Seit Wochen lobpreist “Bild” die RTL2-Sendung “Tatort Internet”, in der gezeigt wird, wie Männer in Chats vermeintlich 13-jährige Mädchen ansprechen, sich mit ihnen verabreden und sie treffen (BILDblog berichtetemehrfach). Erst vergangenen Mittwoch erklärte die Zeitung die Politikergattin Stephanie zu Guttenberg, die in der Erstausgabe der Sendung herumgesessen hatte, mit einer beeindruckenden Begründung zum “Gewinner” des Tages:
Riesenerfolg für Stephanie zu Guttenberg (33)! Seit die Ministergattin mit der Sendung “Tatort Internet” gegen Kinderschänder kämpft, steigt die Zahl von Hinweisen auf Kinderpornografie bei der Beschwerdestelle der Internet-Wirtschaft rasant. Kindersex-Fotos und -Videos verschwinden schneller aus dem Netz.
BILD meint: Bravo!
Die Menschen, die in “Tatort Internet” leidlich anonymisiert der Öffentlichkeit preisgegeben werden, bezeichnet “Bild” gern als “Kinderschänder” oder “Sex-Ekel”, die sich “an 13-jährige Kinder ranmachen wollten, um sie zum Sex zu überreden”.
Umso erstaunlicher ist der Tonfall, in dem Bild.de und “Bild am Sonntag” über einen Fall aus Österreich berichten, in dem eine 42-jährige Handball-Trainerin zu 22 Monaten auf Bewährung verurteilt worden war, weil sie mit einem damals 13-jährigen Schutzbefohlenen eine Affäre eingegangen war:
Schlimm, so Bild.de, scheint das alles nicht so richtig zu sein:
Er wollte Handball bei ihr spielen. Doch seine Trainerin unterwies ihn im verbotenen Liebesspiel: Jetzt wurde Renata C. (42) wegen Verführung eines Minderjährigen zu 22 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Immer wieder droht die Berichterstattung in eine Art “Schuljungenreport” umzuschlagen:
Erwin U. – eine imposante Erscheinung, gut aussehend, groß und schlank, athletisch. Er ist inzwischen 14, wirkt aber deutlich älter.
Die Angeklagte wird dabei als “liebestolle Trainerin” (“Kurze Strubbelfrisur”, “selbst Mutter zweier halbwüchsiger Töchter”) bezeichnet, der Schüler erst als “Opfer”, dann als “Toy-Boy”. In weiteren Artikeln ist von “Spielchen außerhalb des Strafraums” die Rede, die die “Sex-Trainerin” mit dem “Burschen” getrieben habe.
So richtig mochte sich offenbar auch die “Bild am Sonntag” nicht für eine moralische Bewertung entscheiden, die ihr sonst so leicht von der Hand geht:
Während die Öffentlichkeit streitet, ob diese Beziehung romantisch, unmoralisch, oder gar pervers ist, bekommt Erwin zumindest von seinen Freunden Rückendeckung. “Meine Freunde und Schulkollegen haben volles Verständnis für meine Beziehung.” Und auch Renata sagt: “Mein Mann auch. Er war in den letzten Monaten eine große Stütze, er ist großartig.”
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Satire darf das” (freitag.de, Karsten Laske)
Für Karsten Laske ist ein Fernsehfilm wie “Das Millionenspiel” von 1970, der “erstmals das Sujet der Menschenjagd mit einer beißenden Medienkritik” verband, derzeit undenkbar: “Die Bundesrepublik der Fernsehfilme ist eine völlig unwirkliche Wirklichkeit geworden. Verlassene Ehefrauen machen sich am Ende einer romantischen Komödie selbstständig und eröffnen ein Marmeladengeschäft, das natürlich bombig läuft. Alleinstehende Lehrerinnen leben in schlossähnlichen Villen. Familien haben sich vor allem lieb. Putzfrauen sehen aus wie Gudrun Landgrebe. Und wer stirbt, kommt in einen teuren Sarg.”
2. Interview mit Jürgen Klopp (funkkorrespondenz.kim-info.de, Freddie Röckenhaus)
Fußball: Jürgen Klopp hält Aussagen wie “Wir waren nicht nah genug dran”, “Unsere Einstellung war falsch”, “Wir standen zu tief” oder “Wir konnten die Zweikämpfe nicht führen” für “Mode-Statements”: “Ja, warum konnte man denn die Zweikämpfe nicht führen? Wenn man nicht festgebunden ist, warum kann man es dann nicht?”
4. “Meistbietend zu verkaufen: Glaubwürdigkeit” (medienpiraten.tv, Peer Schader)
Peer Schader liest Fernsehzeitschriften und fragt sich: “War es früher einmal so, dass Zeitschriften keine fragwürdigen Deals eingehen mussten, um sich Anzeigen von Werbekunden zu sichern?”
5. “wie verlinkt man Blogs?” (robertbasic.de)
Robert Basic zählt auf, was für das Verlinken von Blogs spricht: “1. Ihr bietet dem Leser weitere Informationen und Sichtweisen. 2. Ihr bietet dem Leser neue Quellen, die für ihn dauerhaft spannend sein können 3. Ihr honoriert die Leistung des anderen Bloggers, sich die Mühe gemacht zu haben, Informationen aufzubereiten. (…)”
6. “Singen ohne Angst vor der Gema” (heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
“Nach deutschem Urheberrecht noch einmal gesondert genehmigungs- und abgabepflichtig” sind “Fotokopien von Noten und Texten” von Liedern, die in Kindergärten gesungen werden (siehe auch das Quer-Blog auf br-online.de vom 20. Oktober). Der Verein Musikpiraten sucht nun Notenbläter “gemeinfreier Advents- und Weihnachtslieder, die entweder unter Creative Commons lizenziert sind, oder von den Urhebern sogar als gemeinfrei ausgezeichnet wurden”.