Archiv für Mai 30th, 2011

Rüple Nachrede

Der brasilianische Abwehrspieler Rafinha wechselt vom FC Genua zum FC Bayern München.

Doch wer ist dieser Rafinha überhaupt? Bild.de erklärt es uns:

Während seiner Zeit auf Schalke (2005 bis 2010) wurde Rafinha als “Rüpel” und “schlimmster Profi der Liga” tituliert, zur Symbolfigur eines egoistischen Haufens stilisiert.

Dass er zu den Eifrigsten im Training gehörte, einen außergewöhnlichen Ehrgeiz hat und seit Jahren mit seiner dynamischen Spielweise zu den Stammkräften in seinen Teams gehörte, wurde darüber vergessen.

Und wer ha… Ach, Sie wissen ja eh, was jetzt kommt:

Manager Müller plötzlich knallhart: Geldstrafe für Rüpel Rafinha
(16. Februar 2009)

Rafinha Papa! Wird Schalkes Rüpel jetzt ganz lieb?
(18. Februar 2009)

Urlaub in Brasilien verlängert: Rafinha: Nächste Extrawurst für Schalkes Problem-Brasilianer
(11. September 2009)

Stinkstiefel-Abschied: Rafinha tritt gegen Schalke nach
(8. August 2010)

Der “schlimmste Profi der Liga” kam nicht von Bild.de — das war das “Bild”-Schwesterblatt “B.Z.”:

Draufgänger Rafinha: Der schlimmste Profi der Liga

Mit Dank an Stefan J. und Frederik Sch.

Flieger, grüß mir die Pinguine

Boulevardjournalismus besteht im wesentlichen daraus, unspektakuläre Geschichten spektakulär zu verpacken. Manchmal passiert es aber, dass auch ohnehin schon spektakuläre Geschichten noch spektakulärer verpackt werden — und dann meist völlig lächerlich wirken.

Die australische “Sunday Herald Sun” berichtete gestern über einen Vorfall, der sich im vergangenen Dezember zugetragen hatte: Ein Pilot in Ausbildung hatte an Bord seiner einmotorigen Maschine das Bewusstsein verloren und bewusstlos ca. 250 Kilometer zurückgelegt.

“Etwa 55 Minuten später kam er wieder zu Bewusstsein, über dem Wasser und unklar über seine Position”, führt der Bericht aus.

Tatsächlich hatte das Flugzeug Parafield komplett verfehlt und war auf seinem Weg hinaus aufs offene Meer der Großen Australischen Bucht, nachdem es Aldinga südlich von Adelaide verfehlt hatte.

(Übersetzung von uns.)

Mithilfe der Flugsicherung von Adelaide fand der Pilot seinen Weg zurück zu seinem Zielflughafen in Parafield.

Die “Sunday Herald Sun” zitiert einen Fluglehrer mit den Worten, der junge Mann habe nur noch Benzin für 60 Minuten an Bord gehabt und wäre dann einfach irgendwo ins Meer gestürzt.

Klingt doch schon ganz spektakulär, oder?

Nicht spektakulär genug für die Deutsche Presseagentur (dpa). Die dachte sich wahrscheinlich, dass sich eh kein Schwein mit den geographischen Gegebenheiten Südaustraliens auskennt, und wählte für ihre Überschrift einen etwas bekannteren Wegpunkt:

Pilot bewusstlos – Maschine steuerte auf Antarktis zu

Nun kommt nach dem offenen Ozean – nach viiieeel offenem Ozean – tatsächlich irgendwann die Antarktis. Verlängert man die eingeschlagene Flugroute aber einfach immer weiter, dann trifft sie eher auf das südliche Afrika, als auf die Antarktis. So lange wäre die Maschine aber eh nie in der Luft geblieben. Gute Gründe für die “Sunday Herald Sun”, die Antarktis mit keinem Wort zu erwähnen — wenn ein Pilot auf dem Weg von Berlin nach Hamburg bewusstlos würde und erst über der Elbmündung wieder zu sich käme, würde ja auch niemand schreiben, seine Maschine habe auf Grönland zugesteuert.

Australien: Pilot bewusstlos – Maschine steuert auf Antarktis zu

Bild.de ging (wie üblich) noch einen Schritt weiter und behauptete, der Pilot sei “Hunderte Kilometer aufs Meer hinaus Richtung Antarktis” geflogen, obwohl er die allermeisten der 250 bewusstlos geflogenen Kilometer über massivem australischen Festland zurückgelegt hatte.

