Archiv für Dezember 7th, 2011

Mark Zuckerberg “privat” (2)

Stellen wir uns für einen Moment vor, junge Menschen würden durch irgendeinen Zufall in den Besitz von Privatfotos eines Mitschülers kommen und diese Bilder, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren, für jeden sichtbar ins Internet stellen. Eltern wären empört, Lehrer schockiert und Journalisten würden auf die zunehmende Verrohung unter Jugendlichen verweisen und – nicht zu Unrecht – von “Cybermobbing” sprechen.

Wenn Journalisten durch irgendeinen Zufall in den Besitz von Privatfotos eines Prominenten kommen, erscheint es ihnen völlig naheliegend, diese Bilder, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren, für jeden sichtbar ins Internet stellen oder in einer Zeitung abzudrucken.

Nun hat es Facebook-Gründer Mark Zuckerberg erwischt und der Zufall war eine Sicherheitslücke auf seiner eigenen Internetplattform. Vielleicht ist es Ironie, vielleicht hätte es aber auch jeder andere Prominente sein können — Fakt ist: Medien im In- und Ausland zeigen diese Bilder.

Dass Bild.de – wie gerade berichtet – die Bilder zeigt, hat uns ehrlich gesagt kaum überrascht. Immerhin nutzt “Bild” auch gerne schon mal geklaute Nacktfotos von Prominenten, um einen Artikel zu bebildern, der die Verurteilung der Fotodiebe zum Inhalt hat (BILDblog berichtete). Doch auch andere Medien bedienen sich bei Zuckerbergs Privatfotos — oder dem, was sie dafür halten.

“Spiegel Online” etwa zeigt stolz diese Trophäe:

Dass die Welt einen so nicht gewollten Einblick in das Privatleben des Vorstandsvorsitzenden von Facebook erhält, liegt an einem Programmierungsfehler bei dem Online-Netzwerk selbst. Demnach war es kurze Zeit möglich, mit einem Trick fremde Bilder runterzuladen.

Doch das Foto hatte Zuckerberg selbst im März auf dem Facebook-Profil seines Hundes Beast veröffentlicht. (Wobei es etliche Journalisten vermutlich auch für realistisch hielten, dass der Hund das Bild selbst hochgeladen hat.)

“RP Online” hat sich für diesen Aufmacher entschieden:

Private Fotos im Internet aufgetaucht: Facebook-Panne trifft Mark Zuckerberg

Auch dieses Foto steht seit März für jeden sichtbar auf Beasts Facebook-Profil.

Die “Berliner Morgenpost” hat einen dpa-Artikel zum Thema um diesen Absatz ergänzt:

Für Mark Zuckerberg war es da schon zu spät. Einige der 800 Millionen Facebook-Mitglieder nahmen sich Zuckerbergs Profil vor. Und veröffentlichten die Funde im Netz. Zu sehen ist: Zuckerberg mit Freundin Priscilla Chan in der Küche, Zuckerberg mit Hund, Zuckerberg mit Kindern an Halloween, beim Zubereiten von Sushi, beim Empfang mit US-Präsident Barack Obama – und mit einem anscheinend toten, noch ungerupften Huhn, das der Facebook-Chef kopfüber an den Beinen Richtung Kamera hält.

morgenpost.de hat etliche Links auf die Seite gesetzt, auf denen die “gefundenen” Zuckerberg-Fotos der Welt präsentiert wurde. Bei Hund, Halloween oder Obama hätten die Redakteure aber auch einfach auf Facebook verlinken können.

Die BBC zeigt nur neue Bilder, die tatsächlich aus privaten Alben von Mark Zuckerberg stammen — und sie hat dafür sogar um Erlaubnis gefragt:

Die BBC hat Facebook um Erlaubnis gebeten, bevor sie die Fotos von Herrn Zuckerberg veröffentlicht hat. Die Firma sagte, dass sie keine Urheberrechtsverletzungen verfolgen würde, da die Bilder jetzt gemeinfrei seien.

(Übersetzung von uns.)

Über den deutschen Onlinejournalismus lehrt diese Geschichte zwei Dinge, die beide auf ihre Weise beunruhigend sind: Erstens sind Journalisten bereit, für eine knallige Story auf alle Persönlichkeits- und Urheberrechte zu pfeifen. Und zweitens ist es offenbar naiv anzunehmen, dass Menschen, die im Internet über das Internet schreiben, das Internet auch irgendwie bedienen können.

Mark Zuckerberg “privat”

Durch eine Sicherheitslücke bei Facebook war es offenbar “zeitweise möglich, in einigen Fällen an geschützte Bilder von Nutzern heranzukommen”. Es überrascht nicht, dass sich Facebook-Kritiker und -Gegner auf die Suche nach privaten Fotos von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg gemacht haben und fündig wurden — auf gewisse Weise war Zuckerberg ja selbst schuld an dem Vorfall und vielleicht führt dies auch zu einem Umdenken in Sachen Datenschutz bei Facebook.

Es überrascht auch nicht, dass Medien wie Bild.de die gefundenen Privatfotos in Bildergalerien verbraten und sie somit einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.

