Archiv für November, 2010

Küssen verboten

“Die 25 verrücktesten Sex-Gesetze” versprach Bild.de am Donnerstag – selbstverständlich immer mit Blick auf den Bildungsauftrag gegenüber dem Leser – und lieferte dazu eine 25-teilige Klickstrecke. Viel Zeit für Recherche dürfte dabei nicht draufgegangen sein, denn ausnahmslos alle Beispiele geistern zum Teil schon seit den späten Neunzigern in zahllosen Sammlungen und häufig sogar im gleichen Wortlaut durchs Internet oder erschienen schon einmal auf Bild.de.

Noch leichter macht man es sich da nur noch beim Online-Auftritt der Schweizer Boulevardzeitung “Blick”, wo die 25 verrückten “Sex-Gesetze” von Bild.de einfach zwei Tage später als “Verrückte Erotikgesetze” im selben Wortlaut erschienen. Einzige nennenswerte Eigenleistung: blick.ch sortiert nach Ländern.

Bei vielen dieser Gesetze ist es auch aufgrund des komplizierten angelsächsischen Fallrechts nahezu unmöglich zu überprüfen, ob sie immer noch gültig sind oder ob sie überhaupt jemals existiert haben. Zwar lässt sich ein Teil der Gesetze auf der Seite dumblaws.com wiederfinden, aber auch dort fehlt häufig eine Quellenangabe.

Ganz sicher falsch sind jedoch folgende:

Nr. 17 (Bild.de):

Auf Hawaii darf ein Mann nicht mit einer Unter-18-Jährigen zusammen sein. Verstößt er gegen das Gesetz, müssen die Eltern des Mädchens drei Jahre ins Arbeitslager, weil sie ihre Tochter “freizügig” erzogen haben.

Abgesehen davon, dass es im US-Bundesstaat Hawaii keine “Arbeitslager” gibt, findet sich dieses Gesetz weder auf dumblaws.com, noch erscheint es realistisch, wenn man bedenkt, dass auf Hawaii selbst “Unter-18-Jährige” für eine Abtreibung keine elterliche Zustimmung benötigen.

Nr. 20:

Im US-Bundesstaat Connecticut dürfen Kondome offiziell nicht verkauft werden.

Tatsächlich ist der Kondomverkauf in Connecticut seit einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten (Griswold v. Connecticut) im Jahre 1965 zulässig.

Nr. 21:

Und in Indiana ist es nur Frauen verboten, Kondome zu kaufen.

Kondome werden in Indiana sowohl geschlechts- als auch altersunabhängig verkauft — und zwar in Drogerien, Apotheken, Supermärkten und online.

Nr. 22:

Wenn Sie nach Irland fahren, nehmen Sie lieber einen großen Vorrat an Kondomen mit: Auch im streng katholischen Inselstaat sucht man vergeblich nach Lümmeltüten.

Ja, die Mehrheit der Iren ist katholisch. Deshalb sind Kondome auf der grünen Insel auch erst seit 1979 nicht mehr verschreibungspflichtig. Und erst seit 1993 können sie auch von Jugendlichen unter 17 Jahren legal erworben werden. Aber wenn Sie am Flughafen jemanden sehen, der wegen eines Koffers voller “Lümmeltüten” Übergepäck anmelden muss, handelt es sich sicher um Redakteure von Bild.de oder blick.ch.

Andere “verrückte” US-Gesetze wie etwa die gesetzliche Beschränkung auf maximal “zwei Dildos pro Haushalt” in Arizona (Nr. 24) versuchte der amerikanische Jurist Daniel Enevoldsen zu verifizieren — erfolglos. Ihm gebührt das Schlusswort, das wohl auf den Großteil der Gesetze aus der Liste zutreffen dürfte:

Ich glaube, dass es sich dabei irgendwann tatsächlich um Gesetze gehandelt hat, die aber inzwischen nicht mehr angewendet werden. Sie sind vermutlich so alt, dass sie nicht in Online-Datenbanken aufgezeichnet sind. Möglich ist auch, dass die Gesetze nie existiert haben und einfach von irgendwelchen Leuten erfunden wurden. Wie auch immer: Es scheint sie nicht mehr zu geben.
(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an Michael und einen anonymen Helfer!

