Archiv für Januar 21st, 2011

Interner EU-Unfall

Eine ernste Meldung in eigener Sache: Soeben mussten wir unseren Chefredakteur in ärztliche Behandlung bringen lassen.

Zuerst hörten wir aus seinem Büro nur ein langgezogenes “Neeeeeiiiiin!”, dann vernahmen wir einen dumpfen Schlag und ein “wahnsinnig” zu nennendes Lachen, das langsam erstarb. Als wir sein Büro betraten, fanden wir ihn mit blutiger Stirn auf dem Fußboden vor, die Hände verkrampft. Seine Schreibtischplatte war in zwei Teile zerbrochen.

Auf seinem Computerbildschirm war noch dieser Artikel von sueddeutsche.de geöffnet:

EU-Grundsatzurteil zur Asylpolitik: Rüge für Griechenland und Belgien. Das EU-Menschenrechtsgericht hat gesprochen: Zwei Mitgliedsstaaten verstoßen mit ihrer Asylpolitik gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung. Die Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern sind so schlimm, dass Deutschland niemanden mehr dorthin zurückschickt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem Grundsatzurteil die Asylpolitik der EU scharf kritisiert.

Wir vermuten, dass Herrn Heinsers außergewöhnliche Reaktion etwas mit der wiederholten Verwechslung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit einem “EU-Gericht” zu tun hat, und wünschen ihm auf diesem Wege eine baldige Genesung!

Mit Dank an David H.

Nachtrag, 18.15 Uhr: sueddeutsche.de hat reagiert und aus dem “EU-Grundsatzurteil” in der Dachzeile ein “Grundsatzurteil” gemacht.

Der erste Satz des Artikels lautet indes immer noch:

Das EU-Menschenrechtsgericht hat gesprochen

2. Nachtrag, 18.36 Uhr: Jetzt ist auch der erste Satz des Artikels korrigiert:

Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat gesprochen

Der Tod und die Titten

Carolin W. ist gestorben. Big-Brother-Fans und “Bild”-Leser kannten die 23-jährige Amateur-Pornodarstellerin wohl eher unter ihrem Künstlernamen “Sexy Cora”. Es ist nicht wichtig, ob sie letztendlich nach der fünften (“Mopo”) oder sechsten (“Bild”) Brust-OP gestorben ist, aber ein Blick auf den Umgang der Boulevardmedien mit operierten Frauen könnte sich lohnen:

2009 berichtete Bild.de erstmals über die wahlweise als “Porno Cora”, “Sexy Cora” oder einfach nur “Cora (Oberweite 70F, Maße 96-59-89)” betitelte Hamburgerin, weil sie an einem Tag gleich drei Mal in eine Polizeikontrolle geraten war.

Das nächste Mal rückte Cora in den Mittelpunkt, als sie im Januar 2010 in den “Big Brother”-Container zog. Die Sabberproduktion in der Redaktion, die jede Nacktduschszene bis ins kleinste Detail journalistisch begleitete, dürfte auf einem Allzeithoch gestanden haben. Es folgen einige Auszüge aus der Berichterstattung bei Bild.de:

14.1.2010:

Erotikdarstellerin sexy Cora (22) wird zum menschlichen Busenhalter! (…) Auf ihre Kurven scheint sie mächtig stolz (…)

28.1.2010:

Passt, wackelt und hat wenig Luft: Sexy Cora freut sich über ihre Busenbommel

29.1.2010:

Sexy Cora (22) duscht gleich mit drei Männern und strippt danach (…) als hätte noch niemand ihre Körbchengröße 75F ohne BH gesehen!

9.3.2010:

Sexy Cora (20) hat am Dienstag um 17.02 Uhr das “Big Brother”-Haus verlassen. NACKT-DUSCHEN, KURVEN GUCKEN, KUSCHELN – AUS UND VORBEI!