Die Haltung von “Bild” und Bild.de zu Privatsphäre, Persönlichkeits- und Urheberrechten und verwandten Themenfeldern wurde dabei wohl selten besser in Worte gefasst als in dieser Bildunterschrift unter einem Foto, das Zuckerberg im Gespräch mit US-Präsident Barack Obama zeigt:

Präsident Privat: Warum dieses recht offizielle Foto vom Obama-Besuch im Privat-Archiv landete, bleibt offen

Dass Mark Zuckerberg das Foto einfach nicht mit jedem (darunter “Bild”) teilen wollte, scheint für die Internet-Ausschlachter der “Bild”-Familie undenkbar.

Warum wir dieses Foto dann trotzdem zeigen, hat einen einfachen Grund: Zuckerberg hat es selbst im Februar für alle sichtbar bei Facebook veröffentlicht — auch etliche andere Fotos, die Bild.de jetzt als “privat” anpreist, sind teils schon seit Jahren in öffentlichen Ordnern auf Zuckerbergs Facebook-Profil einsehbar.

Mit Dank an David, Steffi und Basti.

Bild  

Angels deserve to die

Wenn “Bild” in großer Aufmachung die “kranke”, “irre” oder “bizarre” Welt irgendeiner Person darstellt, so handelt es sich meist um mühsam zusammengetragene Null-Informationen aus dem Leben eines Verbrechers — etwa die “kranke Welt des Killers” oder die “irre Welt des Taxi-Entführers”.

In einem aktuellen Mordfall in Leipzig hat die Polizei noch keinen Täter ermitteln können, den “Bild” großflächig porträtieren konnte. Aber in Zeiten des Internets ist das kein Problem, so dass “Bild” am Montag einfach die “bizarre Welt” des Opfers zeigen konnte:

Er trug Frauenkleider, lackierte sich die Fingernägel schwarz und empfing fremde Männer. Bis man seine zerstückelte Leiche aus dem Elsterbecken zog. Die bizarre Welt des Jonathan H. (†23)
Schon die Dachzeile, die auch aus einem 35 bis 60 Jahre alten “Bild”-Artikel stammen könnte, ist geeignet, dem geneigten Leser den Ausruf “Selbst schuld!” auf die Zunge zu legen, ohne diesen Gedanken explizit formulieren zu müssen:

Er trug Frauenkleider, lackierte sich die Fingernägel schwarz und empfing fremde Männer. Bis man seine zerstückelte Leiche aus dem Elsterbecken zog.

Die drei Fotos des Opfers, die “Bild” unverfremdet zeigt, sind natürlich “privat” — sie stammen alle aus dem Online-Forum einer Anime- und Manga-Community und wir wären ehrlich gesagt überrascht, wenn “Bild” die Fotografen vorher um Erlaubnis gebeten oder ihnen ein Honorar gezahlt hätte. Aber es sind ja auch ganz wunderbar … äh: “bizarre” Motive, die dem Leser nicht vorenthalten werden sollen und die zu Einleitungen wie dieser einladen:

Der Junge mit den Engelsflügeln – er wurde das Opfer eines bestialischen Killers.

Nun hat der “Junge mit den Engelsflügeln” überhaupt keine Engelsflügel: Wenn man das Originalfoto aus dem Manga-Forum nicht (wie “Bild”) an den Rändern beschneidet, sieht man nämlich ganz gut, dass der “Junge” vor einem Plakat mit Engelsflügeln steht:

“Bild” fragt:

Wer war der Tote, der sich in Frauenkleidern fotografieren ließ und seine Fingernägel schwarz lackierte?

Natürlich kennt die Zeitung die Antwort selbst nicht, aber die “Bild”-Reporter Bernhard Nathke, sonst Fotograf für Klickstrecken wie “Zwei Männer in Auto verbrannt” oder “Nissan Fahrer rast in Stauende und stirbt”, und Johannes Proft, der auch gerne mal mit Menschenknochen im Internet posiert, haben sich offensichtlich viel Mühe gegeben, ein “bizarres” Gesamtbild zusammen zu puzzeln. Sie zitieren “eine ehemalige Bekannte” und “Nachbarn” und malen so das Bild eines “ängstlichen Eigenbrötlers”, der von Hartz IV lebt und “in eine Phantasiewelt” abgetaucht sei (“Gefesselt von japanischen Manga-Comics und Rollenspielen”).

Diese “Phantasiewelt” ist natürlich ein Boulevard-Thema, das die “Bild”-Reporter wunderbar ausschlachten können. Zwar hält die schon genannte Online-Community nicht viele Informationen bereit, dafür aber einige Fotos des Ermordeten. Und weil er so unvorsichtig war, sich zumindest bei einer Gelegenheit mal in Frauenkleidern fotografieren zu lassen, und er wenigstens auf einem anderen, fünf Jahre alten Foto mit schwarz lackierten Fingernägeln zu sehen ist, ist er für “Bild” jetzt “der Tote, der sich in Frauenkleidern fotografieren ließ und seine Fingernägel schwarz lackierte”.

