Archiv für April 5th, 2011

Fäkaler Irrtum

Aufgrund des Erscheinungsdatums konnte man leicht für einen Aprilscherz halten, was Bild.de am Freitag über Britney Spears berichtete:

Ihr Stunt für die "Jackass"-Crew Britney Spears: Bungee-Jumping im Dixi-Klo!

Aber Bild.de meint es offenbar ernst:

Popstar Britney Spears (…) hat einen Bungee-Jump der etwas anderen Art gewagt: In einem gut gefüllten Dixi-Klo ließ sie sich mit einem Katapult zum Himmel schießen.

Sie tat es für die “Jackass”-Crew, die mit ihren irren Stunts zum Kult wurde.

Immerhin klärt Bild.de teilweise über die Hintergründe auf:

Für Britney eine PR-Aktion, denn gerade ist ihr neues Album “Femme Fatale” erschienen – auch wenn sie hier eher die “Femme Fäkal” gibt.

Doch ganz so schlimm wie es aussieht war es dann doch nicht: In Wirklichkeit alles nur Wasser und ein bisschen Toilettenpapier!

Bild.de verschweigt seinen Lesern aber, dass “in Wirklichkeit” nicht nur “alles nur Wasser und ein bisschen Toilettenpapier” war, sondern der ganze Stunt ein Fake. Dazu wurde der Bungee-Sprung von Steve-O aus dem Film “Jackass 3D” mit einigen Britney-Spears-Szenen neu zusammengeschnitten. Wer einen starken Magen hat, kann das Fake-Video mit dem Original vergleichen.

Bis auf Bild.de und Blick.ch haben das auch die meisten anderen Medien verstanden, die – warum auch immer – darüber berichteten.

Mit Dank an Conny S.

dpa  

Idiotentest

Die Frage, ob ein Fußballverein in jedem Spiel drei Punkte holt oder alle drei Spiele einen Punkt, macht den Unterschied zwischen Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach aus.

Die Frage, ob die Deutschen Autofahrer pro Minute 20 Punkte in Flensburg sammeln oder alle zwanzig Minuten einen Punkt, macht den Unterschied zwischen einer dpa-Meldung von 17.21 Uhr und einer von 14.50 Uhr aus.

Am Freitag hatte das Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg seinen Jahresbericht vorgestellt und auf Seite 38 (PDF) dieses anschauliche Bild gebracht:

Im Jahr 2010 wurden Verkehrsdelikte “im Wert von” schätzungsweise 10,5 Millionen Punkten an das [Verkehrszentralregister] gemeldet (siehe Diagramm 15). Damit sind 2010 rein rechnerisch in jeder Minute rund 20 Punkte für Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung vergeben worden.

Die Deutsche Presseagentur (dpa) muss das irgendwie falsch verstanden haben, weswegen sie um 14.50 eine Meldung verschickte, deren Überschrift schon nichts Gutes verhieß:

Alle 20 Minuten gibt’s einen Punkt in Flensburg

Männer sind die größeren Sünder im Verkehr: Im Flensburger Punkteregister liegen sie mit 78 Prozent deutlich vorn. Auch die Art der Regelübertretungen variiert nach Geschlecht.

Flensburg (dpa) – Die Zahl der Verkehrssünder ist im vergangenen Jahr erneut angestiegen. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg verzeichnete 2010 einen Zuwachs um 31 000 auf knapp neun Millionen Autofahrer mit Sündenregister, sagte sein Präsident Ekhard Zinke am Freitag. Laut KBA-Jahresbericht wuchs die Zahl der Punkte damit um 0,3 Prozent – alle 20 Minuten kam ein Punkt dazu.

Kurze Zeit später stand der Fehler zum Beispiel beim “Handelsblatt”, dem “General-Anzeiger Bonn”, dem “Wiesbadener Kurier”, der “Nordwestzeitung”, den “Ruhr Nachrichten” und bei n-tv.de online — und am nächsten Tag auf der Titelseite der “Berliner Morgenpost”.

Zweieinhalb Stunden später verschickte dpa dann einen neuen Artikel — nicht etwa eine Korrektur des ersten, aber einen, in dem die Statistik plötzlich stimmte:

2010 stieg die Gesamtzahl nur leicht um 0,3 Prozent, das sind ungefähr 31 000 Verkehrssünder mehr. Insgesamt sind dort nun knapp neun Millionen Autofahrer registriert. Rechnerisch wurden jede Minute 20 Punkte vergeben.