Und weiter:

Offenbar schlief er ein, doch die Maschine flog in den nächsten 55 Minuten einfach weiter – 250 Kilometer weit Richtung Antarktis.

Oder bis zur Unendlichkeit. Und noch viel weiter.

Mit Dank an Basti, Jochen H. und Tom.

Der Bock ist immer der Gärtner

Vergangene Woche hat sich Bild.de ein Glashaus gebaut:

10 falsch verwendete Wörter: "Mit Fremdwörtern können Sie mir nicht imprägnieren!"

“Sprach-Trainer” Andreas Busch durfte erklären, was für “fiese Sprach-Fallen” es so gibt. Es folgte gar eine Auflistung der “10 am häufigsten falsch verwendeten Wörter” (wie auch immer man die ermitteln will).

Anatol Stefanowitsch, Professor für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg und Betreiber des Sprachblogs, hat sich auf unsere Bitte hin durch die Tipps von Bild.de gekämpft.

Ausführlichere sprachwissenschaftliche Betrachtungen zu den “Sprach-Fallen” wird er im Laufe dieser Woche bei sich im Blog veröffentlichen.

Vorher dokumentiert er bei uns, wie sich Bild.de (nicht) an die eigenen Ratschläge hält:

Theater, Panorama, Überwachung

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Mediale Vorverurteilung”
(dradio.de, Brigitte Baetz)
Vor der erstinstanzlichen Urteilsverkündung im Prozess gegen Jörg Kachelmann stellt Brigitte Baetz fest: “Die Medien übernehmen immer mehr die Rolle eines modernen Prangers. Der Grundsatz, dass jeder zunächst als unschuldig zu gelten hat, scheint in der Berichterstattung immer öfter in den Hintergrund zu rücken.” Berichte in der NZZ und der FAZ stellen Vergleiche zum Theater an.

2. “Ex-‘Handelsblatt Online’-Chefredakteur räumt Plagiate ein”
(sueddeutsche.de, Marc Felix Serrao)
Sven Scheffler, bisheriger Chefredakteur von handelsblatt.de, hat “mitunter ganze Absätze kopiert”. “Warum er abgeschrieben habe, wisse er beim besten Willen nicht mehr: ‘Das war ein Riesenfehler. Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte.’ Er wisse nur, dass er an dem Tag unter enormem Zeitdruck gestanden habe.”

3. “Mal ehrlich, ‘Frankfurter Allgemeine Zeitung’!”
(titanic-magazin.de)
Die Titanic entdeckt eine Bildbeschriftung auf faz.net, die so auch in der Wikipedia zu finden ist. “Die Texte zum zweiten, dritten und vierten Foto der Klickstrecke stehen ja – genau so bei Wikipedia! Bis auf einige kosmetische Änderungen sogar wortwörtlich!”

4. “Tabloid complains about ‘perving’ over Pippa”
(tabloid-watch.blogspot.com, MacGuffin, englisch)
Die Zeile “Sick Germans target royal sister” auf der Titelseite von “Daily Star Sunday” – und was “Bild” damit zu tun hat.

5. 50 Jahre Panorama
(daserste.ndr.de/panorama)
Die ARD-Sendung “Panorama” macht zum 50. Geburtstag Sendungen im Archiv zugänglich. Zu sehen sind nun Berichte wie “Klauen, lügen, schikanieren – Boulevardreporter auf Bilderjagd” (1997), “Piep, peep und Provokation – Wie Kultstars gemacht werden” (1998) oder “Blablabla vom Boulevard – Bild-Kampagne diffamiert Politiker und Parlamente” (2003).

6. “Die Anti-Terror-Lüge”
(gutjahr.biz, Richard Gutjahr)
Richard Gutjahr prüft die Anlässe für Telekommunikationsüberwachung 2009.

Wir basteln uns eine Anti-Lierhaus-Empfehlung

Am Sonntagmorgen meldete der “Spiegel”, dass das oberste Aufsichtsgremium der ARD empfehle, Monica Lierhaus als Botschafterin der ARD-Fernsehlotterie abzulösen. Inzwischen will er das offenbar nicht mehr behaupten.