Wenn der Kindersegen schief hängt

Der griechische Göttervater Zeus hat im Laufe seines Lebens mit Göttinnen, Halbgöttinen und Sterblichen viele, viele Kinder gezeugt. Gut, dass es auf dem Olymp noch keine “Bild” gab, denn die hätte bei den zahlreichen Nachfahren vermutlich noch mehr den Überblick verloren als die Geschichtsschreiber.

Keith Macdonald ist nicht der Typ, dem man einen Kampf gegen die Titanen zutraut. Bild.de bezeichnet ihn als “Englands nutzlosesten Vater” und beruft sich dabei natürlich auf die britische Presse, die ihn “ziemlich fies” so nennt.

Doch wer ist dieser Keith Macdonald?

Er ist arbeitslos! Er kassiert Stütze. Er findet keinen Job, weil er angeblich Rückenprobleme hat. Probleme beim Sex scheint Keith Macdonald (25) nicht zu haben. Er hat acht Kinder von acht Frauen – und sechs Mal Nachwuchs ist noch unterwegs…

Unter Berufung auf britische Medien erklärt Bild.de:

Die Berichte: Keith hat bereits acht Kinder von acht verschiedenen Frauen. Jetzt behaupten vier Exfreundinnen, von ihm schwanger zu sein. Und: Eine der Frauen erwartet sogar Zwillinge.

Vier schwangere Ex-Freundinnen, von denen eine Zwillinge erwartet, macht in der Summe fünf künftige Erdenbürger — da fehlt doch irgendwie noch ein Kind für “sechs Mal Nachwuchs”, der “noch unterwegs” ist.*

Doch Zahlen sind Schall und Rauch: Der “Daily Express”, auf den sich Bild.de beruft, zählt sowieso ganz anders:

Im Alter von 25 hat Keith Macdonald zehn Kinder mit zehn verschiedenen Frauen gezeugt und weitere fünf sind unterwegs. Es könnten noch fünf zusätzliche Nachkommen in der Gegend rumschwirren, zu deren Erzeugung er sich entweder nicht bekannt hat oder sich nicht sicher ist.

(Übersetzung von uns.)

Aber so richtig scheinen auch die britischen Medien nicht mehr durchzublicken: Anfang des Monats hatte Macdonald im “Daily Mirror” noch neun Kinder, eine Woche später sprach die asiatische Nachrichtenagentur ANI von 13 Kindern, die “Daily Mail” folgt der Zehn-Kinder-Theorie, die “Sun” überschlägt 17 Kinder und der “Daily Telegraph” verhedderte sich gestern in bester Bild.de-Manier völlig.

Aber womöglich ist das alles auch völlig egal, solang er arbeitslos ist.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

*) Nachtrag, 13.55 Uhr: Unser Leser Ronny K. hat zumindest eine Erklärung für den angeblich anstehenden sechsfachen Nachwuchs gefunden:

Keith’ aktuelle Freundin Amy (32, nach eigenen Aussagen ebenfalls schwanger von ihm) scheint sein wildes Leben nicht zu beeindrucken.

Mordsberühmt

Ein geistig verwirrter Mann soll in New York die eigene Mutter brutal ermordet haben — Alltag für Boulevard-Journalisten. Wenn der mutmaßliche Mörder dann aber auch noch ein bekannter TV-Star ist, ist es ein Fall für die Titelseite. So titelte Bild.de schon am 24. November auf der Startseite:

Und auch am Montag wieder:

Alleine: Michael L. Brea war alles andere als ein TV-Star. In seiner sehr kurzen Karriere brachte er es gerade Mal auf einen kurzen Auftritt auf dem Bildschirm. Die “New York Daily News”, aus der Bild.de ausführlich abschreibt zitiert, nennt ihn einen “bit-part actor”; also einen Schauspieler der bestenfalls ein paar Zeilen Dialog bekommen hat. Laut Associated Content war der Auftritt sogar eine “walk on appearance” ohne jeden Dialog. Damit hatte es Brea noch nicht Mal zu einem Eintrag in der Filmdatenbank IMDB.com geschafft. Mit dem Samurai-Schwert hat er sich zumindest für Bild.de unsterblich gemacht — aber hier gilt ja schon lange die Devise: Ein Star ist man, wenn es “Bild” passt.