Die Frage, für wen sich Frauen wie “Sexy Cora” eigentlich immer wieder unters Messer legen, scheint Bild.de nicht ernsthaft zu beschäftigen. Dabei ist es nicht auszuschließen, dass die positiven und sicher auch karrierefördernden Reaktionen der Boulevardmedien eine Rolle gespielt haben, als Cora sich zu einem weiteren Eingriff entschloss — übrigens obwohl ihr der Leiter der Klinik, in der die vorherigen Eingriffe durchgeführt wurden, im Vorfeld davon abgeraten hatte (“es war anatomisch einfach das Maximum erreicht”). Wie wenig sich etwa “Bild” und Bild.de um Ursache und Wirkung scheren, zeigt sich dann auch darin, dass die Berichte vom Koma über die Feststellung von Hirnschäden bis hin zum Tod konsequent weiter mit Tittenbildern und anderem Unfug garniert sind — als gäbe es nichts Geileres, als sich auf eine Komabraut mit Hirnschäden einen von der Palme zu wedeln:

13.1.2011:

‘Sexy

Bonusmaterial: Videos Sexy Cora auf Malle – BB-Blondine zieht am Ballermann blank, Nie mehr Big Brother! – Sexy Cora freut sich über ihre Freiheit (Nacktfußball), Ratgeber Bauch, Busen, Nase -Welche Beauty-OPs zahlt die Kasse?, Bild erklärt – Alles über die Brustvergrößerung, Das wussten Sie nicht! – 33 Pralle Fakten über Brüste

13.1.2011:

Jetzt spricht der Busen-Arzt von sexy Cora!

Bonusmaterial: Wie bei vorherigem Artikel + 14-teilige Titten-Klickstrecke “Big Brother machte sie bekannt – Sexy Cora in Bildern”

14.1.2011:

Staatsanwalt ermittelt gegen Busen-Arzt von sexy Cora

Bonusmaterial: Wie bei vorherigem Artikel, statt 14-teiliger Titten-Klickstrecke 16-teilige Titten-Klickstrecke “Big Brother machte sie bekannt – Sexy Cora in Bildern”

16.1.2011:

Wird sexy Cora heute aus dem Koma geholt?

Bonusmaterial: 66-teilige Titten-Klickstrecke “Big Brother machte sie bekannt – Sexy Cora in Bildern”

18.1.2011:

Coras Hirn nach Busen-OP für immer geschädigt

Bonusmaterial: 66-teilige Titten-Klickstrecke “Big Brother machte sie bekannt – Sexy Cora in Bildern”, Ratgeber Bauch, Busen, Nase -Welche Beauty-OPs zahlt die Kasse?, Bild erklärt – Alles über die Brustvergrößerung, Das wussten Sie nicht! – 33 Pralle Fakten über Brüste

20.1.2011:

"Big Brother"-Star Cora tot: Kurz vor der OP flüsterte sie ihrem Mann ins Ohr: "Ich will ein Kind von dir"

Bonusmaterial: Trauervideo, in dem “Sexy Cora” unter anderem nackt beim Fußballspielen gezeigt wird, 4-teilige Titten-Klickstrecke “”Big Brother”-Star Cora in Bildern”, Ratgeber Bauch, Busen, Nase -Welche Beauty-OPs zahlt die Kasse?, Bild erklärt – Alles über die Brustvergrößerung, Das wussten Sie nicht! – 33 Pralle Fakten über Brüste. Dazu besteht natürlich jederzeit die Möglichkeit, den Hinterbliebenen in den Kommentaren sein Beileid auszudrücken.

Um in “Bild” mit Würde zu sterben, muss man wohl der Hund von Kolumnist Norbert Körzdörfer sein:

Bild-Hund Ruby liegt im Sterben

PS: Coras Alter schwankt bei “Bild” schon immer um zwei Jahre hin und her. Glaubt man ihrem Wikipedia-Eintrag, so war “Sexy Cora” zum Zeitpunkt ihres Todes 23 Jahre alt.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber!

Bild  

Mord ohne Verwandtschaft

Nichts weniger als die “Wahrheit” über ein Tötungsdelikt in Schwalmtal verspricht “Bild” Düsseldorf:

Die Wahrheit über das Drama in Schwalmtal Enkel ermordete seine Oma wegen 65 Euro!

Tatsächlich wurde gegen zwei Festgenommene ein Haftbefehl wegen gemeinschaftlichen Mordes ausgesprochen. Doch keiner von ihnen war mit dem Opfer verwandt. Die Nachrichtenagentur dpa schreibt:

Einer von ihnen war mit der Seniorin bekannt: Sein Opa lebte bis zu seinem Tod vor vier Jahren mit ihr zusammen.

