Archiv für November 12th, 2010

taz.de  

Kraut und Rüben

121.819 Mitzeichner sind für eine E-Petition des Deutschen Bundestags eine stolze Zahl. So viele Menschen haben die Petition gegen ein Verkaufsverbot von Heilpflanzen in der EU unterzeichnet, es ist damit die zweiterfolgreichste E-Petition in der Geschichte dieser Institution.

Doch die Mühe dieser 121.819 Menschen war umsonst: Ein solches “Verkaufsverbot” war nie geplant. Die angesprochene EU-Richtlinie, die bereits vor fünf Jahren in deutsches Arzneimittelrecht umgesetzt wurde, regelt die Zulassung pflanzlicher Produkte als Arzneimittel. Ein Verkaufs- oder gar Anbauverbot von Pflanzen wie Pfefferminze oder Salbei, wie es manche heraufbeschworen hatten, stand nie zur Debatte.

Doch wie konnten 121.819 mündige Bürger derart fehlgeleitet werden? Die “taz” hat eine Erklärung:

Die große Zahl der Unterstützer kam nur zustande, da in der Naturheilkunde- und Bioszene der Petitionsaufruf in Internetforen, Blogs und unzähligen E-Mails verbreitet wurde. “Weil das Gesetz ein typisches Beispiel dafür ist, wie in Brüssel die Pharmalobby gegen die Interessen der Bevölkerung arbeitet”, sagt eine der E-Mail-Weiterleiterinnen. Den Inhalt der Petition überprüft habe sie aber nicht.

“Internetforen, Blogs und unzählige E-Mails”, geht’s auch konkreter?

blogs.taz.de: Pharmalobby kämpft für Verbot von Heilpflanzen

Das “Drogerie”-Blog auf taz.de verbreitet die Mär vom Heilpflanzenverbot seit vergangener Woche und rief sogar zur Unterzeichnung der Petition auf. Obwohl in vereinzelten Kommentaren seit Tagen angeprangert wird, dass der Eintrag falsch sei, steht er unverändert online.

Mit Dank an Till G.

Nachtrag, 13. November: Hans Cousto vom “Drogerie”-Blog wehrt sich gegen die Bezeichnung der Petition als “grober Unfug” und gibt Beispiele von Kräutern, die in Brandenburg nicht mehr verkauft werden dürfen.

Apfel mit ohne Gehäuse

Online-Journalismus kann so einfach sein: Man klickt sich morgens durch die Artikel von anderen Redaktionen. Was einem gefällt, übernimmt man einfach. Weitere Recherche ist nicht nötig, das haben ja die Kollegen bereits getan. Noch ein paar Fotos ergänzen — fertig.

So ist wohl auch der Bild.de-Artikel über die Auktion eines “Apple 1” zustande gekommen, der von einem Bericht der “Daily Mail” mehr als nur inspiriert wurde. Hier wie dort erfährt der Leser, dass die Computer-Antiquität 524.000 mal weniger Speicher besitzt als heute übliche PCs, in beiden Artikeln erfährt der Leser vom – falschen – Mindestgebot von 150.000 Pfund. Immerhin hat Bild.de den Original-Artikel verlinkt.

Allerdings war Bild.de beim Abkupfern doch etwas sehr flüchtig:

Es ist der Urahn aller Apple-Computer! Einer der ersten Apple-PCs – mit Holzgehäuse und selbstgeschnitztem Apple-Schriftzug – kommt in London unter den Hammer. Für mindestens 150 000 Pfund (umgerechnet 176 550 Euro)!

Nun ja: Die “Daily Mail” zeigt ein Bild von einem Apple-Gehäuse mit handgearbeitetem Schriftzug. Dabei handelt es sich jedoch um das Exemplar eines frühen Computer-Enthusiasten, das im Smithsonian Museum ausgestellt ist. Das bei Christie’s zu versteigernde Exemplar hat hingegen kein Gehäuse.

Hätte der Bild.de-Redakteur den Artikel mit wachen Augen gelesen, wäre ihm das klar geworden. Hätte er dazu noch einen Klick auf die Auktionsseite gewagt, dann hätte er auch erfahren, dass die 150.000 Pfund nicht das Mindestgebot, sondern der höchste Schätzwert ist.

Aber Recherche — das ist halt etwas für die anderen.

Nachtrag 1, 14:45 Uhr. Mangelnde Recherche alleine reicht offenbar nicht aus. Um wirklich erfolgreich zu sein, muss man mehr Fehler machen als die Konkurrenz. Anders lässt sich dieser Teaser auf der Startseite von Bild.de kaum erklären:

Apple 1 - Erster Mac kommt unter den Hammer

Wie jeder Computer-Nostalgiker weiß, war der Apple 1 kein “Mac”, die Macintosh-Reihe begann erst 1984. Wer kein Computer-Nostalgiker ist, hätte auch einfach in die Bildergalerie zum Artikel über die Apple-1-Auktion schauen können. Dort steht es nämlich gleich zweifach:

A star is born...Der legendäre Mac erblickt 1984 das Licht der Welt

Allerdings kann man das Misstrauen der Bild.de-Startseiten-Redakteure gegen die Bild.de-Bildergalerien-Texter verstehen. Denn in der gleichen Galerie findet man diese kühne Behauptung:

Eckig und einfach: Die erste Computermaus der Welt kam 1983 mit Apple-Lisa, dem Vorläufer des Mac

Wann genau die erste Computermaus der Welt präsentiert wurde, ist zwar nicht ganz klar — aber der Zeitpunkt lag mindestens 15 Jahre vor dem Apple Lisa.