In dem Bemühen, dem Mord für das deutsche Publikum irgendeine Relevanz zu verleihen, macht Bild.de die Serie “Ugly Betty” kurzerhand zum Vorbild der deutschen Erfolgs-Soap “Verliebt in Berlin”. Wie Bild.de bereits 2006 selbst schrieb, stimmt das nicht: “Ugly Betty” startete anderthalb Jahre nach “Verliebt in Berlin” und stützte sich wie die deutsche Serie auf eine kolumbianische Vorlage.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Pferde, Schuhe, Focus

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Qualitätsmedien erliegen dem Spin einer irischen NGO”
(kobuk.at, Fabian Schmid)
Irren wegen der Wirtschaftskrise 20.000 herrenlose Pferde durch Irland, wie zum Beispiel “Spiegel Online” berichtet? Die irische Tierschutzorganisation ISPCA antwortet auf Anfrage: “There are no definitive numbers on horses abandoned in Ireland, our Inspectors have brought in 13 horses in 2007, 16 in 2008, 23 in 2009 and 41 so far this year.”

2. “Focus: Können die kein Englisch?”
(greenpeace-magazin.de)
Das Blog des “Greenpeace Magazin” befasst sich mit der aktuellen “Focus”-Titelgeschichte: “Ein Eisbär ist darauf zu sehen mit (schlecht aufretuschierter) Sonnenbrille – und unter der Schlagzeile ‘Prima Klima!’ die Behauptung: ‘Die globale Erwärmung ist gut für uns’.”

3. “24 Paar Schuhe. Im Schnitt …”
(stefanolix.wordpress.com)
Stefan schreibt zu einer von dpa zitierten Studie über das Kaufverhalten britischer Frauen: “Wo ist der Haken? Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Umfrage nicht repräsentativ.”

4. “Sturm im Wasserglas”
(sprengsatz.de, Michael Spreng)
Für Michael Spreng sind die neusten Wikileaks-Enthüllungen (auf cablegate.wikileaks.org), was Deutschland angeht, “völlig bedeutungslos”: “Das Ganze ist eine vom ‘Spiegel’ und anderen Medien inszenierte Scheinaufregung.”

5. “Wikileaks vs. USA – 4 : 0”
(bulldoglog.wordpress.com, Lars-Marten Nagel)
Lars-Marten Nagel vermutet in der Konzentration von Wikileaks auf die USA finanzielle Gründe: “Assange sagt selbst, dass nach den Großenthüllungen die meisten Spendengelder fließen. Auf Geld ist Wikileaks letztlich zum Selbsterhalt angewiesen. Die letzten Monate haben zudem klar gezeigt: Der riesige Bekanntheitsschub speist sich aus der Konfrontation mit der letzten verbliebenen Supermacht.”

6. “PRrisiert Social Media unsere Gesellschaft?”
(amendedestages.com, Christian)
Christian fragt sich, wie sehr die Gesellschaft durch soziale Medien PRisiert wird. “Das Tun rückt in den Hintergrund, das Darübersprechen in den Vordergrund. Wir machen immer mehr Dinge nur, um anschließend darüber sprechen zu können.”

AFP, dpa, SDA  

Slumdog Billionaire

Hohe Gebäude sind richtig teuer, schreiben Nachrichtenagenturen.

dpa:

Der 174 Meter hohe Wolkenkratzer mit dem Namen “Antilia” hat rund 755 Millionen Euro Baukosten verschlungen und gilt damit als das teuerste Privathaus der Welt.

AFP:

Das Haus ist 174 Meter hoch und Medienberichten zufolge mit Kosten von mehr als einer Milliarde Dollar (752 Millionen Euro) das teuerste Privathaus der Welt.

Und SDA:

Das Haus ist 174 Meter hoch und Medienberichten zufolge mit Kosten von mehr als einer Milliarde Dollar das teuerste Privathaus der Welt.

1 Milliarde US-Dollar für ein Wohnhaus mit 174 Metern Höhe? Während das derzeit höchste Gebäude der Welt, der 828 Meter hohe “Burj Chalifa” in Dubai, rund 1.5 Millarden US-Dollar kostete? Das kam kobuk.at schon im Oktober seltsam vor (s.a. “6 vor 9” vom 1. November).

Doch die Zahl war bereits 2008 in einem “Forbes”-Artikel zu lesen gewesen:

The cost, originally set at $1 billion, is approaching $2 billion.

Zwei Milliarden Dollar wären verdammt viel Geld. Zwei Milliarden indische Rupien hingegen entsprachen im April 2008 rund 50 Millionen Dollar. Diese Größenordnung passt auch besser zur Aussage eines Sprechers von Reliance Industries, der im Juni 2008 der “New York Times” sagte, die Kosten würden letztlich 50 bis 70 Millionen US-Dollar betragen. Mukesh Ambani, der nun in das Haus einzieht, ist Vorstandsvorsitzender von Reliance Industries.

