Archiv für April 8th, 2011

Vollpfosten

Wohl weil sie bei Bild.de ihren Lesern nicht zutrauen, dramatische Handyfilme von undramatischen unterscheiden zu können, haben sie es vorsichtshalber gleich mal in die Dachzeile geschrieben:

Dramatischer Handyfilm: Hier fliegt ein Pfeiler in die Autoscheibe
Andererseits sind es unbestreitbar spektakuläre Bilder, auf denen ein am Fahrbahnrand liegendes Kantholz von einem LKW hoch- und durch die Windschutzscheibe eines PKW geschleudert wird. Bilder, die natürlich mal wieder aus dem Internet stammen:

Doch obwohl die Geschichte in den USA recht groß die Runde machte und Bild.de am Ende seines Videos “Powered by ABC News” schreibt, haben sie bei Bild.de offenbar wenig bis nichts begriffen.

So erzählt der leicht schläfrige Off-Sprecher, die Fahrerin des getroffenen Fahrzeugs hab schon vorab die Kamera eingeschaltet, “weil die beiden LKW vor ihr Schlangenlinien fuhren”. Und auch wenn das für die Geschichte nicht wirklich wichtig ist: Die Fahrerin Wendy Cobb hatte gegenüber dem Autoblog jalopnik.com etwas ganz anderes angegeben, wie auch ABC News zitiert:

Ich habe eigentlich die beiden LKW aufgenommen, die sich ein kleines “Elefantenrennen” lieferten und den Verkehr aufhielten. (Ich sage immer, ich schicke das an die Firmen, für die sie arbeiten, um diese wissen zu lassen, wie die Fahrer die Firma repräsentieren, aber ich mache das nie. Ich kann mir nicht helfen — ich arbeite im Marketing und denke deshalb über solche Sachen nach.)

(Übersetzung von uns.)

Doch dann wird Bild.de in dem Bestreben, den dramatischen Bildern einen wissenschaftlichen Überbau zu verpassen, vollends wahllos: Ein “Versuch mit Crash-Test-Dummies” soll zeigen, wie “der Einschlag eines Pfeilers bei nur 40 km/h” aussieht.

Den Versuch hat Bild.de – warum auch immer – der Fernsehserie “Mythbusters” entnommen und er zeigt, wie ein Stück Autoreifen bei 40 Meilen pro Stunde (rund 65 km/h) durch eine Scheibe geschossen wird.

Der Off-Text hat mit den gezeigten Bildern also vergleichsweise wenig zu tun, aber es bleibt natürlich ein “dramatischer Handyfilm”.

Mit Dank an Alexander H.

Schleichwerbung, Habermas, Trollkommentare

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Schleichwerbung in allen Bereichen”
(meedia.de, Henning Ohlsen)
Henning Ohlsen spricht mit Andreas Eickelkamp über die Spitze des Eisbergs bei der Schleichwerbung: “Wenn man es auf alle deutschen Tageszeitungen hoch rechnet, hat man pro Jahr zwischen 2.000 und 3.000 Schleichwerbeverdachtsfälle – allein auf Ratgeberseiten von deutschen Tageszeitungen. Da sind Auto-, Reise und Immobilienzeitschriften noch gar nicht dabei.”

2. “Geheime Ufo-Akten in der Bild-Zeitung”
(blog.gwup.net, Bernd Harder)
Bernd Harder beschäftigt sich mit dem Bild.de-Artikel “Geheime Alien-Archive des FBI geöffnet”.

3. “10 Schlüssel zu einem besseren Onlinejournalismus”
(davidbauer.ch)
David Bauer hat zehn Ideen, wie der Onlinejournalismus besser werden könnte.

4. “Symbolbilder nicht gekennzeichnet”
(persoenlich.com)
Die Schweizer “Tagesschau” blendet in einem Beitrag über Depressionen und Stigmatisierung den ehemaligen Pressechef des Finanzdepartements ein, ohne die Bilder als Symbolbilder zu kennzeichnen.

5. Ein Pakt für oder gegen Europa?
(sueddeutsche.de, Jürgen Habermas)
Jürgen Habermas schreibt im SZ-Feuilleton von gestern einen langen Text über die Entmündigung der Bürger in Europa. Zur Sprache kommt auch das Unbehagen an der politisch-medialen Klasse: “Die Medien sind am beklagenswerten Gestaltwandel der Politik nicht unbeteiligt. Einerseits lassen sich die Politiker vom sanften Zwang der Medien zu kurzatmigen Selbstinszenierungen verführen. Andererseits lässt sich die Programmgestaltung der Medien selbst von der Hast dieses Okkasionalismus anstecken.”

6. “Argumentieren erzeugt immer nur mehr Hass!”
(jetzt.sueddeutsche.de, Anja Schauberger)
Leah Bretz erklärt, warum hatr.org gegründet wurde: “Um spannende und konstruktive Diskussionen auf den Blogs zu wahren und den Hass durch einfaches Löschen nicht nur unsichtbar zu machen und die Wut und Frustration darüber nur herunterzuschlucken, können die Trollkommentare jetzt auf hatr.org verschoben werden, wo sie öffentlich zu sehen sind und subversiv genutzt werden können.”