Archiv für November 28th, 2011

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Angst vor der eigenen Rechthaberei

Die Europa-Union Deutschland, die sich selbst als überparteiliche, überkonfessionelle und unabhängige politische Nichtregierungsorganisation für ein föderalistisches Europa versteht, hat bei der diesjährigen Verleihung des Europapreises “Bild” mit der sogenannten “Distel” für den europapolitischen Fehltritt des Jahres bedacht. In einer Pressemitteilung heißt es:

Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros der BILD-Zeitung, erhielt stellvertretend für sein Blatt die Europa-Distel für den größten europapolitischen Fehltritt des Jahres wegen der Forderung, Griechenland solle seine Inseln verkaufen. (…)

In seiner Laudatio auf die BILD stellte der Vorsitzende von Europa-Professionell, Joachim Wuermeling, fest, dass es ein Fehler war, eine solche Emotionalität in die Debatte zu bringen und zwischen guten und schlechten Euro-Ländern zu unterscheiden. Er machte klar: “Wir wollen keine europäische Misstrauensgesellschaft!”

Von Einsicht ist bei “Bild” allerdings nichts zu bemerken:
Trotz Schmäh-Preis für unsere Griechenland-Berichterstattung Darum bleibt BILD bei seiner Meinung!

Es ist ein stacheliger Preis, der als Kritik an BILD gemeint ist: Die Europa-Union verlieh BILD die “Europäische Distel” – weil BILD mit seiner Berichterstattung angeblich die europäischen Bürger gegeneinander aufbringt.

BILD stellte sich der Kritik. Und erklärte den erstaunten Europa-Politikern, warum die Redaktion in der Euro-Krise bei ihrer Meinung bleibt!

“Bild” zitiert dann weite Teile der Rede, die Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros und stellvertretender Chefredakteur, bei der Preisverleihung gehalten hat. Dabei wird schnell klar: “Bild” hat sich der Kritik nicht “gestellt”, sondern hat sie einfach weggebügelt.

So fragt Blome etwa:

Soll uns der Preis ex post nahelegen zu schweigen, uns also irgendwie “mundtot” machen?

Dabei kritisierte die Europa-Union nicht, dass “Bild” über die griechische Schuldenkrise berichtet hat, sondern wie (BILDblog berichtete hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier).

Blome fragt scheinheilig:

(…) hätten wir die Geschichte “BILD gibt den Griechen die Drachmen zurück!” (27.4. 2010) nicht machen sollen? Den selbstverständlich nicht repräsentativen Versuch, mit dem medienüblichen Mittel der Straßenumfrage zu erhellen, ob die Griechen ihre alte Währung zurückwollen? Inzwischen vergehen in Griechenland keine sieben Tage, ohne dass eine solche Umfrage gemacht wird.

Zunächst einmal stand über dem berüchtigten Artikel nicht, wie Blome behauptet, “BILD gibt den Griechen die Drachmen zurück!”, sondern “BILD gibt den Pleite-Griechen die Drachmen zurück!”. So nennt die Zeitung die Einwohner Griechenlands seit mehr als anderthalb Jahren.

Und natürlich war Paul Ronzheimers Aktion nicht “medienüblich”, sondern eine klare Grenzüberschreitung, bei der es einzig und allein darum ging, die Griechen vorzuführen (“Und das Irre: Viele jubeln und reißen sich darum…”). Man stelle sich vor, ein ausländisches Blatt würde in Deutschland eine derartige Aktion durchführen. “Bild” wäre sicherlich die Zeitung, die als erstes die Frage stellen würde “Warum werden wir Deutschen so verhöhnt?”.

Blome weiter:

Und noch eine Zugabe: “Verkauft eure Inseln, ihr Pleite-Griechen.” Auch hier verspreche ich Ihnen: Exakt so wird es kommen. (…)

(Haben Sie’s gemerkt? Blome offensichtlich nicht.)

70.000 staatseigene Grundstücke stehen in Griechenland zum Verkauf, darunter eine komplette Halbinsel und ein kleiner Berg. Vollzogen wird der Verkauf am Ende vielleicht von einer Treuhandanstalt wie weiland in der untergegangenen DDR. (…)

Dabei weiß Blome vermutlich selbst am besten, wie diese Forderung in einem Land, das im zweiten Weltkrieg jahrelang unter der deutschen Besatzung gelitten hat, aufgefasst wird.

