Archiv für November 18th, 2010

Was du nicht willst, was man dir google …

Wenn ein Boulevardmedium von einer “peinlichen Bordell-Panne” schreibt, bringt man das vielleicht nicht unbedingt direkt mit dem heute in Deutschland gestarteten “Street View”-Dienst von Google in Zusammenhang. Doch genau so ist es laut Bild.de, dem Zentralorgan der StreetViewVerdammung:

Screenshot: Bild.de

Sagen Sie nicht, der Mann auf dem Street-View-Screenshot sei ja wohl unkenntlich gemacht: “BILD hat diese Fotos massiv verfremdet”.

Dieses und sechs andere Fotos, die den Weg des Street-View-Autos vorbei an dem Bordell “in einer deutschen Großstadt” dokumentieren, bis schließlich …

Eingang noch da, Mann plötzlich weg. Ob er tatsächlich ins Bordell ging, bleibt unklar

Bild.de ist deshalb ernsthaft erzürnt:

Fatal: Die Gesichter von zwei vermeintlichen Freudenmädchen sind von Google unkenntlich gemacht. Das Gesicht des Mannes ist aber teilweise deutlich von der Seite zu sehen. Bild.de hat diese Szene unkenntlich gemacht.

Es stimmt: Auf einigen der Bilder bei Street View ist der Mann unverpixelt im Halbprofil zu sehen. Eine Position, mit der sich viele Angeklagte, die “Bild” vor Gericht fotografiert hat, wohl schon zufrieden geben würden.

Aber es heizt natürlich die Street-View-Panikmache an, wenn man jetzt schon Gefahr läuft, dass der Puffbesuch öffentlich gemacht wird.

Apropos:

Der vermeintliche Puffgänger, den “Bild” vor zwei Jahren unverpixelt zeigte, war allerdings psychisch krank.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 19. November: Google hat reagiert und den Mann deutlich(er) anonymisiert.

Hauptsache Titten

Man tut Sonic Syndicate vermutlich nicht Unrecht, wenn man behauptet, es gebe noch einige bekanntere Bands aus Schweden.

Der Mann (es steht zu vermuten, dass es sich um einen Mann gehandelt haben muss), der für den Kölner “Express” den Veranstaltungstipp für das Kölner Konzert von Sonic Syndicate am Dienstag geschrieben hat, kennt sich hingegen aus:

Ausriss: "Express"

Moment. Man kann sich so schlecht auf die Bildunterschriften konzentrieren:

Prost! Karin Axelssonn ist nicht nur Bassistin der Band…

… sondern zeigt im Video den übrigen Bandmitgliedern, was sie drunter trägt.

Dass der Mann nicht wusste, wie man den Namen von Karin Axelsson korrekt schreibt (nämlich mit einem “n”), ist verzeihlich — aber er weiß offensichtlich auch nicht, wie Karin Axelsson aussieht. Anders jedenfalls als die dralle, barbusige Blondine, die der “Express” riesengroß zeigt und die im (umstrittenen) Video zur Single “Turn It Up” zu sehen ist.

Mal zum Vergleich:

Unbekannte, barbusige Blondine:

Unbekannte, barbusige Blondine (blond).

Karin Axelsson:

Karin Axelsson (schwarzhaarig).

Mit Dank an Ralf M., Nico E. und an Gregor G. für den Scan.

Diskriminalreportagen

Stellen Sie sich doch bitte einmal folgende Meldung vor:

Vor den Augen seiner 16-jährigen Tochter Kirstin hat der Deutsche Harald B. (44) gestern Vormittag seine Frau Sandra (38) erschossen. (…) Auch auf die verhassten Nachbarn hatte es der selbständige Spediteur wohl abgesehen. Nach den tödlichen Schüssen trat der Christ die Wohnungstür der Familie Z. im fünften Stock ein.

Oder die hier:

In Siegburg verübte ein Mitteleuropäer am Montag einen Brandanschlag auf einen Linienbus.

Klingt komisch, oder? Sie fragen sich bestimmt, welche Relevanz es hat, ob ein mutmaßlicher Täter “Deutscher” oder “Mitteleuropäer” ist oder welche Rolle sein Glaube spielt. Die richtige Antwort lautet – außer etwa, wenn nach einem Täter gefahndet wird – so gut wie immer: Keine Relevanz, keine Rolle.