Nachtrag 2, 16:30 Uhr. Nicht nur Bild.de leidet unter einer akuten Abschreibeschwäche – auch Dnews hat den Bericht der Daily Mail punktgerecht versemmelt – und erstaunlicherweise die gleichen Fehler gemacht:

Einer der ersten Apple-Computer, die Firmengründer Steve Jobs von der elterlichen Garage aus verkaufte, wird in London versteigert. Das Einstiegsgebot für das handgefertigte Sammlerstück aus Holz liegt bei 150.000 Pfund (ca. 176.550 Euro).
[…]
Bei dem zu versteigerndem Computer handelt es sich um ein Holzgehäuse mit eingeschnitztem “Apple“ Schriftzug.

Die Meldung samt Fehler wurde von pcgames.de und cynamite.de übernommen.

Und auch die Nachrichtenagentur dts will nicht hintenan stehen:

Im Londoner Auktionshaus Christie’s kommt am 23. November einer der ersten Apple Computer der Welt, der Apple 1, unter den Hammer. Medienberichten zufolge können Interessenten ab einem Einstiegsgebot von rund 176.000 Euro mitbieten.[…]Der Gewinner der Versteigerung darf sich im Anschluss über ein Komplettpaket freuen, dass aus dem “Gehäuse”, dem Computer, einer Bedienungsanleitung und einem Brief von Apple-Gründer Steve Jobs besteht.

Nachtrag 3, 16:45 Uhr. Inzwischen hat Bild.de den Rückwärtsgang eingelegt und Artikel, Teaser und Bildergalerie korrigiert. Nun heißt es:

Es ist der Urahn aller Apple-Computer! Einer der ersten Apple-PCs – ohne Tastatur, Monitor und Gehäuse – kommt in London unter den Hammer. Schätzwert: bis zu 150 000 Pfund (umgerechnet 176 550 Euro)!

Mit Dank an Alexander A., Florian, Paul B. und Oliver D.

Asiaten, Mario Gomez, Quotensucht

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Hart, aber höflich”
(visdp.de, Frank Joung)
Frank Joung ärgert sich anlässlich des G20-Gipfels in Seoul über die Sicht einiger Journalisten auf Asiaten, die einzeln eher als harmlos beschrieben und belächelt werden, im Kollektiv aber schnell mal als “gelbe Gefahr” gelten. Ab Seite 8 (PDF-Datei) werden Zeitungstitel zu den Castortransport-Protesten gegenübergestellt.

2. “Gomez’ leiser Appell an die Menschlichkeit”
(de.eurosport.yahoo.com, Thomas Janz)
Mario Gomez erklärt, dass seine von “Bunte” publizierten Aussagen über das Coming-Out von homosexuellen Fußballern “vor acht bis neun Monaten” getätigt und weder von ihm noch vom Verein freigegeben wurden. “Die Leute wollen immer ehrliche und offene Antworten hören. Aber wenn etwas daraus gemacht wird, was nicht der Wahrheit entspricht, überlegt man sich vielleicht dreimal, was man Preis gibt.”

3. “Die Dynamik der Angst”
(taz.de, Frank Miener)
“Immer neue Themen” werden bei der alarmistischen Berichterstattung zu angeblich gefährlichen Krankheiten “durch den medialen Durchlauferhitzer gejagt – bis sie sich als harmlos erweisen”. “Die Folge: Die Leser stumpfen ab und reagieren immer uninteressierter auf die neueste Katastrophe, so berechtigt sie auch sein mag.”

4. “Der Fall Oberhauser und das Elend der Meinungsmache”
(derstandard.at, Gerhard Zeillinger)
Gerhard Zeillinger kommentiert den Umgang von Boulevardzeitungen mit Elmar Oberhauser: “Worum es in der Sache eigentlich geht, wird nicht berichtet. Darüber nämlich, wie massiv eine Partei Einfluss auf die Personalpolitik eines öffentlich-rechtlichen Senders nimmt.”

5. “Correction practices at major news sites are a mess, survey finds”
(mediabugs.org, Mark Follman and Scott Rosenberg, englisch)
Beim Umgang von US-Nachrichtenseiten mit Fehlern werden große Unterschiede festgestellt. “Fox News is the exception in the group. Apparently the Fox network never makes errors. We found no corrections content at all on its website.”

6. “ARD: Einknicken vor der Quote?”
(sueddeutsche.de, Christopher Keil)
Die drei letzten Folgen von “Im Angesicht des Verbrechens” werden wegen tiefer Quoten “am 19. November hintereinander versendet”. “Zwei Millionen Menschen sind ordentlich, aber natürlich deutlich weniger als 3,5 Millionen, die den üblichen Zuschauerschnitt am Freitagabend bilden, wenn die ARD um 21.45 Uhr zur Tatort-Wiederholung ansetzt.” Auch Fernsehkritik.tv berichtet: “Im Angesicht der Quotensucht”.