Der Unterschied zwischen den krawalligen “Pleite-Griechen”-Überschriften in “Bild” und der Sprache der anderen deutschen Zeitungen wird ausgerechnet in dem Moment am deutlichsten, in dem Blome behauptet, “die anderen” würden ja genauso schreiben:

Und weil das so ist, schreiben die anderen jetzt auch so. Nur ein Beispiel aus dem Juni 2011, Süddeutsche Zeitung. Der Autor delektiert sich unter der Überschrift “griechischer Schein”, wie das “Land seine Schulden verschleierte”, etwas, was sonst nur in einer “korrupten afrikanischen Diktatur” vorkomme. Selbst bei der Qualifikation für die Währungsunion hatten die Griechen gelogen”, bis das “Lügengebäude zum Einsturz” kam.

Der Höhe Tiefpunkt seiner Rede macht deutlich, dass Blome nicht ansatzweise verstanden hat, wofür “Bild” ausgezeichnet wurde:

Kurzum: Ich gebe zu. Rechthaben macht Spaß. In diesem Maße recht zu haben, und zu behalten, macht fast ein bisschen Angst.

Die sonst geläufige Redewendung, nach der der Ton die Musik mache, war den Großmüttern von Nikolaus Blome offenbar unbekannt — oder ihr Enkel hat auch damals schon nicht richtig zugehört.

Gegen Ende seiner Rede greift Blome dann wieder seine eingangs erwähnte Sorge, die Verleihung der Distel solle seine Zeitung “mundtot machen”, auf:

Haben Sie das Gefühl, Griechenland ginge es besser, wenn wir die Klappe gehalten hätten? Und glauben Sie im Ernst, BILD hätte die Griechenland-kritische Stimmung gemacht?

Vermutlich ginge es Griechenland nicht besser, wenn Blome und seine Leute “die Klappe gehalten hätten”, aber darum ging es bei dieser Preisverleihung gar nicht. Das Klima zwischen Deutschen und Griechen könnte allerdings deutlich weniger angespannt sein, wenn “Bild” die Klappe gehalten weniger hetzerisch berichtet hätte.

Denn dass “Bild” die “Griechenland-kritische Stimmung” nicht wenigstens ordentlich mit angeheizt hätte, glaubt Blome hoffentlich nicht im Ernst.

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“Das hat etwas von einer Vergewaltigung”

Wolfgang Niedecken: Ja, es war ein SchlaganfallEs ist ein merkwürdiges Triumphgeheul, das “Bild” heute in der Kölner Ausgabe anstimmt:

Und es war doch ein Schlaganfall!

Warum “doch”? Hatte jemand was anderes behauptet?

Niedecken hatte BILD verbieten lassen, wahrheitsgemäß zu berichten, dass er einen Schlaganfall hatte. Überraschend offen sprechen Niedecken und seine Frau Tina (46) nun im aktuellen “Spiegel”. Sie sagen ganz klar:

JA, ES WAR EIN SCHLAGANFALL!

Niedecken hatte in der Tat mehrere Einstweilige Verfügungen gegen “Bild” erwirkt — mit Verweis auf seine Privatsphäre und die seiner Familie (BILDblog berichtete mehrfach). Dass Niedecken nun, da er wieder auf den Beinen ist, im “Spiegel” von sich aus einen Blick in diese Privatsphäre gewährt, rechtfertigt nachträglich nicht, dass “Bild” diese Privatsphäre verletzt hatte.

Anders als “Bild” jetzt suggeriert bezogen sich die Einstweiligen Verfügungen nicht nur auf die Art der Erkrankung. “Bild” wurde unter anderem auch verboten, Fotos von Niedeckens Frau und Kindern auf dem Krankenhausparkplatz (BILDblog berichtete) abzudrucken, “Details zur Fürsorge der Familie Niedecken für Wolfgang Niedecken” zu veröffentlichen und Details über die Krankenhausbehandlung Niedeckens zu verbreiten.

So berichtete BILD schon am 3. und 4. November über den Schlaganfall

Vor allem aber wurde “Bild”, die ja nach eigener Ansicht “wahrheitsgemäß” berichtet hatte, untersagt, Details des angeblichen Erkrankungshergangs zu veröffentlichen, die laut Niedecken “falsch” bzw. “frei erfunden” waren. Erst vergangene Woche hatte “Bild” eine diesbezügliche Einstweilige Verfügung anerkannt und auf sämtliche Rechtsmittel verzichtet.

Statt auf eigene Spekulationen bzw. “Informationen” setzt “Bild” heute deshalb lieber auf das, was Niedecken selbst preisgegeben hat:

BILD druckt Auszüge des Interviews…

… und könnte sich damit den nächsten juristischen Ärger einhandeln — diesmal allerdings mit dem “Spiegel”, denn die “Auszüge” umfassen weite Teile dessen, was Niedecken zum Krankheitsverlauf gesagt hat.

