Archiv für August 26th, 2010

Und was hat dann DJ Bobo erfunden?

Die Tatsache, dass Jürgen Trittin an Eierbrötchen erinnert wird, wenn er die Musik der Bee Gees hört, ist selbst im Sommerloch eher eine Null-Nachricht. Die Internetseite des Kölner “Express” tat dem Musikmagazin “Rolling Stone” dennoch gerne den Gefallen, diese Vorabinformation aus dem morgen erscheinenden Interview mit Trittin weiterzuverbreiten:

Ganz schön gaga: Trittin: Bei Disco-Musik denkt er an Eierbrötchen

Statt sich nur über Trittin lustig zu machen, hätte Express.de aber auch bei dieser Geschichte ein bisschen Wert auf Fakten legen können:

Das komme davon, dass zu seiner Bundeswehrzeit in der Kantine immer solche Musik gespielt worden sei, sagte der ehemalige Umweltminister und Erfinder des Dosenpfands dem Magazin “Rolling Stone”.

Zwar steht in der Pressemitteilung des “Rolling Stone” auch, dass sich Trittin “DJ Dosenpfand” nennt, wenn er irgendwo auflegt, aber “erfunden” hat das Dosen- oder Einwegpfand im Jahr 1991 der damalige Umweltminister Klaus Töpfer.

Mit Dank an Jens N.

Stände, Räte und Mehre

Noch bevor die Schweizerische Bundeskanzlei im amtlichen Bundesblatt die Vorprüfung der Volksinitiative mit dem Titel “Todesstrafe bei Mord mit sexuellem Missbrauch” vermelden konnte, schrieben die Medien schon weltweit darüber. Einen Tag nach Beginn der bis Februar 2012 dauernden Sammelfrist für die benötigten 100.000 Unterschriften verkündete das Initiativkomitee den Rückzug der Initiative.

Auf ihrer Website todes-strafe.ch schrieben die Initianten:

Unser Hauptziel war die Bevölkerung auf die Missstände aufmerksam zu machen.

Auch Sueddeutsche.de dachte über die möglichen Folgen der nicht zustandekommenden Initiative nach, verirrte sich dabei aber:

Um die Verfassung dann tatsächlich zu ändern, muss allerdings auch die Mehrheit des Ständerats, also die Vertretung der Kantone im Parlament, dem Beschluss zustimmen.

Aber dennoch: Würde eine solche Volksinitiative zunächst zugelassen, dann vom Volk und vom Parlament angenommen, würde die Verfassung der Schweiz gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) stehen.

Eine Entscheidungsmacht hat das aus Nationalrat (Entsprechung in Deutschland: Bundestag) und Ständerat (Entsprechung in Deutschland: Bundesrat) bestehende Schweizer Parlament bei Volksinitiativen keine.

Entschieden werden Volksinitiativen durch das Volksmehr (die Mehrheit der gültigen Stimmen der Bürger) und das Ständemehr, also die Mehrheit der Stimmen in den Kantonen.

Im Unterschied zur rein repräsentativen Demokratie ist es ja der Sinn der direkten Demokratie, das Volk ohne Umwege über das Parlament entscheiden zu lassen.

Mit Dank an Fabian P.

Wo die Straßen keine Sicherheit haben

Nach Plänen der Bundesregierung sollen Führerscheine, die ab 2013 ausgestellt werden, nur noch für 15 Jahre gültig sein, so berichtet es Bild.de. Eine neue Prüfung soll aber für die Verlängerung nicht notwendig sein, ebenso wenig eine ärztliche Untersuchung.

Bleibt die Frage, inwieweit eine solche, routinemäßige Verlängerung “die Straßen sicherer” machen soll:

Verfallsdatum für Führerscheine – eine gute Idee? A: Ja, denn so werden die Straßen sicherer! B: Nein, diese Regelung ist ein Bürokratiemonster und Geldmacherei!

88% der Bild.de-Leser scheinen den Zusammenhang auch nicht zu sehen und haben sich derzeit für Antwort B entschieden.

