Archiv für Februar 25th, 2011

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Hochstaplerfahrer Paul

“Bild” wirkt heute überrascht:

Es war der Tag nach der Rede-Schlacht – aber die Opposition lässt Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (39, CSU) keine Ruhe!

Ganz so, als sei davon auszugehen gewesen, dass nach dem großen Schlagabtausch über die Doktorarbeit des Ministers alle zur Tagesordnung übergehen und die Opposition die Regierung auch mal lobt.

Über die gestrige Parlamentsdebatte zur Aussetzung der Wehrpflicht schreibt Paul Ronzheimer, “Bild”-Experte für Verhöhnung:

Dann spricht SPD-Chef Sigmar Gabriel (51)! Er will nicht über die Wehrpflicht reden.

Gabriel nennt Guttenberg "Hochstapler"Ob Gabriel wollte oder nicht: er hat.

Mehr als zehn Minuten sprach Gabriel zum Thema, wie man bei YouTube sehen und im Sitzungsprotokoll nachlesen kann.

Er lobte die Aussetzung der Wehrpflicht, die die SPD schon 2007 gefordert hätte; warf dem Minister vor, auf Kosten der Sicherheit der Soldaten sparen zu wollen; vermisste ein Konzept, das über “wolkige Formulierungen” hinausgeht; kritisierte die Ansage “No risk, no fun”, die Angela Merkel gegenüber Kommandeuren gemacht hatte; zitierte Bundeswehrkreise, die sich besorgt über die geplante Reform geäußert hatten; forderte zu Guttenberg auf, die Reform so lange zu verschieben, bis der wisse, “wie Sie das machen wollen”.

Erst dann wandte sich Gabriel an die Bundeskanzlerin und bat sie: “Muten Sie uns und der Bundeswehr und sich und unserem Land dieses unwürdige Schauspiel, das wir seit Wochen mit Ihrem Verteidigungsminister erleben, nicht länger zu!”

Ronzheimer berichtet:

Der SPD-Chef spottet über Guttenberg: “Jeder weiß, dass wir es mit einem Hochstapler zu tun haben.” Und fügt hinzu: “Vielleicht stellt ja mal jemand einen Strafantrag …”

Die Sitzungsleitung hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (62, CDU). Aber einen Ordnungsruf gibt es wie am Vortag nicht.

Offenbar hätte sich Ronzheimer solche Ordnungsrufe an beiden Tagen gewünscht. Doch dieser zweite Absatz ist aus mehreren Gründen interessant: Zum einen suggeriert “Bild”, Lammert (im Gegensatz zu Guttenberg kein Freund der Zeitung) habe die Sitzungen am Vortag geleitet, was er nicht hatte. Zum anderen stammt die Feststellung, dass es am Mittwoch keine Ordnungsrufe gegeben habe, aus Gabriels Rede selbst:

Es gab keinen Ordnungsruf des Präsidenten, nicht einmal Tumulte oder allzu laute Proteste auf Ihrer Seite, als hier zum ersten Mal in der Geschichte des Parlaments ein amtierender Minister mehrfach von Abgeordneten Lügner, Hochstapler und Betrüger genannt wurde. (…)

Es gab keine große Aufregung bei Ihnen und keinen Ordnungsruf. Frau Bundeskanzlerin, was glauben Sie wohl, warum das so war? Weil jeder hier im Haus wusste, dass das Tatsachenbehauptungen sind.

“Bild” scheint das anders zu sehen.

Mit Dank an Jan D.

Und Du gehst Rüssel an Schwanz hinterher

Seit die Band Wir Sind Helden öffentlich erklärt hat, warum sie nicht an einer “Bild”-Werbekampagne teilnehmen möchte, ist deren Webserver in die Knie gegangen — und unserer ächzt auch schon spürbar. Für einen Moment geriet bei Facebook, Twitter und Co. sogar Karl-Theodor zu Guttenberg in Vergessenheit.