Nicht zitiert hat “Bild”, wie das Gespräch später weiter ging:

SPIEGEL: Wie fühlt es sich an, öffentlich krank zu sein? Kann man als Prominenter sagen: Meine Krankheit ist reine Privatsache, da lasse ich keinen dran teilhaben?

Niedecken: Ich selbst war schockiert, als die “Bild”-Zeitung gleich erfundene Details über meinen Schlaganfall verbreitete. Dass sie meine Töchter vor dem Krankenhaus fotografiert haben und ein Reporter ihnen aufgelauert hat und sie ausquetschen wollte. Als Tina und ich vor ein paar Tagen am Rhein spazieren gingen, sah ich plötzlich “Bild”-Paparazzi hinter dem Baum. Auf einem der Fotos sieht man mir den Schreck über den Fotografen richtig an. Ich schaue tatsächlich wie jemand, der einen Schlaganfall hatte.

Tina Niedecken: Schatzi, du hattest einen Schlaganfall!

Niedecken: Ja, weiß ich ja. Ich meine nur, es sah so aus, wie man sich Schlaganfall-Patienten im Boulevard vorstellt. Ich gucke so ein bisschen irre. Das Gefühl, die Kontrolle über seine Privatsphäre zu verlieren, ist schlimm. Das hat etwas von einer Vergewaltigung.

Mit Dank auch an Matthias M.

Nachtrag, 17.35 Uhr: Niedeckens Anwälte bezeichnen die heutige Berichterstattung von “Bild” als “scheinheilig”, weil die Zeitung ganz genau wisse, dass das Verbot nicht deshalb ergangen sei, weil die Meldung falsch war, sondern weil eine Veröffentlichung von Krankheiten ohne Zustimmung Niedeckens in das Persönlichkeitsrecht Niedeckens eingreife.

Der “Spiegel” erklärt uns unterdessen auf Anfrage, dass er nicht gegen “Bild” vorgehen wolle, auch wenn das Ausmaß, in dem die Zeitung aus dem Magazin zitiert, durchaus “episch” sei.

Guttenberg, Schuhbeck, Kämmerer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zehn Jahre indirekter freistoss – auch mein Jubiläum”
(indirekter-freistoss.de, Oliver Fritsch)
Die “Presseschau für den kritischen Fußballfreund” feiert das zehnjährige Jubiläum: “Gegründet habe ich den indirekten freistoss, um den seriösen Stimmen mehr Gewicht zu geben. Meinung gemacht wird ja nach wie vor woanders: bei Bild und im Fernsehen. Vielleicht ist deren Macht im Fußball im letzten Jahrzehnt ein wenig geringer geworden, ich kann mich aber auch täuschen.”

2. “Ein gefährlicher Mann”
(faz.net, Volker Zastrow)
Karl-Theodor zu Guttenberg ist nicht als reuiger Sünder zurückgekehrt, “sondern gepanzert mit Rechtfertigungen, bewaffnet mit Drohungen”. “Die unerzählte Geschichte geht so: Guttenberg hat es geschafft, fast in alle wichtigen Redaktionen dieses Landes belastbare Beziehungen aufzubauen, mit ungeheurem Charme. Das hat in einigen Häusern dazu geführt, dass Berichterstatter nicht so geschrieben haben, wie sie dachten. Die Redaktionen wurden auf Linie gebracht, soweit sie sich nicht ganz von selbst drauf brachten, längst vor der Affäre.”

3. “Mediale Steigbügelhalter”
(dradio.de, Bettina Schmieding)
Hat Guttenberg eine PR-Agentur beauftragt? “Wenn ja, dann hätte er das Geld echt besser ausgeben können. Schließlich gibt es genug Steigbügelhalter für den Baron in der deutschen Presse und die machen das total unentgeltlich.”

4. “Der scheinheilige Herr Schuhbeck”
(buggisch.wordpress.com)
Christian Buggisch schreibt über Fernsehkoch Alfons Schuhbeck, der “Gesundheit predigt und das Gegenteil verkauft”.

5. “So arbeiten Journalisten fair”
(ratgeber.presserat.ch)
Der neue Ratgeber “Was Medienschaffende wissen müssen” des Schweizer Presserats.

6. “Kurz vor Schluss”
(zeit.de, Roland Kirbach)
Die finanzielle Situation deutscher Kommunen: “Nachdem Cross Border Leasing unattraktiv geworden war, weil die Steuervorteile in den USA entfallen waren, wurden deutsche Kämmerer aus Verzweiflung zu Zockern. Gelockt von cleveren Bankern, schlossen sie mit Finanzinstituten Wetten auf die künftige Zinsentwicklung ab. Reihenweise haben die Städte verloren.”