Ob man damit in Mumbai so ein Haus bauen kann, wurde allerdings bereits im April 2010 auf skyscrapercity.com diskutiert:

Ich persönlich schätze 50 bis 70 Millionen USD für ein solches Gebäude etwas tief ein, aber über was reden wir? Nur über die reinen Baukosten? Innerhalb oder ausserhalb der besten Wohnlage in Mumbai? Mit oder ohne Innenausstattung? Die Zahlen sind so durcheinander an diesem Punkt, dass es nichts bringt, es herauszufinden.

(Übersetzung von uns.)

Doch wenn eh alles durcheinander ist, kann man sich natürlich einfach irgendeine, möglichst hohe Zahl aussuchen: Der Übernahme von Agenturtexten wegen kostet das Haus deshalb auf bild.de 750 Millionen Euro, auf welt.de, stern.de und badische-zeitung.de 752 Millionen Euro, auf focus.de, abendzeitung.de und merkur-online.de 755 Millionen Euro und auf epochtimes.de nur 700 Millionen Euro.

Da die Schweizer Nachrichtenagentur SDA nicht umrechnen wollte, ist in den nahezu deckungsgleichen Berichten von blick.ch, 20min.ch, swissinfo.ch, cash.ch und anderen immer von “einer Milliarde Dollar” die Rede.

Mit Dank an Leo S. und Markus.

Nachtrag, 30. November: Badische-zeitung.de korrigiert ihren Bericht und versieht ihn mit einer “Anmerkung der Redaktion”.

Nur 48 Stunden

Mal so ganz hypothetisch: Was würden Sie von einem Video erwarten, das derart angepriesen wird?

Chinesische Baukunst: Hochhaus in nur zwei Tagen gebaut. Chinesischen Arbeitern gelang es in nur zwei Tagen das "Ark Hotel" in Changsha zu bauen. Das Gebäude hält Erdbeben bis zur Stärke 9 stand. Zudem ist es schalldicht und thermoisoliert.

“Ein Video über ein Hochhaus, das in nur zwei Tagen gebaut wurde”, sagen Sie?

Alles klar. Bild.de liefert brav ab:

Ein Hochhaus in nur zwei Tagen — chinesischen Arbeitern gelang dieses Baukunststück. Binnen 48 Stunden haben sie das 15-geschossige “Ark Hotel” in Changsha gebaut.

Beeindruckend, was? Und dann zeigt Bild.de auch noch ein Zeitraffervideo vom Aufbau des Hotels:

Es wird dunkel …

… und wieder hell …

… und dunkel …

… und wieder hell …

… und dunkel …

… und …

Äh, was ist da eigentlich mit der Zeitanzeige los?

“Nach knapp einer Woche war das Hotel einzugsfertig”, sagt jetzt der Off-Sprecher und fügt hinzu:

Doch die chinesische Baufirma behauptet, dass sie das Kunststück auch in zwei Tagen geschafft hätte.

Aha. Der Bau des Hauses hat also nach übereinstimmenden Berichten internationaler Medien etwa sechs Tage gedauert, die Baufirma sagt, dass sie das auch in zwei Tagen geschafft hätte, und Bild.de berichtet dann: “Hochhaus in nur zwei Tagen gebaut”.

Was, wenn Bild.de plötzlich behaupten würde, auch fehlerfrei und in sich logisch berichten zu können?

Mit Dank an Wilhelm W.

Bild  

Frau zu Guttenberg, die verfolgte Unschuld

Eine Stiftung, die die Verwendung von Spendengeldern bei karitativen Einrichtungen überprüft, rügt eine Kinderschutzorganisation, weil sie sich weigert, ihre Finanzen offenzulegen. Preisfrage: Wen von beiden macht “Bild” daraufhin zum “Verlierer” des Tages?

Richtig: die Stiftung. Denn die Kinderschutzorganisation heißt “Innocence in Danger”, und ihre Präsidentin ist Stephanie zu Guttenberg, für die die “Bild”-Zeitung seit einiger Zeit in großem Stil Propaganda macht.

Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), das unter anderem vom Berliner Senat, dem Familienministerium und dem Industrie- und Handelskammertag getragen wird, vergibt seit fast zwanzig Jahren ein “Spenden-Siegel”. Gegen eine jährliche Gebühr von, je nach Spendenaufkommen, 500 bis 10.000 Euro überprüft das DZI, ob eine Organisation seine Leitlinien (pdf) einhält. Es geht vor allem darum, ob Spenden zweckgerichtet und sparsam verwendet werden. Das Siegel soll als Orientierungshilfe dienen, um seriöse Spendenorganisationen zu erkennen.

Am Samstag berichteten die Schwesterblätter “Frankfurter Rundschau” und “Berliner Zeitung”, über “fragwürdige Methoden” des Vereins “Innocence in Danger”, der durch die Möchtegern-Kinderschänder-Fang-Show “Tatort Internet” von RTL 2 bekannt wurde. Der Verein weigere sich, Auskunft über elementare Fragen zu geben wie darüber, wie viel Spenden er einnimmt und wofür die Mittel verwendet werden. In einem Interview kritisierte dies DZI-Leiter Burkhard Wilke:

Eine gemeinnützige Organisation, die so in der Öffentlichkeit steht wie “Innocence in Danger” und erkennbar um finanzielle öffentliche Unterstützung bittet, sollte der Öffentlichkeit auch aussagekräftige Finanzberichte zur Verfügung stellen. Das kann man von solchen Organisationen verlangen. Es geht dabei um eine Basistransparenz. (…) Ich kann Spendern generell keine Organisation empfehlen, bei denen der Appell an Spender und die Bitte um Mittel nicht einhergehen mit der Bereitschaft, Finanzzahlen zu veröffentlichen.

Offenbar weiß Wilke nicht, dass Transparenz unnötig ist, wenn Stephanie zu Guttenberg etwas mit der Sache zu tun hat. Die “Bild”-Zeitung erklärt es ihm heute auf ihrer Titelseite:

Verlierer: Burkhard Wilke (46) vom "Zentralinstitut für soziale Fragen" (DZI) vergibt das "Spendensiegel" für Hilfsorganisationen, kassiert dafür bis zu 10 000 Euro je Siegel. Jetzt geht Wilke auf Stephanie zu Guttenbergs Verein "Innocence in Danger" los, weil der Spendengeld lieber in Hilfe investiert als in ein Siegel. BILD meint: Schlechter Stil!

Der Angriff auf das seriöse Spenden-Siegel wird “Bild” ein doppeltes Bedürfnis gewesen sein. Es gibt nämlich neben “Innocence in Danger” noch eine andere Organisation, die immer wieder groß in den Medien ist, sich aber weigert, offenzulegen, wofür sie die Spenden verwendet, und dafür vom DZI kritisiert wird. Sie heißt “Ein Herz für Kinder”.

Mit Dank an Tobias P. und Fritz!

Innocence in Danger, Wikileaks, Prinz William

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Doch kein Verbot von Spiegelreflexkameras in Kuwait”
(golem.de, asa)
Die Tageszeitung “Kuwait Times” zieht einen Bericht zurück, in dem behauptet wurde, Spiegelreflexkameras würden in Kuwait für die nicht-journalistische Verwendung verboten. Die Meldung wurde unter anderem von welt.de und taz.de aufgegriffen.

2. “Undurchsichtige Finanzen, dubiose Methoden”
(berlinonline.de, Katja Tichomirowa und Matthias Thieme)
Katja Tichomirowa und Matthias Thieme begutachten den Verein “Innocence in Danger”, der durch die RTL2-Sendung “Tatort Internet” und die Präsidentin des Vereins, Stephanie zu Guttenberg, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Das Fazit: “Ein massenwirksames Brimborium zum Schaden echter Opferhilfe – finanziert mit Spenden.”

3. “Wikileaks und die Medien”
(dondahlmann.de)
Don Dahlmann zum gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Wikileaks und den Medien: “Einerseits zeigt es, dass Wikileaks ohne die Hilfe der Medien nicht in der Form existieren könnte, andererseits sieht man auch, dass die Medien ohne Wikileaks derartige Daten nicht bekommen würden, oder die Gefahr bestünde, dass sie aus politischer Rücksichtsnahme nicht an die Öffentlichkeit kämen.”

4. “Prinzenhochzeit: Boulevard setzt auf Buchmacher”
(kobuk.at, Yilmaz Gülüm)
Wann soll die Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton stattfinden? Am 29.4., am 8.7. oder am 13.8.2011? Princeofwales.gov.uk schreibt: “The marriage of Prince William and Miss Catherine Middleton will take place at Westminster Abbey on Friday 29th April 2011.”

