Am Dienstag hatte “Bild” erklärt, dass sie es für ihre Pflicht hielten, der Öffentlichkeit mitzuteilen, wie ein Kindesentführer aussieht, und damit die Spruchpraxis des Deutschen Presserats kritisiert (BILDblog berichtete).
Doch nicht nur der Presserat ist anderer Meinung als “Bild”, sondern auch die Justiz: Gestern, am zweiten Verhandlungstag, verhängte der Vorsitzende Richter am Potsdamer Landgericht ein Fotoverbot für die Medien. Er dulde in seinem Sitzungssaal keine Hetzjagd, sagte er laut “Berliner Zeitung”.
Und weiter:
[N]icht nur der Täter wurde an den Pranger gestellt, sondern auch Verwandte des Mannes. “Sicher muss zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit und dem Interesse der Prozessbeteiligten abgewogen werden”, sagte Dielitz. Dies sei nicht immer einfach. In diesem Fall aber habe sich die Ex-Frau des Angeklagten, die als Zeugin gehört werden soll, einer Hetzjagd durch die Presse ausgesetzt gefühlt.
Es ist übrigens denkbar, dass sich die Berichterstattung von “Bild” strafmildernd auf das Urteil des Gerichts auswirkt — es wäre nicht das erste Mal.
“Bild” selbst berichtet heute nicht weiter über den Prozess.
Die Newsticker bei “Zeit Online” werden ganz offensichtlich nicht von Menschen betreut, sondern allenfalls von einer endlichen Anzahl Affen — wahrscheinlich aber einfach nur von einem nicht besonders durchdachten Algorithmus.
Am Wochenende hatte “Zeit Online” die sid-Meldung über ein Spiel des BFC Dynamo im DFB-Pokal in die Rubrik “DDR” einsortiert (BILDblog berichtete) und heute läuft eine Nachricht über eine geplante Jupiter-Mission der Nasa, die dpa unter den Stichwörtern “USA/Raumfahrt/Astronomie” verschickt hatte, bei “Zeit Online” unter dieser Dachzeile:
Nun ist die Nasa bekanntlich die amerikanische und nicht die polnische Weltraumbehörde, wie also konnte dieser Fehler jetzt wieder pass…
Ah:
Die Nasa will auch mehr über Jupiters Magnetfeld nahe den Polen erfahren.
Nachtrag, 15.40 Uhr: “Zeit Online” hat in der Dachzeile “Polen” gegen “Raumfahrt” ausgetauscht.
Politiker würden fast alles tun, um in die Medien zu kommen. Und die Medien lieben außergewöhnliche Politikerfotos: Helmut Kohl mit wechselndenTierenamWolfgangsee, George W. Bush auf dem Flugzeugträger, Karl-Theodor zu Guttenberg am Times Square.
Den Namen Arturas Zuokas werden sich wohl auch in Zukunft die Wenigsten merken können, aber das Bild, wie der Bürgermeister der litauischen Hauptstadt Vilnius im Panzerwagen über einen falsch geparkten Mercedes fährt, das geht jetzt um die Welt und wird in Erinnerung bleiben.
Um zu beweisen, dass er es ernst meint, griff der Politiker zur Brachialmethode.
Vor geladenen Medienvertretern walzte das Stadtoberhaupt höchstpersönlich mit einem russischen Panzer eine auf einem Radweg abgestellte Luxuslimousine platt.
Im dazugehörigen Video beschreibt der Off-Sprecher die Szenerie so:
Zurück bleibt ein schrottreifer Benz und ein Besitzer, der dieses Schicksal offensichtlich nicht fassen kann. Zur Belehrung seines Bürgermeisters kann der Mann mit Goldkette nur entschuldigend nicken.
Die gute Nachricht für Bild.de zuerst: Arturas Zuokas ist tatsächlich mit einem Panzer über einen Mercedes gefahren. Das würde aber wohl auch in Litauen den Straftatbestand der Sachbeschädigung erfüllen.
Die Hintergründe der Aktion stellen sich – und damit zur schlechten Nachricht für Bild.de – dann auch ein bisschen anders dar, wie AFP schreibt:
Ein Schauspieler, der die Rolle des Autobesitzers spielte, bekam von Zuokas anschließend eine Lektion verpasst und schaute angemessen bedröppelt drein.
Das Auto wurde extra für den Stunt gebraucht gekauft, teilte das Rathaus mit.
Die außergewöhnliche Aktion wurde gemeinsam mit den Machern der schwedischen Fernsehsendung “99 Dinge, die man tun muss, bevor man stirbt” entwickelt, die im Oktober ausgestrahlt werden soll.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Zeitungsstreik: Solidarität? Wieso, weshalb, warum?” (pushthebutton.de, Hardy Prothmann)
Hardy Prothmann listet die Verdienste während seiner Karriere als freier Journalist auf und fragt sich, warum er sich solidarisch zeigen soll mit den festangestellten, derzeit streikenden Kollegen: “Ich werfe den meisten von ihnen Kumpanei, Mittäterschaft, Honorar-Dumping, Untertanentum, Eitelkeit, Überheblichkeit, Weltentrücktheit und Respektlosigkeit vor.”
2. “Am längeren Hebel der Empörungsmaschine” (coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Gestern verlinkten wir an dieser Stelle einen Text von Christoph Schwennicke, der sich über die rituelle Empörung von Politikern nach besonderen Ereignissen beklagte. “Elf Stunden später stellte sich heraus: Auch bei ‘Spiegel Online’ haben sie so eine Empörungsmaschine — und Christoph Schwennicke hat offensichtlich Zugang zu ihr.” Siehe dazu auch “Nachgefragt: So denken die Bürger über Geißlers Goebbels-Zitat” (der-postillon.com, Satire).
3. “Die Welt ist ein Fischerdorf” (muel.ch, Samuel Burri)
Samuel Burri vergleicht zwei Korrespondenentexte über ein afrikanisches Dorf. In beiden wird die gleiche Szenerie beschrieben. Auf Anfrage schreibt einer der Autoren: “Der Einstieg war eigentlich länger aber wurde, wie das ganze Stück, stärker gekürzt. Und ja, der Text des Kollegen war mir bekannt und Teil meiner Notizen.”
4. “Deutsche Sender? Nein, danke” (tagesspiegel.de, Andreas Maisch)
“Die in Deutschland lebenden Türken sehen und hören überwiegend türkischsprachige Medien.”
5. “… die sprechen alle Deutsch” (ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)
Roberto J. De Lapuente macht sich Gedanken über Deutsche, die in Spanien deutschsprachige Ärzte konsultieren, “Bild” nicht. “Diesem doppelmoralischen Dilemma entkäme man jetzt nur, wenn man öffentlich dazu aufrufen würde, dass verrentnerte Deutsche, die ihr Domizil ins Ausland verlegt haben, gefälligst die Heimatsprache zu büffeln haben – das alles im Sinne der Integration und des Respekts gegenüber den Gastgebern.”