Archiv für November 5th, 2010

Bis sich die Balken biegen

Es sieht aus wie moderne Kunst, soll aber das Ergebnis einer Umfrage abbilden:

Mit einem ernst zu nehmenden Balkendiagramm hat die Grafik auf tagesschau.de allerdings nicht viel zu tun: Der Balken für 77 Prozent ist genauso lang wie die für 84, 89 und 90, aber im Verhältnis zu den Balken mit 52 und 58 Prozent viel zu kurz.

Und 100 Prozent (bzw. 99 bei CDU/CSU) fallen so unterschiedlich aus:

Aber vielleicht gelten in Monaten ohne “b” andere Regeln.

Mit Dank an Georg Z.

Nachtrag, 6. November: tagesschau.de hat die Grafik überarbeitet und mit einem Hinweis versehen:

Diese Grafik wurde ausgetauscht. Die Balken haben jetzt die korrekte Länge. Dank an die Hinweisgeber!

Bild  

Bomben-Stimmungsmache

Vor einem halben Jahr wurden sie noch kollektiv als “Pleite-Griechen” abgestempelt, doch diesen zweifelhaften Ruf dürften die Hellenen – “Bild” sei Dank – jetzt wieder los sein:

Polizei jagt Bomben-Griechen! Woher kommt plötzlich dieser Hass auf Deutschland

Gut, die Attentate wurden von einer für Griechenland wenig repräsentativen anarchistische Gruppe mit dem albernen Namen “Verschwörung der Zellen des Feuers” durchgeführt, weswegen “Bomben-Griechen” etwas arg verallgemeinernd wirkt. Richtig unsinnig ist aber die fragezeichenlose Frage “Woher kommt plötzlich dieser Hass auf Deutschland” bei Bild.de, die im Artikel noch etwas weiter gefasst gestellt wird:

Aber woher kommt plötzlich in Griechenland dieser Hass auf Deutschland, seine Kanzlerin und seine Freunde in der EU?

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Autoren Rolf Kleine und Paul Ronzheimer diesen Hass speziell als “Hass auf Deutschland” und im weiteren Sinne “seine Freunde in der EU” interpretieren. Neben der deutschen Botschaft in Athen und dem Bundeskanzleramt in Berlin wurden nämlich auch an folgende Personen und Einrichtungen Bombenpakete geschickt:

An den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, an den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, an die französische Botschaft, an die bulgarische Botschaft, an die belgische Botschaft, an die niederländische Botschaft, an Europol (Den Haag) und an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Und von wegen “Deutschland und seine Freunde in der EU”: Die Attentäter schickten ihre Sprengsätze auch noch an die Botschaften Russlands, der Schweiz, Chiles und Mexikos.

Der Anschlag galt also nicht allein Deutschland. Die Begründung für den angeblichen “Hass auf Deutschland” in Griechenland, der zu den Bombenattentaten geführt hat, liefern die Autoren trotzdem gleich mit:

Tatsache ist: Bereits während der griechischen Euro-Krise im Frühjahr machten örtliche Medien mächtig Stimmung gegen Berlin. Nach dem EU-Gipfel am vergangenen Wochenende in Brüssel brachen dann alle Dämme – weil vor allem Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Sarkozy sich für besonders harte Strafe für Defizit-Sünder im Euro-Raum stark gemacht hatten.

Diese Aussage von Paul Ronzheimer ist nur noch zynisch — hatte er sich doch selbst vor einem halben Jahr, als “Bild” eine regelrechte Hetzkampagne gegen Griechenland führte, besonders eifrig beteiligt und sich unter anderem dadurch hervorgetan, dass er nach Athen reiste und den Pleite-Griechen symbolisch die Drachme zurückgab.

Wie es übrigens wirklich aussieht, wenn eine Zeitung “mächtig Stimmung” gegen ein Land macht, sieht man an diesen Ausrissen von vor einem halben Jahr:
"Bild" hetzt weiter gegen Griechen

Kachelmann, Hart aber fair, Tolstoi

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wird er jemals wieder glücklich?”
(taz.de, David Denk)
Der von Jörg Kachelmann angekündigte Rückzug aus dem Fernsehen wurde nicht aus freien Stücken entschieden, gibt David Denk zu bedenken. “Ich muss in letzter Zeit immer wieder an Andreas Türck denken. Auch er war Fernsehmoderator, bis ein Vergewaltigungsvorwurf seine Bildschirmpräsenz 2004 abrupt beendete.”

2. “Show, don’t tell”
(juliane-wiedemeier.de)
Bei “Hart aber fair” diskutieren vier Frauen und zwei Männer über das Thema “Quoten, Krippen oder Ellbogen – was brauchen Frauen zum Erfolg?”. Juliane Wiedemeier sieht sich dazu den Frauenanteil der zehn letzten Sendungen an – und rechnet aus, dass einer Frau im Durchschnitt vier Männer gegenübersassen.

3. “Zuckerberg, und weiter?”
(kobuk.at, Sandra Capljak)
Der CEO von Facebook heisst in “Die Presse” “David Zuckerberg”.

4. “Wie der Spiegel Generationen erfindet”
(backview.eu, Lea Kramer)
Lea Kramer hält die Generation Praktikum für “ein Kunstprodukt, das die Leitmedien dankbar aufnehmen – vielleicht um die Akademiker als potentielle Abonnenten von morgen ein wenig zu tätscheln. Dabei ist es bei genauem Hinsehen recht dreist, dass ausgerechnet die Medienbranche diese ‘Zustände’ anprangert. Gerade diese bedient sich mit vollen Händen an den Praktikanten als billigen und kurzfristig einsetzbaren Arbeitskräften.

5. Interview mit Patrick Wall
(christoph-koch.net)
Christoph Koch spricht mit Patrick Wall, der für die Kirche, aus der er inzwischen ausgetreten ist, Fälle von sexuellem Missbrauch vertuschte. “Lassen Sie mich klarstellen: Die Mehrheit der katholischen Priester vergeht sich nicht an Kindern. Laut Studien tun dies sechs bis zehn Prozent.”

6. “Zwei Nasen tanken Tolstoi”
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Andreas Bernard und Lars Reichardt)
Andreas Bernard und Lars Reichardt fahren mit einem “hochmodernen Audi A8 allroad quattro” von München nach Jasnaja Poljana und hören dabei die auf 54 CDs verewigte Hörbuchfassung von Tolstois “Krieg und Frieden”.