Archiv für Dezember 13th, 2011

Weniger ist mehr

Die Onlineauftritte der “Thüringischen Landeszeitung” und der “Thüringer Allgemeinen” vermelden heute:

Mehr Jugendliche landen mit Vollrausch im Krankenhaus.  Junge Männer werden im Freistaat nach Alkoholmissbrauch häufiger als Frauen in die Klinik eingeliefert. In Thüringens Krankenhäusern wurden vergangenes Jahr mehr Jugendliche wegen Alkoholproblemen behandelt. Dies teilte das Landesamt für Statistik am Dienstag in Erfurt mit.

Sie haben dafür eine Meldung des Thüringer Landesdienstes der Nachrichtenagentur dapd aufbereitet, die folgendes besagte:

Krankenhäuser behandeln mehr Jugendliche wegen Alkoholproblemen

Erfurt (dapd-lth). Wegen Alkoholproblemen sind im vergangenen Jahr mehr als 100Jugendliche unter 15 Jahren stationär im Krankenhaus behandelt worden. Dabei wurden ungefähr gleich viele Mädchen wie Jungen eingeliefert, wie das Landesamt für Statistik am Dienstag in Erfurt mitteilte. Die Zahl lag leicht über dem Vorjahreswert. (…)

Die Behauptung, die Zahl habe “leicht über dem Vorjahreswert” gelegen, und die Überschrift sind schlicht falsch.

Wie aus der Pressmitteilung des Thüringer Landesamts für Statistik (PDF) hervorgeht, wurden im vergangenen Jahr 103 Jugendliche unter 15 Jahren “alkoholbedingt” in Thüringer Kliniken behandelt — immerhin zwei weniger als im Jahr 2009. Auch bei den Patienten zwischen 15 und 30 Jahren sank die Zahl der alkoholbedingten Behandlungen leicht von 1.667 auf 1.625, bei denen zwischen 30 und 40 immerhin von 1.613 auf 1.546.

Den mit 59,7 Prozent deutlich größten Anteil machten die 40 bis 60-Jährigen aus. Ihr Wert stieg auch von 6.985 auf 7.130.

Auch kann man aus der Statistik nicht ohne weiteres ablesen, wie viele Patienten welcher Altersgruppe “im Vollrausch” in die Thüringer Krankenhäuser eingeliefert wurde. Das Thüringer Landesamt für Statistik schreibt dazu:

Häufigster Anlass für einen alkoholbedingten Krankenhausaufenthalt waren die so genannten psychischen und Verhaltensstörungen. Dazu gehören vor allem das Abhängigkeitssyndrom, das Entzugssyndrom und der akute Rausch. In 9 734 Fällen (81,4 Prozent) wurden im Jahr 2010 diese Krankheitssyndrome behandelt. Mehr als ein Fünftel (2 130 Personen bzw. 21,9 Prozent) davon waren Frauen. In 3 352 Fällen wurde das Abhängigkeitssyndrom, in 2 520 Fällen das Entzugssyndrom und in 3 025 Fällen der akute Rausch diagnostiziert.

Richtig wäre also die Überschrift gewesen:

Ungefähr gleich viele Menschen unterschiedlicher Altersgruppen landen mit verschiedenen Alkoholproblemen im Krankenhaus

Aber das klingt natürlich nicht so geil.

Mit Dank an André.

Bild  

In der traurigen Maschinerie

Der größte Fehler, den Stefan Zielasko gemacht hat, war nicht, an einer Castingshow teilzunehmen und dort auf die Frage, ob er keine musikalische Erfahrung habe, wahrheitsgemäß zu antworten: “Ich hab vor Jahren mal bei einer Castingshow mitgemacht, leider ohne Erfolg.”

Der größte Fehler, den Stefan Zielasko gemacht hat, war auch nicht, an einer Castingshow teilzunehmen, deren Produzenten diesen Satz herausschneiden würden, was zur Folge hatte, dass Zielasko in der Öffentlichkeit als Lügner dastehen würde, der die Zuschauer “verarscht” (BILDblog berichtete).

Der größte Fehler, den Stefan Zielasko gemacht hat und den jeder Mensch machen kann, war dieser:

Für BILD war er gestern nicht zu sprechen.

Wer nicht mit “Bild” spricht, erzürnt ihre Redakteure und muss mit dem Schlimmsten rechnen: Anhaltende negative Berichterstattung in “Bild”.

Und so tritt die Zeitung heute gegen den Mann nach, der im Alltag Lehrer ist und gestern auf der Titelseite zu sehen war:

"Es bricht mir das Herz": Nenas Schummler jammert auf Facebook

“Bild” schreibt:

Gestern reagierte der Lehrer aus Moers (NRW) auf die Lügen-Vorwürfe, schrieb auf seiner Facebook-Seite: “Es ist eine traurige Maschinerie, die gerade in Gang gesetzt wird. Und das auf dem Rücken eines Mannes, der das nicht verdient hat. Es bricht mir das Herz …”

Genau genommen reagierte er mit seinem Post vom Sonntag allerdings weniger auf die “Lügen-Vorwürfe” und mehr auf …

Ach, lesen Sie selbst:

Meine Lieben…es ist traurig aber wahr! Obwohl alles gesagt ist und ihr die Wahrheit kennt, werde ich morgen dick und fett auf der Titelseite der Bildzeitung zusehen sein. Dort werde ich als Lügner deklassiert. Ich möchte Euch da nur drauf vorbereiten. Es ist eine traurige Maschinerie, die gerade in Gang gesetzt wird. Sehr sehr traurig. Und das auf dem Rücken eines Mannes, der das (so denke ich doch) nicht verdient hat. Es bricht mir das Herz…..

