amazon Links unterzubringen” oder “der Testbericht fällt so positiv aus weil Firma XYZ dich zu einem Event eingeladen hat”, weshalb er nun “sämtliche Zuwendungen und Sponsorings” öffentlich macht.

Helium, Blumenverkäufer, Gruppensex

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1. “My little corner of the world”
(juliane-wiedemeier.de)
Juliane Wiedemeier schreibt für Online und das Lokale, was bei Kollegen oft Geringschätzung hervorruft (“Juliane, warum greifst Du eigentlich mit beiden Händen ins Klo?”). Dabei verzeiht Lokaljournalismus weniger Fehler: “Selbst im Politikteil der SZ dürfte ich ziemlichen Quatsch über Barack Obama schreiben können, ohne dass es irgendwelche Folgen hat. Versuchen Sie das mal mit dem örtlichen Bürgermeister, den sie morgen nochmal wegen des neuen Spielplatzes anrufen müssen.”

2. “‘Einmaliger Gruppensex’ nicht auffindbar”
(gefaelltmir.sueddeutsche.de, Dirk von Gehlen)
Was ist dran an der Story, dass “einmaliger Gruppensex” während einer Arbeitspause “kein Kündigungsgrund” sei? “Die Archiv-Recherche liefert zu dem angeblichen Fall keinen Zeitungsartikel und auch beim Arbeitsgericht München kann man sich an ein solches Urteil nicht erinnern.”

3. “‘Heute’ brennt, Helium nicht.”
(kobuk.at, Helge Fahrnberger)
Besnik Delija, Schüler der HTL Donaustadt, prüft einen Artikel der Tageszeitung “Heute” auf “fachliche Fehler”.

4. “Foreign correspondents in China call for inquiry into assault on German TV crew”
(guardian.co.uk, englisch)
Ein Team um ARD-China-Korrespondentin Christine Adelhardt wird angegriffen, berichtete der Foreign Correspondents’ Club of China (FCCC): “They forced the ARD driver to stop at one point, whereupon five or six men surrounded the car, attempted to get in, and hammered on the windows with their fists. The crew got away, but were pursued, forced off the road and onto the sidewalk, rammed, and made to stop. Two men from the pursuing vehicles attacked the minivan with baseball bats, shattering its windscreen, before the ARD driver was able to get away again by bulldozing his way past a car parked in front of the ARD van.”

5. “Wie der Amoklauf von Menznau mehrere Medien schlichtweg überforderte”
(lu-wahlen.ch, Herbert Fischer)
Herbert Fischer schreibt über die Berichterstattung zu einer Schießerei in Menznau, die Todesopfer und Verletzte forderte. Siehe dazu auch die Titelseite der “Neuen Luzerner Zeitung” vom 28. Februar.

6. “Im Namen der Rose”
(tagesspiegel.de, Katja Reimann)
Korim, Blumenverkäufer in Berlin: “Wenn das Geschäft mit den Blumen nicht genug abwirft, dann arbeitet er als Aushilfe in einem Restaurant. Auf 500 Euro komme er zusammengerechnet in einem Monat, in Bangladesch entspricht das in etwa einem durchschnittlichen Jahreseinkommen. Für 100 Euro kauft er Lebensmittel, 200 Euro zahlt er für ein Zimmer, das er sich mit einem anderen Mann teilt. ‘Alles gut’, sagt Korim. Ein schlechtes Leben in Europa ist immer noch besser als ein nicht ganz so schlechtes in Bangladesch.”

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