Mit Dank an Jan.

A farewell to brothers in arms

Die Geschichte ist so ungewöhnlich, dass das Polizeipräsidium Bochum im ersten Satz seiner Pressemitteilung erst einmal verkündet, dass der Inhalt der nachfolgenden Polizeipressemeldung “nun wirklich sehr ungewöhnlich” sei: Ein 35 Jahre alter Mann aus Herne ließ sich wegen einer Geschwulst am Kopf im Krankenhaus untersuchen, woraufhin die Ärzte auf seinem Röntgenbild einen Fremdkörper entdeckten, der sich bei einer Operation als Projektil des Kalibers 22 herausstellte.

Oder wie “Spiegel Online” es formuliert:

Ein Mann aus Herne hat jahrelang mit einer Pistolenkugel im Kopf gelebt. Er hatte in einer Silvesternacht angetrunken einen Schlag am Hinterkopf verspürt, dem aber keine Bedeutung beigemessen. Die Polizei vermutet, dass er das Opfer eines Schützenbruders wurde.

Diese Vermutung äußert die Polizei allerdings weltexklusiv auf “Spiegel Online”. Wie uns der Polizeisprecher auf Anfrage bestätigte, habe er nie von einem “Schützenbruder” gesprochen. Er habe lediglich in einem der zahlreichen Gespräche mit Journalisten aus aller Welt erklärt, dass Projektile des Kalibers 22 (5,6 mm) typisch für Sportschützen seien — und die Polizei regelmäßig vor Silvester davor warne, mit Salutschüssen das Jahr zu begrüßen.

Mit Dank an Benedikt K.

Karan, Castings, Innovationsprojekte

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Märchen von Ian Karan”
(ndr.de, Video, 4:02 Minuten)
Verschiedene Medien verbreiten die Aussage von Ian Karan, Bundeskanzlerin Merkel habe ihn persönlich dazu aufgefordert, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen.

2. “Justizministerin stärkt Freiheit der Presse”
(bmj.bund.de)
Ein neuer Gesetzentwurf (PDF-Datei) der Bundesregierung soll dazu beitragen, “das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen”: “Damit Jour­na­lis­ten ohne Angst vor Straf­ver­fol­gung re­cher­chie­ren können, wer­den sie zu­künf­tig nicht mehr wegen Bei­hil­fe zum Geheimnisverrat ver­folgt, wenn sie ihnen zu­ge­spiel­te Dienst­ge­heim­nis­se veröffentlichen. Die Pflicht, be­stimm­te Informa­tio­nen ge­heim zu hal­ten, trifft nur die je­wei­li­ge Amts­per­son – nicht aber den Journa­lis­ten.”

3. “Castingshow ‘X Factor’ manipuliert Gesang”
(diepresse.com)
Ein Sprecher der britischen Castingshow “X Factor” gibt gegenüber der BBC zu, dass Darbietungen nachträglich optimiert wurden.

4. “Steht ‘Gratiszeitung’ für ‘Wir klauen deine Fotos’?”
(kobuk.at, Helge Fahrnberger)
Helge Fahrnberger findet ein auf seinem Blog veröffentlichtes Foto in den Zeitungen “Österreich” und “Heute” wieder.

5. “Die Gesellschaft der Beachtungsexzesse”
(faz.net, Bernhard Pörksen und Wolfgang Krischke)
Bernhard Pörksen und Wolfgang Krischke denken über die “Casting-Gesellschaft” nach: “Sein heißt hier zuerst: medial stattfinden. Und man findet statt, indem man – je nach Format, je nach Publikum – das Gewünschte liefert. Geschichten, starke Bilder, Konflikte, illustrative Schicksale, Personen, die Spannung erzeugen, plakative Formulierungen, deutliche Wertungen.”

6. “Wenn Deutschland das Internet entwickelt hätte…”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Was, wenn das Internet “als offizielles ‘Innovationsprojekt’ in Deutschland konzipiert worden wäre”?