Aber gut, wer wird so spitzfindig sein, zwischen allgemeinen “Lügen-Vorwürfen” und der konkreten “Bild” Unterschiede zu sehen?

Also: Wer, außer “Bild”, die sich um ein ganz neues Niveau in Sachen Spitzfindigkeit bemüht?

Ein Pro7-Sprecher erklärte gestern, ein Satz sei aus der Sendung herausgeschnitten worden.

Stefan habe gesagt: “Ich hab vor Jahren mal bei einer Castingshow mitgemacht, leider ohne Erfolg.”

Leider auch nicht ganz die Wahrheit…

Warum dies Antwort “nicht ganz die Wahrheit” sein soll, erklärt “Bild” im ersten Satz des Artikels:

Nach seinem tollen Auftritt bei “The Voice” verschwieg er, dass er schon mal im Finale von “Popstars” stand.

Wir lernen also: Wer vor sieben Jahren im Finale einer Castingshow stand, es aber nicht in die (mittelmäßig erfolgreiche) Gewinnerband geschafft hat, hat durchaus nicht “ohne Erfolg” an dieser Show teilgenommen — zumindest, wenn es “Bild” so in den Kram passt.

Mit Dank an Leo, Steffi und Jürgen L.

13. Dezember

Weihnachten wird ja auch gerne als “das Fest der Liebe” bezeichnet. Deshalb haben wir heute im BILDblog-Adventskalender mal eine Geschichte mit Sex.

Oder genauer: Ohne Sex.

BILDblog vom 6. Februar 2005

Straßenhunde, Fußballblogs, Marina Weisband

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Bibel als Klatsch-Blatt”
(lectiobrevior.de, Gerd Häfner)
Gerd Häfner, Professor für Biblische Einleitungswissenschaft in München, prüft das Bibel-Sonderheft von “Das Neue” ausführlich. “‘Jesus war 1,70 Meter groß, hatte rote Haare und strahlend blaue Augen’! Dies habe der Arzt und Philologe Joseph Pietre (1841-1916) durch Auswertung mündlicher Volkstradition festgestellt. Das ist ein Unfug, über den hinaus ein größerer kaum gedacht werden kann. Aber eben nur ‘kaum’, es geht noch schlimmer.”

2. “Hans-Olaf Henkel: Die ‘Bild’ und ihre Meinung”
(ef-magazin.de)
Der Redaktion der Zeitschrift “Eigentümlich frei” liegt ein Brief von Hans-Olaf Henkel vor, in dem über das Zustandekommen des “Bild”-Artikels “Ranschmeißer, Trittbrettfahrer, Wendehals” von Nikolaus Blome zu lesen ist.

3. “Meine Rolle in den Medien”
(marinaslied.de, Marina Weisband)
Marina Weisband denkt darüber nach, wie sie in den Medien vorkommt und fragt nach dem Selbstverständnis der Journalisten: “Aber war es wirklich das, warum ihr Journalisten werden wolltet? Damals? Um bei einer neu aufkommenden politischen Bewegung, die überraschend viel Zulauf erfährt, über den Lippenstift der politischen Geschäftsführerin zu schreiben?”

4. “Wenn die Ukraine Hunde tötet, stirbt bei uns die Wahrheit”
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Straßenhunde in Osteuropa, die “Kronen Zeitung”, das ORF-Magazin “Konkret” und das österreichische Parlament. “Ich fürchte, wie es tatsächlich um die Hunde in der Ukraine steht, kann derzeit niemand von uns beurteilen. Weil Journalisten ihren Job nicht mehr machen und nur Schockpropaganda aus dem Internet durchschleusen, die eine politische und teilweise auch wirtschaftliche Agenda verfolgt.”

5. “Zwölf Thesen zu lokalen Fußballblogs”
(danieldrepper.de)
Daniel Drepper stellt seine Studienarbeit “Was motiviert lokale Fußballblogger?” vor.

6. “Fernsehen I bis III”
(umblaetterer.de, Paco)
Ein Blick zurück auf mehrere Ausgaben des ZDF-“Nachtstudio” aus dem Jahr 2001, in denen Volker Panzer zusammen mit Rainald Goetz, Moritz von Uslar und wechselnden Gästen das aktuelle Fernsehprogramm bespricht. Mit dabei auch die Ausgabe vom 12. September 2001, also einen Tag nach den Terroranschlägen. “Sie ist, wie gesagt, kaum auszuhalten. Weil man weiß, dass z. B. Harald Schmidt am 9/11-Dienstag nicht aus der Sommerpause zurückgekehrt ist, dass er eine Weile nicht auf Sendung gegangen ist, und es retrospektiv eine der wirkmächtigsten Entscheidungen der dt. TV-Geschichte gewesen ist, für die es einen Grimme-Preis der Abteilung ‘Spezial’ gab.”