Archiv für Juni 21st, 2011

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Wer stoppt diesen Irrsinn?

Die Geschichte kennt mittlerweile jeder Opa: Als sie via Facebook zu ihrer Geburtstagsfeier einladen wollte, legte die damals 15-jährige Thessa aus Hamburg versehentlich eine “öffentliche Veranstaltung” an — und mehr als 14.000 Leute sagten zu. Obwohl ich Facebook recht intensiv nutze, hätte ich von der Einladung womöglich nie etwas mitbekommen, bis die Medien anfingen, darüber zu berichten. Und diese Berichte wiederum Verbreitung bei Facebook fanden.

Letztlich kamen rund 1.600 Besucher nach Hamburg-Bramfeld, wo ein privater Sicherheitsdienst, rund 100 Polizisten inklusive Reiterstaffel und etliche Kamerateams auf sie warteten. Es kam zu Sachbeschädigungen, elf Personen mussten in Polizeigewahrsam. Der Pressesprecher der Hamburger Polizei sagte dem NDR-Medienmagazin “Zapp”, die Polizei gehe davon aus, dass die intensive Medienberichterstattung “das Ganze etwas angeheizt” habe.

Seit diesem Vorfall zirkulieren angeblich vermehrt (absichtliche) Einladungen zu unangemeldeten Großveranstaltungen in sozialen Netzwerken — und die Medien, die nichts aus ihrer Handlangerschaft gelernt haben, trommeln fröhlich weiter dafür.

Das hässliche Gesicht von Facebook. Wer stoppt diesen Irrsinn?

So berichtete “Bild” in NRW gestern über den “Irrsinn”, der sich in Wuppertal ereignet hatte, als am vergangenen Freitag rund 800 Menschen zu einer per Facebook angekündigten Flashmobparty im Stadtteil Ronsdorf aufliefen. Direkt nach der Bilanz der Polizei (“41 Festnahmen, 16 Verletzte”), schreibt “Bild” bedeutungsschwer:

Und die nächste Party ist im Internet schon ausgerufen.

Und nicht nur im Internet, denn “Bild” nennt das genaue Datum, die genaue Uhrzeit und den genauen Ort für die geplante Party, sowie sicherheitshalber auch noch den Titel, unter dem man die Veranstaltung bei Facebook finden kann. Statt der 900 User, von denen “Bild” gestern schrieb, haben derzeit schon mehr als 1.600 ihr Kommen angekündigt.

Eine Sprecherin der Stadt Wuppertal bezeichnete die mediale Berichterstattung im Vorfeld als “kontraproduktiv”. Die Medien, zu denen nicht nur “Bild”, sondern auch Radio- und Fernsehstationen gehörten, würden “indirekt extreme Werbung” für die Veranstaltung machen, eine “zurückhaltendere Berichterstattung wäre wünschenswert”.

Doch auch heute berichtet “Bild” in der NRW-Ausgabe über die “Facebook-Party-Randale” in Wuppertal und zeigt dabei einen Screenshot von der Veranstaltungsseite auf Facebook, damit auch der dümmste User sichergehen kann, dass er nicht bei der falschen geplanten (inzwischen von der Stadt untersagten) Party zusagt.

Und wer nicht den weiten Weg nach Wuppertal auf sich nehmen will, für den hat “Bild” noch andere … äh: Veranstaltungstipps. Für zwei weitere geplante Flashmobs (von denen einer tendenziell eher harmlos ist) in Gelsenkirchen und Marl nennt die Zeitung die Termine und die genauen Veranstaltungsorte.

Spiegel Online, Blödmaschinen, Griechen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Spiel, Spaß, Spannung, ‘Spiegel Online'”
(stefan-niggemeier.de)
“Spiegel Online” wünscht sich von den Ereignissen, dass sie spannend sind. “Vielleicht hätten sie beim ZDF, sobald sie ahnten, dass die Intendanten-Wahl so glatt über die Bühne gehen würde, wenigstens das Fernsehballett einladen können oder gefährliche Tiere oder Lady Gaga, und zwar am besten ohne Anlass, damit ‘Spiegel Online’ aufgeregt ‘Überraschung bei der Intendantenwahl’ titeln könnte.”

2. “Ihr könnt nach Hause fahr’n”
(11freunde.de, Dominik Drutschmann)
Auf Antrag werden die anwesenden Journalisten von der Jahreshauptversammlung des Fußballvereins Schalke 04 ausgeschlossen. Bleiben darf nur, wer Mitglied des Vereins ist.

3. “Print Bam Bino für die Kunden von morgen”
(welt.de, Marc Reichwein)
Mit Titeln wie “Dein Spiegel”, “Geolino” oder “mare Ahoi” betreiben Printverlage eine Aktivinvestition in die Lese-Sozialisiation von Kindern. “Wer eine ganze Kindheit & Jugend weitgehend printmedienabstinent war, wird sich den regelmäßigen Konsum von Zeitungen und Zeitschriften wohl auch als Erwachsener kaum noch angewöhnen.”

4. “Der letzte Dreck”
(dradio.de, Ariadne von Schirach)
Ariadne von Schirach entdeckt in den 780 Seiten von “Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität” von Markus Metz und Georg Seeßlen “brillante Analyse, polemische Anklage und undifferenziertes Geraune”. “Die obszöne Totalität einer blödmaschinenenvermittelten Wirklichkeit führt bei Metz und Seeßlen zu einem ebenfalls obszönen Exzess an Kritik.”

5. “Jon Stewart Eviscerates Fox News On Fox News”
(gothamist.com, Video, 24:11 Minuten, englisch)
Jon Stewart zu Besuch bei Chris Wallace von “Fox News Sunday”. Sie sprechen über das Fox-News-Motto “Fair & Balanced”, über die Agenda von Medien, über die Aufmerksamkeit im Fall Anthony Weiner.

6. “Das griechische Volk ist unschuldig”
(zeit.de, Zacharias Zacharakis)
Griechenland: Zacharias Zacharakis stellt fest, dass nicht die einfachen Leute, sondern die Elite für die Schuldenkrise verantwortlich ist. “Die Griechen fühlen sich betrogen von den Eliten des Landes, die am stärksten von dem weitverbreiteten System der Korruption profitiert haben. Ganz am Ende dieser Nahrungskette standen immer die einfachen Leute, die für Arztbesuche, für Behördengänge, dafür, dass ihre Angelegenheiten überhaupt erledigt wurden, in das korrupte System einzahlen mussten, auch wenn es sich oft um geringe Beträge handelte. Profitiert haben davon Beamte, Ärzte, Notare, Anwälte, die dieses Geld nahmen und davon Ferienhäuser und Autos kauften.”