Bei jetzt.de veröffentlichte die Userin synthie_und_roma “Die Antwort der Werbeagentur Jung von Matt auf Judith Holofernes”. Obwohl den Mitarbeitern von Werbeagenturen grundsätzlich viel Hybris, Irrsinn und Arroganz zuzutrauen ist, gab es Anhaltspunkte, dass es sich bei dem Text um eine Satire handeln könnte:

Die 10.000 Euro kommen den von ihnen gewünschten guten Zweck zu Gute: Sie geht an die Organisation “Gutmenschenmütter machen den Prenzlauer Berg besser”. Sie setzt sich für die totale Durchgentrifizierung des Bezirks ein. Unter anderem fordert sie Kinderspielplätze aus Bio-Holz, H&Ms ausschließlich mit nachhaltigen Textilien und die Begrenzung von Schriftgrößen für Boulevardzeitungen.

Man hätte also zumindest mal bei Jung von Matt anfragen können, ob diese Replik echt ist oder nicht.

Hätte:

Die Websites des “Kölner Stadt Anzeigers” und des Mediendienstes Kress brachten fröhlich den Text, den sie “Die Revanche” (ksta.de) bzw. “eine scheinbare Antwort” (kress.de) nannten.

Die Bloggerin Lisa Rank hat bei kress.de angerufen, die erklärten, gerade bei Jung von Matt angefragt zu haben.

Die dort gewonnenen Erkenntnisse fasst kress.de so zusammen:

Update 2: Jung von Matt gegenüber kress.de: “Die Antwort auf die Antwort von Judith Holofernes ist nicht von JvM.” “BILD und JvM haben Wir sind Helden um ihre Meinung zu BILD gefragt und Judith Holofernes hat für Wir sind Helden geantwortet und hat ihre Meinung veröffentlicht. Dass wir niemanden in seiner freien Meinungsäußerung einschränken wollen, haben wir in unserer Anfrage deutlich gemacht.”

Beim “Kölner Stadt Anzeiger” sind sie immer noch davon überzeugt, dass die Antwort echt war.

Mit Dank auch an Amon T.

Nachtrag, 15.40 Uhr: Auch ksta.de hat inzwischen erkannt, dass die “Antwort” ein Fake war, und schreibt:

Wir möchten dem User von jetzt.de zu seinem Coup gratulieren. Wir finden es toll, dass es heutzutage noch immer junge Leute gibt, die genug Zeit haben, sich so etwas Pfiffiges auszudenken.

2. Nachtrag, 15.57 Uhr: jetzt.de-Chefredakteur Dirk von Gehlen sah sich nach dem ganzen Chaos zu einer Stellungnahme genötigt. Er schreibt unter anderem:

Keiner der Dienste hat vor dieser Behauptung, den Kontakt zur Redaktion gesucht.

Dazu stellen wir fest: Dieser Text stammt von einem der rund 160.000 registrierten Nutzer auf jetzt.de. Er ist keine offizielle Antwort der Werbeagentur. Er ist nicht redaktionell verfasst und auch kein “Coup” von jetzt.de (wie der Kölner Stadtanzeiger behauptet). Es ist vielmehr so, dass es auf jetzt.de eine sehr aktive Community gibt, in der die Nutzerinnen und Nutzer kreativ mit den Themen umgehen, die sie umgeben. So auch in diesem Fall.

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Wir Sind Helden wollen nicht für “Bild” werben

Wir Sind Helden mögen keine Werbung. Auf Festivals haben sie schon Reklamebanner abhängen lassen, bevor sie die Bühne betraten. Sängerin Judith Holofernes erklärte im Dezember 2007 als BILDbloggerin für einen Tag, was ihr an “Bild” alles nicht passt.

Trotzdem (womöglich eher: deswegen) hielt es die Werbeagentur Jung von Matt für eine gute Idee, bei Wir Sind Helden und Judith Holofernes anzufragen, ob die nicht bei einer “Bild”-Werbekampagne mitmachen wollten:

Sehr ge­ehr­te Damen und Her­ren,

wir sind als Wer­be­agen­tur mit der ak­tu­el­len BILD-​Kam­pa­gne be­traut, in der wir hoch­ka­rä­ti­gen Pro­mi­nen­ten eine Bühne bie­ten, ihre of­fe­ne, ehr­li­che und un­ge­schön­te Mei­nung zur BILD mit­zu­tei­len.