In einer Art Serviceteil beantwortet “Bild” die Frage “Manga & Cosplay — Was ist das eigentlich?”. Nach ein paar sachlichen Informationsbrockenen schwenkt “Bild” zum Ende wieder auf die bekannte Linie:

Auch sexuelle Rollenspiel-Varianten sind bekannt, aber eher selten.

Offenbar nicht zu selten, um auf die vermeintlich anrüchige Information zu verzichten.

Dazu passt auch diese Information, die “Bild” von “Nachbarn” erfahren haben will:

Homosexuell, mit ständig wechselnden Männerbekanntschaften.

Wie sehr sich “Bild” in die Theorie irgendeines perversen Milieu-Mordes verbissen hat, zeigt sich in einem Artikel vom Samstag, bei dem die Geilheit des Autors geradezu aus den Zeilen trieft:

Nach BILD-Informationen wird derzeit jedoch besonders intensiv geprüft, ob das Opfer im homosexuellen Milieu aktiv war, möglicherweise sogar seinen Körper an Freier verkaufte. Der Staatsanwalt, der alle anderen Thesen klar abwies, bleibt bei dieser vorsichtig: “Das möchte ich weder bestätigen noch dementieren.”

Sollte sich dieser Verdacht erhärten und der Täter bald gefasst werden, kann “Bild” in Kürze schon wieder mit dem Porträt irgendeiner “kranken” oder “irren” Welt aufwarten.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

7. Dezember

Es ist die Zeit der Weihnachtsmärkte und damit die von Glühwein, Punsch und ähnlichen “Getränken”. Schnell sehnt man sich nach einem frisch gezapften kühlen Bier in der kleinen Kneipe in unserer Straße. Deshalb nimmt der BILDblog-Adventskalender Sie, liebe Leser, heute mit in eine solche Biergaststätte — und nicht zum Heiligen Vater.

Was sagen Sie, das ergibt alles keinen Sinn? Na, dann warten Sie mal ab!

BILDblog vom 16. September 2009

Fehler, Pogromly, Paketsklaven

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Falschliegen lernen”
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo schreibt über das Begehen von Fehlern und ihre Korrektur. Er vermutet: “Das Internet, dieses vernetzte Gift gegen absolute Wahrheiten, treibt einen Wandel im Umgang mit eigenen Fehlern voran, der weit über die digitale Sphäre hinausgeht.”

2. “Nochmal Pogromly: Erleben Sie live die Entstehung einer Legende!”
(geistbraus.de, Martin Johannes Grannenfeld)
Martin Johannes Grannenfeld phantasiert in einem Beitrag über mögliche Inhalte einer rechtsradikalen Version von “Monopoly” – 20min.ch übernimmt einige dieser Phantasien als Fakten. “Munter mischen sich hier Fakten und Legenden. Dass das LOS-Feld durchs Hakenkreuz ersetzt ist, kann man auf den Fotos des Spiels sehen. Dass die Bahnhöfe durch KZs ersetzt sind, wahrscheinlich auch (da kenn ich Monopoly nicht gut genug, um das beurteilen zu können). Das zehnte Kind, der versteckte Jude und die Horst-Wessel-Allee sind von mir.”

3. “Bühne frei für neue Kritiker”
(nzz.ch, Philipp Ramer und Claudio Steiger)
Philipp Ramer und Claudio Steiger beschreiben neue Wege im Kulturjournalismus, zum Beispiel die Website Theaterkritik.ch: “Insbesondere die Art der Finanzierung alarmierte Kritiker. Denn anders als sonst üblich werden die zu besprechenden Premieren nicht von einer Redaktion ausgewählt, sondern Veranstalter und Theatergruppen können Rezensionen eigener Inszenierungen gegen Bezahlung in Auftrag geben.”

4. “Internet: ‘Eine gigantische Effizienzmaschine'”
(diepresse.com, Isabella Wallnöfer)
Helge Fahrnberger und das Medien-Watchblog “Kobuk”: “Der Name ist Programm: Hat doch 1951 ein gewisser Helmut Qualtinger die heimischen Tageszeitungen an der Nase herumgeführt, als er die Ankunft eines Eskimo-Autors namens Kobuk in Wien ankündigte – den gab es gar nicht, was sämtliche Tageszeitungen nicht hinderte, Kobuks fiktive Werke in den höchsten Tönen zu loben.”

5. “Schafft die Polit-Talkshows ab!”
(dradio.de, Mely Kiyak)
Wer will den “immer gleichen Redner-Typ mit Talkshow-Gestus und Talkshow-Rhetorik” noch sehen, fragt Mely Kiyak. “Unsere Fernsehformate sind doch keine Nebenstellen des Parlaments. Sollen sich doch Parteien Werbeprogramme im Fernsehen kaufen. Denn wenn sie dies selber zahlen würden, gäben sie sich bestimmt mehr Mühe!”

6. “Die Paketsklaven”
(ndr.de, Video, 43:58 Minuten)
Reinhard Schädler arbeitet einige Wochen undercover als Paketzusteller bei einem Subunternehmer von Deutsche Post DHL. Siehe dazu auch das Dossier und das Interview mit Schädler.