Archiv für April 21st, 2011

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Dicke Schamlippe riskiert

Drogen! Korrupte Bullen! Schamlippen!

Bei einem angeblichen “Drogen-Skandal im Polizeipräsidium” waren zwei “Bild”-Redakteure derart in ihrem Element und dazu auch noch so urteilsschnell, dass man sich fragt, warum überhaupt noch ermittelt wird.

Bereits die Überschrift lässt eigentlich keinen Zweifel daran, dass die Schuldigen bereits überführt sind:

Mainzer Polizisten klauen Rauschgift und Geld aus Asservatenkammer: Drogen-Skandal im Polizei-Präsidium

“Bild” spart nicht an Superlativen, Ausrufezeichen und Vorwürfen:

Es ist DER absolute Sicherheits-Gau, ein Polizei-Skandal unfassbaren Ausmaßes! Im Mainzer Polizeipräsidium sollen Ermittler Drogen und Geld aus der Asservatenkammer geklaut haben! Um sich zu bereichern – und den Stoff zu konsumieren!

Doch die Situation stellt sich dann doch deutlich anders dar, wie die “Rhein-Zeitung” heute schreibt:

Wenn bei der Polizei 1200 Euro und ein Tütchen mit Aufputschmitteln verschwinden, ist das sicherlich eine ernste Sache.

Fünf Kamerateams und ein Dutzend Zeitungs- und Rundfunkreporter strömen deshalb noch lange nicht ins Präsidium. Dafür muss schon der Boulevard mit einem “Drogen-Skandal” titeln, gewürzt mit Details tief im Schambereich der Betroffenen. Das füllt die eiligst anberaumte Pressekonferenz, bei der der Leitende Oberstaatsanwalt Klaus-Peter Mieth versichert: Der Artikel in der “Bild”-Zeitung sei “relativ wenig zutreffend”.

Dabei schien “Bild” doch so genau Bescheid zu wissen. Oder zumindest irgendwelche “Informationen” aufgespürt zu haben, inklusive der “Details tief im Schambereich”:

Nach BILD-Informationen sollen die Polizisten Heroin, Kokain, Amphetamin, Hasch und Geld geklaut haben! Unglaublich: Die Polizistin soll Heroin selbst konsumiert haben, es sich in die Schamlippen gespritzt haben – um Einstichspuren an den Armvenen zu vermeiden.

Bei der Pressekonferenz stellen Oberstaatsanwalt und Polizeipräsident klar:

Drogen sind außer den 116 Gramm Amphetamin auch nicht verschwunden. Kein Heroin, kein Kokain, wie “Bild” behauptet hat.

Und das Spiel geht so weiter. “Bild” behauptete:

Die drei Beamten wurden nach Polizeiangaben an einen anderen Arbeitsplatz versetzt. Die Polizistin wurde in die Psychiatrie der Rheinhessen-Klinik eingewiesen.

Oberstaatsanwalt und Polizeipräsident sagen laut “Rhein-Zeitung”:

Zwar werde ermittelt, aber gegen unbekannt.

Vier Beamte seien im Fokus, aber eben nur deshalb, weil gerade sie Zugang zu der Asservatenkammer des Präsidiums haben. Suspendiert ist keiner, er habe die drei hauptamtlichen Mitarbeiter der Asservatenkammer “aus Fürsorgegründen” in andere “Verwendungen” innerhalb der Kriminaldirektion geschickt. (…)

Es wurde auch keine Beamtin in die Nervenklinik “eingewiesen”. Vielmehr habe die stationäre Behandlung der Frau schon begonnen, bevor Geld und Drogen überhaupt vermisst wurden.

“Bild”:

Alle 3 erwartet ein Strafverfahren, der Ausschluss aus dem Polizeidienst sowie der Verlust der Beamtenpension.