Der­zeit pla­nen wir die nächs­te Pro­duk­ti­ons­pha­se für Früh­jahr 2011. Die neu zu pro­du­zie­ren­den TV- und Ki­no­spots sowie Pla­kat-​ und An­zei­gen­mo­ti­ve sol­len die be­ste­hen­den Mo­ti­ve von Ve­ro­ni­ca Ferres, Tho­mas Gott­schalk, Phil­ipp Lahm, Ri­chard von Weiz­sä­cker, Mario Barth u.v.m. er­gän­zen.

Für diese Fort­füh­rung der Kam­pa­gne möch­ten wir sehr gern “Wir sind Hel­den” ge­win­nen.

Das schö­ne an der Kam­pa­gne ist, dass sie einem guten Zweck zu Gute kommt. BILD spen­det in Namen jedes Pro­mi­nen­ten 10.​000,- Euro an einen von Ihnen zu be­stim­men­den Zweck.

Las­sen Sie uns gern te­le­fo­nie­ren und die De­tails be­spre­chen. Zur De­tail­in­for­ma­ti­on sen­den wir Ihnen be­reits heute anbei ei­ni­ge wei­ter­füh­ren­de In­for­ma­tio­nen.

Ich freue mich dazu von Ihnen zu hören.
Herz­li­che Grüße aus Ham­burg,
Jung von Matt/Als­ter Wer­be­agen­tur GmbH

Die Antwort der Band, die wir hier mit freundlicher Genehmigung derselben wiedergeben, fiel eindeutig aus:

Liebe Wer­be­agen­tur Jung von Matt,

bzgl. Eurer An­fra­ge, ob wir bei der ak­tu­el­len Bild -​Kam­pa­gne mit­ma­chen wol­len:

Ich glaub, es hackt.

Die lau­fen­de Pla­kat -​Ak­ti­on der Bild -​Zei­tung mit so­ge­nann­ten Testi­mo­ni­als, also ir­gend­wel­chem kom­men­tie­ren­dem Ge­seie­re (Auch kri­ti­schem! Hört, hört!) von so­ge­nann­ten Pro­mi­nen­ten (auch Kri­ti­schen! Oho!) ist das Per­fi­des­te, was mir seit lan­ger Zeit un­ter­ge­kom­men ist. Will hei­ßen: nach Euren Maß­stä­ben si­cher eine ge­lun­ge­ne Ak­ti­on.

Sel­ten hat eine Wer­be­kam­pa­gne so ge­schickt mit der Dumm­heit auf allen Sei­ten ge­spielt. Da sind auf der einen Seite die Pro­mis, die sich den­ken: Hmm, die Bild­zei­tung, mal ehr­lich, das lesen schon wahn­sin­nig viele Leute, das wär schon schick… Aber ir­gend­wie geht das ei­gent­lich nicht, ne, weil ist ja ir­gend­wie unter mei­nem Ni­veau/ evil/ zu sicht­bar be­rech­nend… Und dann kommt ihr, liebe Agen­tur, und baut die­sen armen ge­spal­te­nen Pro­mi­nen­ten eine Brü­cke, eine wa­cke­li­ge, glit­schi­ge, aber hey, was soll’s, auf der an­de­ren Seite liegt, sagen wir mal, eine Tüte Gum­mi­bär­chen. Ihr sagt jenen Pro­mis: wisst ihr was, ihr kriegt ein­fach kein Geld! Wir spen­den ein­fach ein biss­chen Kohle in eurem Namen, dann passt das schon, weil, wer spen­det, der kann kein Ego haben, ver­stehs­te? Und au­ßer­dem, pass auf, jetzt kommt’s: ihr könnt sagen, WAS IHR WOLLT!

Und dann den­ken sich diese Pro­mis, im Rah­men ihrer Mög­lich­kei­ten, ir­gend­ei­ne pseu­do -​dis­tan­zier­tes Ge­wäsch aus, ir­gend­was “total Spitz­fin­di­ges”, oder Cle­ver-​ Un­ver­bind­li­ches, oder Über­heb­li­ches, oder… Und glau­ben, so kämen sie aus der Num­mer raus, ohne ihr Ge­sicht zu ver­lie­ren. Und haben trotz­dem un­heim­lich viele sau­dum­me Men­schen er­reicht! Hurra.