5. “Das Buch als Geldbäumchen”
(online-merkur.de, Kathrin Passig)
Kathrin Passig denkt über das gedruckte Buch nach: “Eines Tages wird man es betrachten wie heute das wändefüllende Schallplattenregal: als exzentrisches, ein wenig rückwärtsgewandtes und beim Umzug beschwerliches Wohnaccessoire.”

6. “Ich nehme mir ein Recht”
(lawblog.de, Udo Vetter)
Udo Vetter ärgert sich, dass sein Haus bei Google Street View unkenntlich gemacht wurde: “Das ärgert mich nicht nur diffus, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. Mir gehört nicht nur eine Wohnung in dem Haus. Es ist jetzt schon absehbar, dass die Vermietungschancen durch die Verpixelung des Objekts sinken.”

Dance With Somebody

Dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) geht es finanziell nicht so richtig gut, händeringend wird im Haus nach Einsparungsmöglichkeiten gesucht.

Einen ersten Erfolg gibt es anscheinend bei der Internetseite des Senders zu vermelden: Statt für teures Geld aktuelle Agenturfotos einzukaufen oder gar eigene Fotografen loszuschicken, bedient man sich einfach im umfangreichen Archiv. Randale in Berlin sehen Randalen in Hamburg im Grunde nicht unähnlich (BILDblog berichtete) und auch beim Bundespresseball sieht es im Wesentlichen jedes Jahr gleich aus.

Also theoretisch:

Mit Dank an Klaus B.

Nachtrag, 28. November: “RBB Online” hat Horst Köhler durch Christian Wulff ersetzt.

Bild  

“Tatort Internet” und das Recht zu schweigen

Mindestens genauso spannend wie das, was in der Zeitung steht, ist ja häufig das, was nicht in der Zeitung steht.

Aber erst mal zurück zu dem, was tatsächlich gedruckt wird:

Seit dem Start von “Tatort Internet” berichtete “Bild” immer wieder wohlwollend über die RTL2-Sendung. Stephanie zu Guttenberg, First Lady von “Bilds” Gnaden und Gastmoderatorin der ersten Ausgabe, wurde für ihr Engagement gefeiert und zur “Gewinnerin” ernannt (BILDblog berichtete mehrfach darüber).

Am 12. November vermeldete “Bild” auf Seite 2:

“Tatort Internet” verstößt nicht gegen Jugendschutz

München – Wichtiger Erfolg für die RTL-2-Reihe “Tatort Internet”: Die TV-Sendung verstößt nicht gegen die Jugendschutzbestimmungen! Das bestätigte die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Der KJM-Vorsitzende Wolf-Dieter Ring sagte, dass die Gefahren des sexuellen Missbrauchs im Internet durch diese Sendung “ein Stück weit breiter diskutiert” und neue Zielgruppen erreicht würden.

Vergangene Woche sprach der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann bei einem Symposium der Initiative “White IT” in Hannover mit Fachleuten von Polizei und Wirtschaft über die Bekämpfung von Kinderpornografie und Kindesmissbrauch jenseits medialer Show-Effekte. Im Rahmen der Veranstaltung wurde “Tatort Internet” mehrfach kritisiert — so forderte die EU-Abgeordnete Sabine Verheyen (CDU) von den Medien “gehaltvolle Information” und setzte hinzu: “Damit meine ich nicht, was in der letzten Zeit über den Äther gegangen ist”.

Die Lokalredaktion Hannover jedoch ignorierte die Veranstaltung nahezu komplett und lud Minister Schünemann zum gemeinsamen Fernsehgucken, um seine Meinung zu “Tatort Internet” zu erfahren. Schünemanns durchaus differenzierte Antworten (“Eine ehrenwerte Idee.”, “Fahndung ist Aufgabe der Polizei, nicht von TV-Reportern.”) fasste “Bild” in der Überschrift so zusammen:

Innenminister über TV-Jagd auf Kinderschänder: "Dieser dunkle Bereich gehört ins Licht der Öffentlichkeit"

Diesen Dienstag teilte die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) mit, dass “Tatort Internet” gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstoßen habe: In den beiden ersten Folgen seien die potentiellen Täter nicht hinreichend unkenntlich gemacht worden, “so dass sie von ihrem sozialen Umfeld durchaus identifizierbar waren”.

Zahlreiche Medien berichteten über die Entscheidung der ZAK — in “Bild” ist dazu nichts zu finden.

Mit Dank an a Friend.

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