“Bild” weiß das eigentlich auch und erwähnt es darum auch zweimal im Artikel.

Mit Dank an Christina H.

Die mit edlen Uhren wedeln

19 verschiedene Uhrenmarken sind in diesen Tagen am Salon International de la Haute Horlogerie (SIHH), der internationalen Uhrenmesse in Genf, vertreten.

Im Artikel auf Bild.de werden aber nur zwei erwähnt:

Blanchett (41) überraschte auf dem roten Teppich der Edel-Uhrenmarke "IWC", die ihre neue "Portofino"-Kollektion feierte, mit neuer Kurzhaarfrisur.

Gwyneth Paltrow schmückte die glanzvolle Garten-Party, zu der die Edeluhrenmarke "Baume Mercier" geladen hatte.

Schauspieler Jean Reno mit seiner Frau Zofia, Schauspieler Sebastian Koch, Box-Champ Vitali Klitschko, Weltfußballer Luis Figo mit Frau Helen, Oliver Bierhoff mit Frau Klara, Sänger Ronan Keating (trat auf), der als Schmuckstück neben einer IWC-Uhr auch einen Ohrring in Form eines Peace-Zeichens trug.

Baume & Mercier und IWC gehören beide zur Schweizer Richemont-Gruppe, einem Luxusgüterkonzern.

Die Marke IWC, die beinahe traditionell im redaktionellen Teil von “Bild” auftaucht, bildet denn auch den Hintergrund der meisten der 15 Bilder in der Bildergalerie:

Bei der Edel-Uhrenmarke "IWC" stapelten sich die Promis auf dem roten Teppich: Boris Becker und Frau Lilly ...

... die Beckers mit "IWC"-CEO Georges Kern ...

Boris Becker ist ein Stammgast bei dem Event, was nicht verwundert, denn er ist, wie viele andere, Botschafter von IWC. Bild.de bezeichnete ihn 2006 als “Botschafter”, 2008 als “der sogenannte IWC-Botschafter” — 2011 erschien diese Verbindung dann offenbar gar nicht mehr als erwähnenswert.

Und in der gedruckten “Bild” war dann für andere Marken kein Platz mehr:

IWC-Party in Genf: Uhr-là, là! Sooo viele Stars auf einmal!

Mit Dank an Lothar Z., Thomas D., Giovanni, Dennis H. und Christian S.

Der untote Fußball

Empört berichtete der Düsseldorfer “Express” am Mittwoch über die Verurteilung des Jugendfußballers Enver Yilmaz zu 2.000 Euro Schmerzensgeld wegen eines Foulspiels.

2.000 € Schmerzensgeld: Urteil erschüttert die Fußballwelt

Als Enver Yilmaz noch für die Spvg Odenkirchen spielte, hatte er bei einem Pokalspiel gegen den 1. FC Mönchengladbach seinen Gegenspieler gefoult. Ein zweifacher Beinbruch war die Folge und eine Strafanzeige zwei Wochen später. Das Strafverfahren wurde vom Richter eingestellt, eine später eingereichte Zivilklage endete nun aber mit einem Schmerzensgeld von 2.000 Euro.

Der “Express”-Reporter ließ keinen Zweifel daran, was er vom Urteil hält: Er fragt “Kann man jetzt nur noch in anwaltlicher Begleitung kicken?”, nennt die Entscheidung der Richterin “unglaublich” und zitiert den Geschäftsführer des Fußballkreises Düsseldorf, der das Urteil für den “Tod des Fußballs” hält.

Denn dieses Urteil ist einmalig.

schreibt der “Express” und legt so nahe, dass es so etwas in der Geschichte des Fußballs noch nicht gegeben habe. Doch in der Vergangenheit gab es schon häufiger Schmerzensgeldforderungen verletzter Spieler vor Gericht, so mancher Klage wurde stattgegeben.

So hat das Landgericht Münster im Jahr 2002 einen Fußballer zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 4.500 Euro und Schadensersatz verurteilt und allein im Fußballkreis Bochum gibt es mehre Fälle von erfolgreichen Schmerzensgeld- und Schadensersatzklagen, wie “Reviersport” schon vor drei Jahren berichtete.