Auf Bild.de ist von Herkunft oder Glaube in der Regel keine Rede, solange die Straftat von einem Mitglied der Bevölkerungsmehrheit begangen wurde. Handelt es sich bei mutmaßlichen Straftätern jedoch um Angehörige bestimmter ethnischer oder religiöser Minderheiten, dann werden solche überflüssigen Details scheinbar plötzlich relevant.

So lauten die betreffenden Sätze der ersten Meldung auf Bild.de in Wirklichkeit:

Vor den Augen seiner 16-jährigen Tochter Melissa hat der Bosnier Bajro H. (44) gestern Vormittag seine Frau Indira (38) erschossen. (…) Auch auf die verhassten Nachbarn hatte es der selbständige Spediteur wohl abgesehen. Nach den tödlichen Schüssen trat der Moslem die Wohnungstür der Familie Z. im fünften Stock ein.
(Hervorhebungen von uns)

Und in der zweiten Meldung heißt es:

In Siegburg verübte ein Südländer am Montag einen Brandanschlag auf einen Linienbus.
(Hervorhebung von uns)

In beiden Fällen hatten Herkunft und Glaube keinerlei Bezug zu den jeweiligen Vorfällen, was man auch daran sehen kann, dass “Stuttgart Journal” und ksta.de gut ohne ihre Nennung auskamen. Bild.de hat damit also klar gegen Ziffer 12 des Pressekodex verstoßen:

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Mit Dank an die Hinweisgeber!

Uganda, Schweden, Tierfilme

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Schwulenhetze als Verkaufsschlager”
(taz.de, Simone Schlindwein)
Simone Schlindwein spricht mit dem 22-jährigen Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung “Rolling Stone” aus Uganda, Giles Muhame: “Bereits Anfang Oktober outete die damals noch unbekannte Zeitung die ‘100 Top-Homos in Kampala’. Auf den Folgeseiten war eine Serie schlecht gedruckter Schwarz-Weiß-Fotos von Männern in anzüglichen Posen zu sehen. Darunter jeweils Name, Wohnort und Angaben zur Penisgröße.”

2. “Michael Douglas-Interview eine Fälschung”
(meedia.de)
Ein von “Berliner Kurier”, “Hamburger Morgenpost” und “Express” gedrucktes Interview mit Michael Douglas wurde nicht geführt. Der Sprecher des Schauspielers dazu: “Dieses Interview wurde sorgfältig zusammengesetzt aus Bemerkungen, die Michael Douglas auf verschiedenen Pressekonferenzen und in Interviews im vergangenen Jahr gemacht hat. Aber das meiste ist komplett ausgedacht.”

3. “Glücklich im Kopfgefängnis”
(ckappes.posterous.com, Christoph Kappes)
Christoph Kappes analysiert den Artikel “Glücklich im Nutzer-Gefängnis” (sueddeutsche.de, Bernd Graff).

4. “Schwedens Hofberichterstatter”
(ndr.de, Video, 6:48 Minuten)
Eine neue Biografie über den König von Schweden, Carl XVI. Gustaf, löst in schwedischen Medien eine Debatte über den Umgang mit Interna aus dem Königshaus aus.

5. “Wenn das Zebra im eigenen Streifen spielt”
(jungle-world.com, Heiko Werning, 11. November)
Heiko Werning beurteilt das Ausmaß von Manipulationen in Tierfilmen: “Solange die Tiere als Schauspieler arbeiten und einfach nur ein solides, gut recherchiertes Sachstück visualisieren, bei dem sie sich selbst spielen, ist alles in Ordnung. Peinlich wird es natürlich, wenn durch unsachkundige Zusammenschnitte plötzlich Arten gemeinsam durch einen Wald tollen, die in der Natur gar nicht im selben Lebensraum vorkommen, oder wenn dem Zuschauer Verhaltensweisen präsentiert werden, die das Tier unter normalen Umständen im Leben nicht zeigen würde.”

6. “Sport Bild-Watch (4)”
(el-futbol.de, Sidan)
“Wird die Sport Bild etwa auf die alten Tage doch noch einmal zur vernünftigen Sportzeitung? Leider spricht wieder einiges dagegen: mit Statistiktricks, stillen Kampagnen und offensichtlichen Stimmungsschwankungen wird der Leser erneut manipuliert und für dumm verkauft.”