Archiv für August 25th, 2010

Bitte nicht nachmachen — aber wenn, dann so!

Die Macher von “RP Online”, dem Webauftritt der “Rheinischen Post” und Marktführer bei den Online-Portalen regionaler Tageszeitungen, lassen keine Zweifel daran, was sie vom sogenannten “Balconing” halten: Ein “Urlaubswahnsinn” sei es, sich vom Balkon, Fenster oder Dach eines Hotels in den Swimming Pool zu stürzen, ein “gefährliches Spiel”, ein “gefährlicher Trend”.

Wer dennoch so waghalsig, lebensmüde oder schlicht bekloppt ist, diesen Unfug nachzumachen, ist gut beraten, wenn er sich dabei filmen lässt und das Video auf YouTube stellt. Denn vielleicht zeigt “RP Online” seinen Lesern schon bald den zweiten Teil seines Videos “Irre Balkon-Springer auf Mallorca”, in dem die waghalsigsten, lebensmüdesten oder schlicht beklopptesten Sprünge in Hotelpools teils in Zeitlupenwiederholung zu sehen sind:

Irre Balkon-Springer auf Mallorca

Mit Dank an Höpp.

Nachtrag, 26. August: Unser Leser Matthias M. weist uns darauf hin, dass Bild.de bereits Mitte August über den “gefährlichen Urlaubsspaß” berichtete — natürlich ebenfalls mit Video.

Waschen, schneiden, spalten

Hobbypsychologen und Boulevardreporter wissen: Wenn sich eine Frau von ihrem langen Haupthaar trennt, hat es vermutlich eine wichtige Veränderung in ihrem Leben gegeben.

Oder sie hoffte auf eine neue Filmrolle, so wie diese unglückliche Schauspielerin:

Emma Watson (20): Sie wollte sich nach acht abgedrehten “Harry Potter”-Filmen einer neuen Aufgabe widmen und schnitt sich zum Vorsprechen sogar die Haare ab.

Bild.de hat die Formulierung “schnitt sich zum Vorsprechen sogar die Haare ab” mit einem Link unterlegt, der einen direkt zu einem anderen Bild.de-Artikel vom 6. August bringt.

Damals schrieb Bild.de:

Mit der Frisur erinnert der “Harry Potter”-Star (spielt Zauberschülerin Hermine) ein wenig an 60er-Jahre Stilikone Twiggy. Doch eine Filmrolle ist nicht der Grund für Emmas neuen Look. Sie trennte sich freiwillig von ihrem schönen langen Haar.

“Ich habe das seit vielen Jahren vorgehabt”, schreibt die Britin bei Facebook. “Es fühlt sich unglaublich an. Ich liebe es.” Es sei “das Befreiendste überhaupt”!

Mit Dank an Mats S.

Nachtrag, 26. August: Bild.de hat den Satz dahingehend geändert, dass sich Emma Watson nicht mehr “zum Vorsprechen” die Haare abgeschnitten hat, sondern “kurz vor dem Vorsprechen”.

Blöd nur, dass der erste Satz des Artikels immer noch lautet:

Scarlett Johansson wollte sie, Emma Watson ließ sich dafür die Haare abschneiden – die Rolle der düsteren Computer-Hackerin Lisbeth Salander in der Hollywood-Version der Stieg Larssons “Millenium”-Trilogie.

Und falls Sie das auch noch ändern wollen, liebe Bild.de-Redakteure: “Millennium” schreibt man mit zwei “n”, weil es von “mille” (tausend) und “annus” (Jahr) kommt. Mit einem “n” käme es von

Einfach mal das Gehirn lüften

“Aktuelle Nachrichten” verspricht Bild.de auf seiner Startseite. Wenn sich aber die Chance bietet, den zwischenzeitlich deformierten Kopf eines Schwerverletzten zu zeigen und als “Alien-Schädel” zu bezeichnen, dann dürfen sie auch schon einmal eine ganze Woche alt sein.