In der Vorabmeldung des “Spiegel” und in der gedruckten Ausgabe lautet die Meldung noch so:

Das oberste Aufsichtsgremium der ARD empfiehlt, die Fernsehmoderatorin Monica Lierhaus als Werbebotschafterin bei der Fernsehlotterie auszuwechseln. Statt der Moderatorin solle man ein ebenso bekanntes Gesicht finden, das sich allerdings ohne Gage für diese Werbung zur Verfügung stelle, hieß es bei einer Sitzung der Gremienvorsitzendenkonferenz in Stuttgart. (…)

Der “Spiegel” erwähnt erstaunlicherweise nicht, wann diese Sitzung stattgefunden hat: bereits vor acht Wochen, Anfang April. Durch den Verzicht auf jede Zeitangabe kann man die angebliche Empfehlung auch als Reaktion der Gremienvorsitzenden auf den ersten Fernsehauftritt von Lierhaus am vorletzten Sonntag missverstehen.

Das scheint aber nicht die einzige Verkürzung und Zuspitzung zu sein, die der “Spiegel” vorgenommen hat. Nach mehreren Dementis Beteiligter veröffentlichte “Spiegel Online” am Sonntagnachmittag eine neue Version eines Artikels zum Thema, die — ohne das kenntlich zu machen — in einigen Punkten von der bisherigen Darstellung abweicht:

Artikel von 08:02 Uhr Artikel von 16:49 Uhr
Hohe Gage
ARD-Gremien wollen Lierhaus austauschen
Hohe Gage
ARD-Aufseher wollen Lierhaus austauschen
450.000 Euro bekommt Monica Lierhaus als Botschafterin der ARD-Fernsehlotterie – das hat für viele gekündigte Abos und auch intern für Unmut gesorgt. Nun wollen Aufseher in der ARD Lierhaus nach Informationen des SPIEGEL gegen ein “bekanntes Gesicht” austauschen – und künftig ohne Gage auskommen. 450.000 Euro bekommt Monica Lierhaus als Botschafterin der ARD-Fernsehlotterie – das hat intern für Unmut und viele gekündigte Abos gesorgt. Mitglieder eines Aufsichtsgremiums der ARD wollen Lierhaus nach SPIEGEL-Informationen nun gegen ein “bekanntes Gesicht” austauschen lassen.
Stuttgart – Das oberste Aufsichtsgremium der ARD empfiehlt, Moderatorin Monica Lierhaus als Werbebotschafterin bei der Fernsehlotterie auszuwechseln. Statt Lierhaus solle man ein ebenso bekanntes Gesicht finden, das sich allerdings ohne Gage für diese Werbung zur Verfügung stelle, hieß es bei einer Sitzung der Gremienvorsitzendenkonferenz in Stuttgart. (…) Stuttgart – Statt Lierhaus solle man als Botschafterin der ARD-Fernsehlotterie ein ebenso bekanntes Gesicht finden, das sich allerdings ohne Gage für diese Werbung zur Verfügung stelle, heißt es in einem Protokoll des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), in dem auch über Inhalte einer Sitzung der Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) Anfang April in Stuttgart berichtet wird. Das Dokument liegt dem SPIEGEL vor. (…)
Einen formalen Beschluss des Gremiums in der Causa Lierhaus gab es indes nicht. (…)

Ausgerechnet von der “Bild”-Zeitung muss das Nachrichtenmagazin sich heute fragen lassen:

SCHREIBT “DER SPIEGEL” DIE WAHRHEIT ÜBER DIE BELIEBTE MODERATORIN?

Die Frage ist berechtigt.

Nachtrag, 6. Juni. In seiner aktuellen Ausgabe hat der “Spiegel” folgende “Korrektur” veröffentlicht:

Der SPIEGEL hatte berichtet, dass die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK), das oberste Kontrollgremium der ARD, empfohlen habe, Monica Lierhaus als Werbebotschafterin bei der Fernsehlotterie auszuwechseln, und sich dabei auf das Protokoll einer Sitzung des MDR-Rundfunkrats bezogen, in dem dies so stand. Eine derartige formale Empfehlung der GVK hat es nicht gegeben. Allerdings wurde die Causa Lierhaus in der GVK Anfang April hitzig diskutiert. Im GVK-Protokoll ist von einem “erheblichen Unwillen der Gremien” die Rede. Nötigenfalls seien “Konsequenzen zu ziehen”.