Dabei ist nach derzeitigem Stand noch nicht einmal sicher, ob überhaupt Drogen verschwunden sind. Der Oberstaatsanwalt gegenüber “Spiegel Online”:

Zum verschwundenen Amphetamin sagte Mieth, er gehe nicht zwingend von einem Diebstahl aus. “Es ist aus meiner Sicht nicht ausgeschlossen, dass das Material tatsächlich zu uns gelangt ist.” Im täglichen Dienst geschehe es immer wieder, dass Asservate bei ihrem Weg in andere Behörden falsch zugeordnet würden.

Egal, zu welchem Ergebnis die Ermittlungen führen, einen Skandal gibt es tatsächlich schon jetzt: die reißerische und vorverurteilende Berichterstattung von “Bild”.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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Knapp bekleidet ist auch vorbei

Wenn “Bild” so überhaupt keine Argumente hat, fragt die Zeitung gerne mal, ob es denn sonst keine Probleme gäbe.

Barbara Steffens, die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter in NRW, bekam diese Frage gestern gleich mehrfach um die Ohren gehauen:

Verlierer: 
Hat die keine anderen Sorgen? NRW-Emanzipationsministerin Barbara Steffens (49, Grüne) kämpft gegen internationale Turnier-Vorschriften, die z.B. für Badminton-Spielerinnen Röcke und für Beachvolleyballerinnen Bikinis vorschreiben. Das sei "jämmerlich", "inakzeptabel" und "sexistisch". BILD meint: Balla-balla! Keine anderen Probleme...? Ministerin schießt gegen kurze Sport-Röcke. Düsseldorf - Haben Sie keine anderen Sorgen, Frau Ministerin?

Die Ministerin hatte eine neue Regelung der Badminton World Federation kritisiert, die vorsieht, dass Frauen ab dem Grand-Prix-Level nur noch Röcke und Kleider tragen dürfen. In ihrer Pressemitteilung schrieb Steffens:

Ob in Shorts oder in Röcken, die Leistung muss stimmen, nicht die Kürze des Rockes! Von oben herab etwas zu dirigieren und die Sportlerinnen für eigene Zwecke zu instrumentalisieren darf einfach nicht sein! Umso erfreulicher ist es, dass der Deutsche Badminton-Verband diese Regeln bisher nicht aufgegriffen hat, hier können Frauen noch in dem Dress spielen, in dem sie möchten.

Steffens ist also gegen die Vorschrift, dass die Sportlerinnen knappe Kleidung tragen müssen, nicht gegen die Kleidung an sich. Aber schon der Gedanke, dass die Spielerinnen keine “sexy Badminton-Röcke” mehr tragen könnten, muss “Bild” schwer getroffen haben — denn wenn sich die männlichen Redakteure eines nicht nehmen lassen wollen, dann ja wohl Sexismus beim Sport.

Nahezu folgerichtig, dass “Bild” die Ministerin deshalb als Spielverderberin der männlichen Zuschauer an den Pranger stellt:

Kurze Röcken und knappe Bikinis auf sportlich trainierten Körpern – was vor allem die männlichen Zuschauer von Sportarten wie Beach-Volleyball erfreut, bringt NRW-Emanzipationsministerin Barbara Steffens (49, Grüne) aus der Fassung.

Interessanterweise ist es ausgerechnet der “erfreuende” Dresscode im Beach-Volleyball, den Barbara Steffens als “Extrembeispiel” bezeichnet hatte:

Die offizielle Kleidervorschrift für Frauen beim Beachvolleyball ist, dass die Bikini-Höschen an der Seite nur sieben cm breit sein dürfen. Ich bezweifele, dass diese Regelung nur aus sportlichem Gedanken im Sinne der Bewegungsfreiheit getroffen wurde.

“Bild” hat derweil schon ganz andere Gedanken:

Als Regierungsmitglied könne Steffens übrigens jederzeit ein Gesetz zur “Kleiderordnung in Frauensportarten” auf den Weg bringen – oder am besten gleich für alle Frauen eine solche Ordnung entwerfen.