Auf der an­de­ren Seite, das er­klärt sich von selbst, der Re­zi­pi­ent, der sau­dum­me, der sich denkt: Mensch, diese Bild -​Zei­tung, die traut sich was.

Und, die drit­te Seite: Ihr, liebe jung­dy­na­mi­sche Men­schen, die ihr, zu­min­dest in einem sehr spe­zia­li­sier­ten Teil eures Ge­hirns, genau wisst, was ihr tut. Außer viel­leicht, wenn ihr auf die Idee kommt, “Wir sind Hel­den” für die Kam­pa­gne an­zu­fra­gen, weil, mal ehr­lich, das wäre doch total lus­tig, wenn aus­ge­rech­net die…

Das Pro­blem dabei: ich hab wahr­schein­lich mit der Hälf­te von euch stu­diert, und ich weiß, dass ihr im ers­ten Se­mes­ter lernt, dass das Me­di­um die Bot­schaft ist. Oder, noch mal an­ders ge­sagt, dass es kein “Gutes im Schlech­ten” gibt. Das heißt: ich weiß, dass ihr wisst, und ich weiß, dass ihr drauf scheißt.

Die BILD -​Zei­tung ist kein au­gen­zwin­kernd zu be­trach­ten­des Trash-​Kul­tur­gut und kein harm­lo­ses “Guilty Plea­su­re” für wohl­fri­sier­te Auf­stre­ber, keine wit­zi­ge so­zia­le Re­fe­renz und kein Li­fes­tyle-​Zi­tat. Und schon gar nicht ist die Bild -​Zei­tung das, als was ihr sie ver­kau­fen wollt: Hass­ge­lieb­tes, aber wei­test­ge­hend harm­lo­ses In­ven­tar eines ei­gent­lich viel schlaue­ren Deutsch­lands.

Die Bild­zei­tung ist ein ge­fähr­li­ches po­li­ti­sches In­stru­ment – nicht nur ein stark ver­grö­ßern­des Fern­rohr in den Ab­grund, son­dern ein bös­ar­ti­ges Wesen, das Deutsch­land nicht be­schreibt, son­dern macht. Mit einer Agen­da.

In der Ge­fahr, dass ich mich wie­der­ho­le: ich glaub es hackt.

Mit höf­li­chen Grü­ßen,
Ju­dith Ho­lo­fer­nes

Guttenberg, Churnalism, Fact-Checking

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ein BILD von einem Mann”
(taz.de, Steffen Grimberg und Gordon Repinski)
Die heutige “taz” thematisiert die Verbindung zwischen “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg auf der Titelseite und nennt sie “eine Waffenbrüderschaft mit gegeltem Haar”.

2. “Bild.de-Leser revoltieren gegen Guttenberg”
(spiegel.de, phw)
“Spiegel Online” vergleicht einige sehr unterschiedlich ausgehende Abstimmungen zum Verbleib von Guttenberg im Amt des Verteidigungsministers.

3. Interview mit Tobias Huch
(jetzt.sueddeutsche.de, Peter Wagner)
Peter Wagner fragt Tobias Huch, Gründer der inzwischen über 290.000 Nutzer umfassenden Facebook-Seite “Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg”, ob er Unterstützer zugekauft habe: “Das kann ich eidesstattlich versichern. Alle Unterstützer sind echt.” Siehe dazu auch: “Wo kommen all die Guttenberg-Fans her?”

4. “PR-Recycling: Churnalism.com entlarvt faule Journalisten”
(avatter.de)
André Vatter stellt die Website Churnalism.com vor, die es ermöglicht, Pressemitteilungen mit vorgeblich journalistischen Texten zu vergleichen. “Um eine Abfrage zu starten, reicht es aus, einen PR-Schnipsel oder die komplette Pressemitteilung in ein Fenster zu kopieren und den Check-Button zu drücken.”

5. “10 Tipps fürs Fact-Checking”
(recherche-info.de)

6. “Von der Außenwelt abgeschnitten”
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Auf der Suche nach den verlorenen Kontaktdaten der Pressesprecher im Verteidigungsministerium.