Archiv für August 23rd, 2010

So dumm ist Bild.de schon heute

Die Zeit verfliegt und die Welt ist ein Karussell. Gerade Lehrer merken das immer wieder, wenn sie sich mit einer neuen Generation von Schülern auseinandersetzen müssen. Aus diesem Grund veröffentlicht das Beloit College in Wisconsin jedes Jahr die Mindset List. Diese launige Zusammenstellung soll die Professoren daran erinnern, dass ihre Studenten in einer anderen Welt aufgewachsen sind als sie selbst.

Klingt nicht aufregend? Kein Problem, Bild.de hat einen Dreh gefunden, wie man das Thema interessanter gestalten kann:

US-Bildungs-Studie So dumm ist die Elite von morgen

Dass die Liste keine “US-Bildungs-Studie” ist — geschenkt. Richtig dumm wird es, wenn Bild.de versucht, die Belege für die Dummheit der US-Studenten zu finden und elf vermeintliche Irrglauben “dokumentiert”:

Frauen dürfen Priester werden.

Diese vermeintliche Dummheit ist ein Fakt. Die römisch-katholische Kirche mag sich immer noch gegen Frauen im Priesteramt stemmen, in der anglikanischen Kirche in den USA ist diese Schlacht jedoch lange entscheiden. Die erste Bischöfin wurde dort bereits vor 21 Jahren geweiht.

Den Kalten Krieg hat es nie gegeben.

Dies wäre wirklich eine geschichtsvergessene Dummheit –steht aber nicht auf der Liste des Beloit College. Hier ist lediglich die Rede davon, dass die Erstsemester sich nie vor einem russischen Raketenangriff auf die USA gefürchtet haben. Und da die meisten der Studienanfänger nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geboren wurden, ist dies mehr als verständlich.

Beethoven ist nur ein Filmhund („Ein Hund namens Beethoven“) und kein weltberühmter Komponist.

Dumm nur: Das steht nicht in der “Mindset List”. Hier heißt es lediglich: “Beethoven war schon immer ein guter Hundename”.

Michelangelo ist lediglich ein Computervirus und kein italienischer Künstler.

Auch hier stellte sich Bild.de dumm, denn in der “Mindset List” steht lediglich, dass die Studenten mit dem Computervirus zuerst in Berührung gekommen sind. Was zweifellos humoristisch gemeint ist, da das Schadprogramm in dem Geburtsjahr der meisten Studienanfänger verbreitet wurde.

Songs der Band Nirvana (1987 – 1994) hört man hauptsächlich auf Radiostationen, die Oldies spielen.

Das mag Bild.de wie ein Sakrileg erscheinen und deshalb sah sich die Redaktion genötigt, etwas hinzuzufügen. Im Original steht lediglich, dass Nirvana auf Oldie-Sendern läuft. Und das stimmt zweifellos.

An dieser Stelle ging Bild.de wohl die Fantasie aus und machte mit vermeintlichen Dummheiten der Mindset List vom vergangenen Jahr weiter. Intelligenter wird es damit aber auch nicht.

Mit Dank an Hauke, Alexander S. und die weiteren Hinweisgeber

Posch, Bremer Zeitung, Sonntagszeitung

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Strategische Verarsche der Leser”
(taz.de, Daniela Zinser)
Warum Antje Tiefenthal “Klatschkritik” ins Leben gerufen hat: “Die Idee zum Blog hatte sie schon vor Monaten, als ihr beim Lesen, zur Entspannung, immer öfter handwerkliche Fehler aufgefallen sind. Etwa, dass auf dem Titel Themen versprochen wurden, die hinten kaum eine Kurzmeldung waren. Oder News, die Monate alt sind, wie das Internetportal einer Parfümerie, das nun, im Juli, online sein soll – und es schon seit dem Ende des Vorjahres ist.”

2. “Echt Fake, echt Posch”
(fernsehkritik.tv, Video, insgesamt 45 Minuten)
Der Fernsehkritiker befragt Personen, die sich für die Doku-Formate “Christopher Posch – Ich kämpfe für Ihr Recht!” (RTL) respektive “Die strengsten Eltern der Welt” (Kabel 1) filmen ließen.

3. “Schleichender Tod”
(fr-online.de, Eckhard Stengel)
“Von der traditionsreichen Bremer Zeitung ist nicht viel mehr als der Titel geblieben. Alles andere kommt vom Weser-Kurier.”

4. “Löscht meinen Namen!”
(klartext.ch, Nick Lüthi)
Wer sich nicht mehr im Kontext früherer Berichterstattung lesen möchte, wendet sich an die Medien und ihre Archivare. Nick Lüthi schreibt, wie das Magazin “Klartext” in drei konkreten Fällen verfährt und redet mit dem Geschäftsführer der Schweizer Mediendatenbank (SMD).

5. “Wie Journalisten selber Schlagzeilen machen”
(davidbauer.ch)
David Bauer vergleicht den Kioskaushang der “Sonntagszeitung” mit der im Interview gemachten Aussage. “Korrekt hätte die Schlagzeile lauten müssen: ‘Calmy-Rey stimmt der SonntagsZeitung zu, dass das Geschlecht einer von vielen Faktoren ist, die es bei der Neubesetzung des Bundesrats zu berücksichtigen gilt.’ Newswert? Richtig geraten: Null.”

6. “Austria after Hans Dichand”
(opendemocracy.net, Anton Pelinka, englisch)
Anton Pelinka schätzt die Medienlandschaft in Österreich nach dem Tod von “Krone Zeitung”-Verleger Hans Dichand ein. “When Hans Dichand died on 17 June 2010 at the age of 89, an era in the relationship between media and politics in Austria ended.”