Natürlich könnte Steffens ein solches Gesetz “auf den Weg bringen”: Dafür müsste sie einen Referentenentwurf über eine Kleiderordnung im Frauensport entwickeln lassen, diesen ins Kabinett einbringen und beispielsweise einen Fachausschuss darüber beraten lassen — ihr stünde also ein langer Weg bis ins Plenum bevor. Wie ein Gesetzentwurf zu einer Kleiderordnung aussähe, den die “Bild”-Redakteure entwickelt haben, dürfte klar sein.

Mit Dank an I.M.

Tür an Tür in Donnice

Die Website der “Hamburger Morgenpost” schreibt über Howard Carpendale:

Auch der Schlager-Star, der in Donnice Pierce in Florida lebt, liebt seinen Sohn: "Wayne ist mein bester Freund. Er hat mir einmal das Leben gerettet, als es mir psychisch sehr schlecht ging."

In Donnice Pierce, aha.

Mit Dank an Thomas.

Nachtrag, 12.40 Uhr: mopo.de schreibt jetzt vom “Schlager-Star, der mit seiner Frau Donnice Pierce in Florida lebt”.

Statistiken, Streubomben, Ghostwriter

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Yang ohne Yin”
(heise.de/tp, Reinhard Jellen)
Buchautor Jens Jürgen Korff gibt Tipps, wie man manipulierte Statistiken erkennen kann: “Schauen Sie zum Beispiel bei einer Grafik, wo die y-Achse beginnt. Wenn Sie eine Trendlinie sehen, schauen Sie nach, auf wie vielen Werten sie beruht. Liegen die Daten zur Grafik auch als Tabelle vor? Wenn nein, warum nicht?”

2. “Mensch statt Maschine”
(timklimes.de, Video, 2:44 Minuten)
Wie Redakteure von tagesschau.de zur Recherche auf Twitter gekommen sind. Und wie sie selbst twittern.

3. “BILD hetzt wieder gegen Hartzer”
(blog.atari-frosch.de)
Eine kritische Auseinandersetzung mit der Berichterstattung von “Bild” zu Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger: “Ich möchte mal BILD-Mitarbeiter sehen, die zum 50. Mal einen Einführungskurs in Word oder ein Bewerbertraining mitmachen sollen, ob sie nicht irgendwann mal durchdrehen und sagen, ihr könnt mich mal.”

4. “Letzte Fragen zu Medienkompetenz und Facebook”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
An einer Diskussionsveranstaltung wird Dietrich von Klaeden vom Axel-Springer-Verlag mit dem Vorwurf konfrontiert, dass namentlich “Bild” Facebook-Fotos ohne Rechtsgrundlage verwendet. Er widerspricht und sichert Unterstützung zu: “Wer einen Rechtsverstoß geltend machen möchte, kann das gerne nachher bei mir tun. Ich leite das dann gerne alles weiter. Ich meine das ganz im Ernst. Ich werde dann dafür sorgen, dass das in Ordnung kommt.”

5. “Gadhafi’s Cluster Bombs–and Uncle Sam’s”
(fair.org, Jim Naureckas, englisch)
Wie die “New York Times” über den Einsatz von Streubomben durch die Truppen von Muammar al-Gaddafi berichtet. Und dann auch noch erwähnt, dass die USA ebenfalls solche eingesetzt hat – “in battlefield situations in Afghanistan and Iraq, and in a strike on suspected militants in Yemen in 2009”.

6. “Der Ghostwriter”
(tagesanzeiger.ch, Raffael Schuppisser)
Achim H. Pollert hat noch nie eine Universität von innen gesehen. Trotzdem schreibt er für seine Auftraggeber Seminararbeiten, Lizenziatsarbeiten, Doktorarbeiten: “Pollerts erste akademische Auftragsarbeit war gleich eine Dissertation. (…) Erstaunt hat Pollert vor allem, wie wenig fachliche Kenntnisse eigentlich nötig seien, um eine Doktorarbeit zu schreiben, aber mit wie viel formalem Aufwand das verbunden war.”