Archiv für Januar 4th, 2012

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Mit 68 Jahren, da hat man Spaß daran

Franz Josef Wagner ist 68 Jahre alt und damit im besten Rentenalter. Doch der legendäre “Bild”-Kolumnist denkt offenbar noch nicht ans Aufhören, wie seine heutige “Post von Wagner” nahelegt:

Liebe Rente mit 67, 69 …

was für ein schwieriger Brief, aber ich versuch’s mal.

Wer heute zehn Jahre ist, wird vielleicht so alt wie Jopie Heesters. 108. Stellen wir uns vor, Jopie wäre mit 65 in Rente gegangen. 43 Jahre hätte er Rente bekommen.

Wagner stellt sich nun die Frage, wer “uns” bezahlen kann oder soll, wenn “wir so alt werden wie Jopie Heesters”. Das haben sich schon viele vor ihm gefragt und Wagner kommt ungefähr zur selben Antwort:

Wir haben keine Enkel. Wir werden so viele Alte sein ohne Enkel. Weil wir keine Enkel haben, müssen wir weiterarbeiten.

Ein 70-jähriger Tischler macht einen Tisch. Ein 80-jähriger Klempner mit Glatze reinigt die Toilette. Ein 90-jähriger Gärtner schneidet die Hecken. Ein 100-jähriger Koch wirft die Bratkartoffeln in der Pfanne hoch.

Was ist daran so schlecht, wenn die Alten arbeiten?

Das alles ist – zumindest nach Wagners Maßstäben – noch nicht wirklich merkwürdig. Gut: Wie soll der 80-jährige Klempner wieder auf die Beine kommen, nachdem er die Toilette gereinigt hat? Was bedeutet es für die Rentenkasse, wenn der 90-jährige Gärtner dem 30-jährigen Gärtner den Arbeitsplatz wegnimmt? Aber, wie gesagt: Alles noch im Rahmen.

Selbst Wagners beherzter Sprung in den Aphorismenbrunnen verstört kaum:

Arbeiten ist Glück.

Ich jedenfalls kann mir ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen. Das Leben ist für mich ein Fahrrad, man trampelt und trampelt, und wenn man nicht mehr trampelt, fällt das Fahrrad um.

Ich liebe die Arbeit.

Nein, bemerkenswert wird Wagners heutiger Brief nur, wenn man ihn mit dem vergleicht, den er vor etwa vier Wochen an den Philosophen Richard David Precht geschrieben hatte. Precht hatte damals (übrigens zum wiederholten Male, aber zum ersten Mal zum Interesse von “Bild”) in einer Fernsehtalkshow gefordert, Rentner sollten ein “soziales Pflichtjahr” absolvieren.

Franz Josef Wagner fand diesen Vorschlag nicht so gut:

Wer 40 Jahre gearbeitet hat, hat das Recht, müde zu sein. Ich mag die alten Leute, wenn sie zusammensitzen, ich mag ihre abgearbeiteten Hände. Ich mag, wenn die Alten nach Mallorca fliegen.

Ich glaube, sie haben genug gearbeitet für unsere Gesellschaft.

Mehr noch, er ging mit Precht hart ins Gericht, wobei er seine Verachtung in merkwürdige Schwärmerei kleidete:

Sie geschniegelter, hübscher Klugscheißer-Philosoph, glaube ich, haben niemals gearbeitet.

Man muss nur Ihre Hände anschauen, elegante, Klavier spielende Hände.

Ihr aufgeknöpftes, weißes Hemd. Ihr gepflegtes, auf die Schultern gefallenes Haar.

Die Art, wie Sie die Beine übereinander verschränken. Ich denke, Sie haben kein Recht, über Rentner zu sprechen.

Sie sind Bestseller-Millionär. Sie sind reich. Sie haben keine Ahnung, wie es Rentnern geht.

Das ist dann natürlich der Nachteil, wenn 68- bis 108-jährige noch für die Zeitung schreiben: Sie wissen nicht mehr, was sie noch vor kurzem geschrieben haben.

Mit Dank an erwinwa.

Cicero, Bigotterie, Abidjan

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Cicero nutzt die Diskussion um Wulff für Internet-Bashing”
(blog.odem.org, Alvar Freude)
Alvar Freude beschäftigt sich mit Artikeln von Christoph Seils und Michael Naumann auf Cicero.de: “Wer das Internet nur vom Hörensagen kennt und nicht einmal in der Lage ist, rudimentär zu recherchieren, sollte vielleicht lieber die Klappe halten.”

2. “Der Wulff, die Medien und die Bigotterie”
(dondahlmann.de)
Don Dahlmann über die Symbiose, die viele Medien mit der Politik bilden: “Dass die Medien sich hinstellen und den dummen Ausraster eines Politikers an den Pranger stellen, ist nicht falsch. Aber es zeigt eben auch die Bigotterie, mit der man unterwegs ist. So lange es hilfreich erscheint, so lange drückt man beide Augen zu, hilft sich, sorgt dafür, dass die negativen Schlagzeilen klein bleiben.”

3. “Anruf bei Kai”
(blog.tagesschau.de)
Anders als Kai Diekmann wurde Kai Gniffke nicht angerufen: “Häufig werde ich gefragt, wie oft es denn Versuche der politischen Einflussnahme auf die Tagesschau gibt. Und kaum jemand glaubt mir so recht, dass es diese Versuche wirklich nicht gibt. Ich muss damit leben: Kein Schwein ruft mich an! Woran liegt das eigentlich?”

4. “Ohne Worte XI: Nachrichten, skrupellos”
(flurfunk-dresden.de)
Die “Dresdner Morgenpost” titelt: “Junge (17) warf sich vor Zug – tot”.

5. “In bed with the NGO”
(muel.ch, Samuel Burri)
Samuel Burri recherchiert in Abidjan, Elfenbeinküste: “Für einmal habe ich das getan, was ich an Journalismus in Afrika gerne kritisiere. Ich liess mich in eine NGO/Nichtregierungsorganisation embedden.”

6. “Der Wetter-Astrologe”
(stefan-niggemeier.de)
Gemäß “Bild” hätte es in Deutschland Ende Dezember 2011 minus 12 Grad Celsius sein sollen. Siehe dazu auch “I’m dreaming of a …oh” (tabloid-watch.blogspot.com, englisch).