Auch international gab es schon vergleichbare Fälle: In Großbritannien wurde beispielsweise der australische Nationalspieler Kevin Muscat zu einem horrenden Schmerzensgeld verurteilt, nachdem er 1998 dem englischen Fußball-Profi Matty Holmes ein Bein gebrochen hatte.

Besonders spektakulär war allerdings der Fall Rachid Bouaouzan von Sparta Rotterdam, der zu einem Schmerzensgeld von 100.000 Euro und 6 Monaten Haft verurteilt wurde, weil er einen Gegenspieler gefoult hatte. Daran konnte auch ein Einspruch vor dem Obersten Gerichtshof nichts ändern.

Andere Medien fanden die “Express”-Story so spannend, dass sie sich davon inspirieren ließen. sport.t-online.de und fussball.de erklärten unisono:

Der Fall, der jetzt vor das Oberlandesgericht Frymuth geht, dürfte den DFB in Alarmbereitschaft setzen.

Dabei haben sie offenbar einen Punkt übersehen. Der “Express” hatte nämlich geschrieben:

Der Fall geht jetzt vor das Oberlandesgericht. Frymuth: “Wenn nötig, unterstützen wir den Spieler dabei.”

Peter Frymuth ist Präsident von Fortuna Düsseldorf und Vorsitzender des DFB-Jugendausschusses. Die Artikel bei t-online.de und fussball.de sind inzwischen offline.

Mit großem Dank an Ralf M.

RTL, Vögel, Hademar Bankhofer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der Anti-Menschenwürde-Sender”
(sprengsatz.de, Michael Spreng)
Michael Spreng, langjähriger Chefredakteur von “Bild am Sonntag”, appelliert an “die gesellschaftliche Verantwortung” von RTL. “Nicht alles, was Menschen scheinbar freiwillig mit sich geschehen lassen, ist auch verantwortbar. Wenn Landesmedienanstalten überhaupt einen Sinn haben, dann den, über den Schutz der Menschenwürde zu wachen.”

2. “Letztlich etwas sehr Rührendes”
(lawblog.de, Udo Vetter)
Udo Vetter dokumentiert eine Antwort der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) auf eine Beschwerde eines Zuschauers zur RTL-Sendung “Schwiegertochter gesucht”. “Nach deren Lektüre kann man sich durchaus fragen, wie ernst die NLM ihren Job nimmt. Jedenfalls hat man offensichtlich großen Spaß bei der Bearbeitung (und dem Abbügeln) solcher Beschwerden.”

3. “Wie viel Dschungelcamp soll in die taz?”
(blogs.taz.de/hausblog, Sebastian Heiser)
“taz”-Leser möchten nichts über die RTL-Sendung “Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!” lesen: “Hören Sie auf! Sofort! Es interessiert nicht!”

4. “Die Aufklärung des ‘mysteriösen’ Vogelsterbens”
(scienceblogs.de/astrodicticum-simplex, Florian Freistetter)
Die Anhäufung von verstorbenen Vögeln, ausgehend von einem am Neujahrstag in den USA tot aufgefundenen Vogelschwarm, wurde von einigen Medien zum Mysterium hochgeschrieben: “An den Vorfällen, die Anfang des Jahres stattgefunden haben ist nichts, was die ausführliche und hysterische Behandlung in den Medien rechtfertigen würde. Und an diesen Vorfällen war auch nichts ‘mysteriös’, wie oft immer wieder behauptet wird.”

5. “Bankhofer-Sendung: ‘… gegen das Schleichwerbeverbot verstoßen'”
(scienceblogs.de/plazeboalarm, Marcus Anhäuser)
Die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) rügt die Sendung “Der gesunde Weg” mit Hademar Bankhofer auf Bibel TV: “In dem Gesundheitsmagazin kamen u.a. Experten zu Wort, die über den Nutzen von bestimmten Produkten bzw. Wirkstoffen sprachen, von deren Verkauf sie wirtschaftlich profitieren.”

6. “Was weiß der Geier?”
(blogs.taz.de/reptilienfonds, Heiko Werning)
Arabische Medien spekulieren, dass ein eingefangener Geier, der mit einer auffälligen Flügelmarkierung und einem technischen Gerät mit hebräischen Schriftzeichen versehen war, im Auftrag von Israel Spionage betreiben sollte.