Wer also lang genug gewartet hatte, war auf der richtigen Seite, so etwa stern.de oder auto-motor-und-sport.de.

Die anderen Medien haben noch nicht gemerkt, dass der erste dpa-Artikel falsch war — auch wenn dieses Wissen erfahrungsgemäß nicht zwingend zu einer Korrektur auf ihren Webseiten führen würde.

Mit Dank an Tom und Matthias T.

Nachtrag, 17.05 Uhr: Der “Wiesbadener Kurier” und die “Ruhr Nachrichten” haben die Meldung jeweils offline genommen.

2. Nachtrag, 6. April: Bereits gestern um 16.56 Uhr hat dpa eine Korrekturfassung des fehlerhaften Artikels verschickt.

Auf n-tv.de ist der Artikel jetzt offline, die “Berliner Morgenpost” hat ihren Artikel in der Online-Version unauffällig korrigiert.

3. Nachtrag, 7. April: dpa hat uns noch folgende Erklärung für den Fehler geschickt:

Bei der ersten, von der Autorin korrekt angelieferten Meldung war am Desk ein Redigierfehler unterlaufen, den wir bedauern. Dieser Fehler war leider auch später nicht mehr aufgefallen, als der zweite korrekte Bericht gesendet wurde.

Sportfotografen, Hochjazzen, Apple

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Arbeitsplatz: Seitenlinie”
(dradio.de, Frank Ulbricht)
Frank Ulbricht begleitet Sportfotograf Alex Simoes an ein Spiel von Borussia Dortmund, spricht mit Fußballern und fragt langjährige Fotografen, wie sich die Sportfotografie verändert hat. “Zwar sind Zweikämpfe als Motiv noch immer gefragt, doch der Fotograf weiß genau: Bilder mit großen Gesten kommen gut an und verkaufen sich besser.” (MP3-Datei, 28:43 Minuten / Manuskript).

2. “An Schlagzeilen erstickt”
(sueddeutsche.de, Bernd Graff)
Das Atomunglück in Japan: Bernd Graff stellt fest, dass die Aufmerksamkeit für Meldungen “von nicht mehr abzustreitender, nicht mehr zu überbietender Eindringlichkeit” irgendwann nachlässt. Als Medienbeschäftigter sei man “nach Wochen der Zuspitzung und des – ja auch – Hochjazzens von Katastrophenbedeutung in ein Ausdrucksdilemma geraten. Was soll man denn jetzt noch sagen?”

3. “Apple und der Journalismus”
(journalist.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz beschreibt die Beziehung von Journalisten zu Apple: “Während andere Pressemitteilungen zuhauf verschicken müssen, genügt im Fall Apple der Eintrag eines Bloggers in Neufundland, er habe ungesicherte Informationen darüber, dass demnächst das iPhone Nano herauskomme. Für eine größere Geschichte in einem Onlineangebot reicht das allemal.”

4. “Gutenberg für alle”
(freitag.de, Alan Rusbridger)
“Guardian”-Chefredakteur Alan Rusbridger hält das Netz für eine große Chance für den Journalismus. “Sicher ist vieles belanglos. Wenn man aber glaubt, der Kurzmitteilungsdienst Twitter habe nichts mit dem Nachrichtengeschäft zu tun, liegt man so falsch wie nur irgend möglich.”

5. “Einfacher Einfluss auf Artikel überrascht”
(meedia.de, Alexander Becker)
Sebastian Heiser spricht über seine Schleichwerbe-Recherche: “Insgesamt war es vielleicht netto ein Monat Arbeitszeit, aber nicht am Stück, sondern gestreckt über einen längeren Zeitraum.”

6. “Unregelmäßiger Sex kann tödlich sein!”
(medien-doktor.de)
Medien-doktor.de analysiert einen Gesundheitsartikel von Bild.de: “Wir haben Verständnis dafür, dass der Text das Risiko durch Sex aus publizistischen Gründen in den Mittelpunkt stellt (Titel: Unregelmäßiger Sex kann tödlich sein!), halten dies in diesem Fall aber für unangebracht, angesichts des tatsächlich verschwindend geringen Risikos. Unpassend ist zudem das begleitende Foto, auf dem ein junges Paar beim Sex gezeigt wird, obwohl das Durchschnittsalter der untersuchten Personen um die 60 Jahre war.”