Unter einem Bild des bemitleidenswerten Skateboardunfallopfers Kyle Johnson kann man lesen:

Kyle Johnson: Ärzte entnahmen ihm Teile des Gehirns und setzten es später wieder ein. So sah er in der Zwischenzeit aus

Hätte die Person, die diese Bildunterschrift verfasst hat, allerdings den dazugehörigen Artikel oder wenigstens die Überschrift “Lebensgefahr! Ärzte frieren Teile von Kyles Schädel ein” gelesen, dann wüsste sie, dass das ziemlicher Unfug ist. Die Ärzte haben nämlich mitnichten Teile des Gehirns des Patienten entnommen, sondern, wie bei einer dekompressiven Kraniektomie üblich, Teile des Schädels.

Dazu, Teile des Gehirns zu entnehmen und dann wieder erfolgreich einzusetzen, wären höchstens die vorher angesprochenen Aliens imstande.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 11.51 Uhr: So schnell kann’s gehen. Bild.de hat das Gehirn unauffällig verschwinden lassen:

Kyle Johnson: Ärzte entnahmen ihm Teile der Schädeldecke – und setzten sie später wieder ein

Nachtrag, 26. August: BILDblog-Leser Lutz B. hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass in einer früheren Version des Artikels noch durchweg die Rede davon war, dass man dem Mann Teile des Gehirns entfernt habe. Die Bildunterschrift wurde bei der Korrektur schlicht übersehen. Und tatsächlich: Im Cache von Google findet man diese Version noch, in der es etwa heißt:

Die Ärzte entschieden sich zu einer riskanten OP: Sie schnitten Teile von Kyles Gehirn weg, froren es ein – und setzen es ihm Wochen später wieder ein. (…) Als seine Hirnschwellung zurückging, setzen die Ärzte ihm die eingefrorenen Hirnteile wieder ein.

Die einzigen, die es also letztendlich wirklich geschafft haben, ein Gehirn erfolgreich zu entfernen, waren die Leute von Bild.de. Respekt!

BLM, Ferguson, Sarrazin

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Bedauerliches Büroversehen”
(funkkorrespondenz.kim-info.de, Volker Nünning)
Die Bayerische Landesmedienanstalt BLM verpasst es, “einen Bußgeldbetrag von insgesamt 115 000 Euro” einzuziehen. Auch Stefan Niggemeier berichtet.

2. “Das Landgericht am Ende des Universums”
(heise.de/tp, Markus Kompa)
Markus Kompa denkt über ein Urteil des Hamburger Landgerichts gegen die “Superillu” nach, das der Zeitschrift verbietet, eine Verletzung von Michael Ballack in einer Schlagzeile mit dem “Karriereende” in Verbindung zu bringen. “Selbst das Landgericht Hamburg hielt die Karriereende-Headline ausdrücklich für eine Prognose – aber angesichts der mitschwingenden Behauptung eines Karriereendes eben doch für eine beweisbedürftige Tatsachenbehauptung.”

3. “Der Presseboykott des Sir Alex Ferguson”
(11freunde.de, Tilo Mahn)
Die Vereine der Premier League überlegen sich die Einführung von Geldstrafen für Trainer, die keine Interviews gewähren. “Der englischen Rundfunkanstalt BBC verweigert der Trainer von Manchester United seit fast sechs Jahren jedes Interview, was auch in der neuen Saison für Diskussionen sorgt.”

4. “Sarrazin: ‘Deutschland wird immer ärmer und dümmer!'”
(nachdenkseiten.de, Wolfgang Lieb)
Wolfgang Lieb begutachtet die “knallharte Analyse” von Thilo Sarrazin in “Bild”.

5. “die völlig neuen, anderen twittercharts”
(popkulturjunkie.de, Jens Schröder)
Die “100 von Twitter-Nutzern meistverlinkten deutschsprachigen Inhalte-Websites”.

6. “Feldversuch: Journalist in Russland”
(mypcaminando.ch, myp)
Es kommt nicht immer gut an, wenn man erzählt, man habe mit Journalismus und Blogs zu tun: “Der eine Russe, der Herr des Hauses ist, wo wir wohnen, legt mit einer Salve von Beschimpfungen auf Russisch los. Verstanden haben wir gar nichts, aber für einen so aggressiven Tonfall und einen gestreckten Mittelfinger ist keine Übersetzung notwendig. Er lässt sich kaum mehr beruhigen.”