Archiv für Juni 22nd, 2010

Schmeicheln Sie uns: Flattr!

Vielleicht sind Ihnen die neuen orange-grünen Schaltflächen unter den Einträgen aufgefallen: Seit einigen Tagen kann man BILDblog flattrn.

Der für solche Internet-Angebote typisch vokalarme Begriff kommt vom englischen to flatter: schmeicheln. Hinter “Flattr” steht der Versuch, ein System zu entwickeln, mit dem Menschen Internet-Angebote, die ihnen gefallen, finanziell unterstützen können — ohne jedesmal die Kreditkarte zücken oder größere Geldbeträge ausgeben zu müssen. Das zentrale Prinzip ist die Freiwilligkeit: Die Angebote bleiben kostenlos und verschwinden nicht hinter sogenannten Bezahlschranken.

Und so funktioniert’s: Man meldet sich bei “Flattr” an und legt fest, wie viel Geld man im Monat für gute Online-Beiträge ausgeben möchte. (Zur Zeit ist das Angebot noch in einer Probephase, in der man eine Einladung braucht oder sich um eine Warteliste setzen lassen muss — das soll aber inzwischen schnell gehen.)

Dann klickt man jedesmal, wenn einem etwas gut gefällt und sich ein Flattr-Knopf in der Nähe befindet, darauf. Am Ende des Monats wird dann das Budget, das man selbst bestimmt hat, unter den Dingen aufgeteilt, die man geflattrt hat. Wenn jemand zum Beispiel einen Betrag von 10 Euro im Monat festgelegt hat und 100 Sachen flattrt, ist jeder dieser Klicks zehn Cent wert. Zehn Prozent des Betrages geht an “Flattr” selbst.

Hinter all dem steckt natürlich die Hoffnung, dass viele kleine und kleinste Spenden auf diese Weise nennenswerte Summen für Produzenten von guten und beliebten Inhalten ergeben.

In Deutschland testen außer einer Vielzahl großer und kleiner Blogs auch die Internetseiten der “taz” und der Wochenzeitung “Freitag” Flattr. Und nun auch wir.

Chartspitzenleistung

Uwu Lena mit ihrem Song "Schland o Schland": Stürzen sie die echte Lena von der Chartspitze?

Die Antwort gibt sich Bild.de einfach mal selbst: Nein.

Höchstens von Platz 3:

Single-Charts: 01. K

Mit Dank an Marcus K. und Rene C.

Fies sind immer nur die Anderen

“Sie klopften an der Tür, wollten meinem Sohn Jean-Paul zum 9. Geburtstag ein Geschenk übergeben. Ich habe ihnen klar gesagt, ich werde kein offizielles Gespräch führen und auch keine Bilder zulassen. Darauf gingen die Journalisten offenbar nur zum Schein ein. Sie übergaben Jean-Paul ein Riesen-Schiffsmodell mit Fernsteuerung. Baten dann noch um ein Foto zum Schluss. Nur für den privaten Gebrauch mit dem Handy.”

Soweit der Fußballtrainer Christoph Daum, der von einem türkischen TV-Sender “aufs Kreuz gelegt” wurde, wie Bild.de schreibt:

Aus dem Handy-Foto und den daumschen Halbsätzen entstand dann offensichtlich der Internet-Beitrag. Ein neuer fieser Tiefpunkt im Fenerbahce-Zoff.

Und weil man sonst so selten Gelegenheit hat, Daum und Barack Obama in einem Artikel zu zitieren, jetzt noch ein paar Worte des damaligen US-Präsidentschaftskandidaten:

“Sie hat uns abgezockt. Wir kommen in das Sportstudio. Sie ist schon auf dem Laufband. Sie sieht wie ein ganz normales deutsches Mädchen aus. Sie lächelt und winkt ein bisschen verlegen, aber macht sich keine Mühe, irgendetwas zu sagen. Als ich gerade gehe, sagt sie: ‘Oh, kann ich ein Foto haben? Ich bin ein großer Fan.'”

Die Frau, die Obama vor knapp zwei Jahren im Fitnessstudio eines Berliner Hotels “abgezockt” hat, war die Reporterin Judith Bonesky, und die Zeitung, für die sie arbeitet, sah am nächsten Tag so aus:

Ausriss: "Bild"

Mit Dank an Tommy E.

With Or Without You

Wundern Sie sich nicht:

Erst rätselhaft verletzt, dann operiert. Seit Wochen hat man nichts mehr von der berühmtesten Bandscheibe der Welt gehört.

Bild.de erklärt das gerne:

Jetzt sah ein BILD-Leser-Reporter U2-Sänger Bono (50) bei Burger King in Rom – der Superstar geht noch an Krücken!

Die gute Nachricht zuerst: Das Alter stimmt.

Die Zeitangabe “jetzt” ist – gemessen am zeitlichen Abstand von zwei Wochen – für Bild.de-Verhältnisse auch noch halbwegs passend.

Was also könnte noch falsch sein?

Bono. Der war nämlich nur ein Double:

Mit der Unterstützung von “The King” [Burger-King-Maskottchen] und der Doppelgänger von Bono und Richard Gere war eine Guerilla-Marketing-Aktion im Zentrum der Hauptstadt organisiert worden, die das Interesse und die Neugier der Menschen und Paparazzi angezogen hat.

[Übersetzung von uns]

Mit Dank an Ilja.

Nachtrag, 23. Juni: Bild.de hat den kompletten Artikel entfernt.

Der rechtsfreie Oberstufenraum

Man kann das gar nicht oft genug betonen: In der so genannten “Hamburger Erklärung” fordern verschiedene Verlage, darunter die Axel Springer AG:

Im Internet darf es keine rechtsfreien Zonen geben. Gesetzgeber und Regierung auf nationaler wie internationaler Ebene sollten die geistige Wertschöpfung von Urhebern und Werkmittlern besser schützen. Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben.

Dieses “verboten bleiben” sagt eigentlich klar aus, dass die ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums bereits heute verboten ist — wobei auch niemand ernsthaft fordert, das zu ändern.

Und damit zu etwas völlig Anderem: Lena Meyer-Landrut, Siegerin beim Eurovision Song Contest, hat ihr Abi bestanden. Am vergangenen Freitag wurden ihr und ihren Mitschülern die Abiturzeugnisse überreicht und es dürfte die medial best abgedeckte Abifeier der vergangenen Jahre gewesen sein:

Bei Abi-Feier: Lena im krassen Hotpants-Outfit

Lena holt Abizeitung in Hot Pants ab

Lena Meyer-Landrut - In heißen Höschen: Hier kriegt sie ihr Abi-Zeugnis

Nun ist es natürlich nicht so, dass irgendwelche überregionalen Boulevard-Medien für eine Zeugnisübergabe in Hannover akkreditiert werden (wobei es “Bild” und RTL da besonders schwer gehabt hätten) — deswegen greifen sie auf ein Foto zurück, das Lenas Schule selbst ins Internet gestellt hatte.

Doch auch, wenn express.de, RTL und Bild.de allesamt die IGS Roderbruch als Quelle nennen: Die Verwendung des Fotos erfolgt ohne Genehmigung, wie uns die Schule auf Anfrage bestätigt hat. Wegen dieser Urheberrechtsverletzungen erwägt die IGS Roderbruch jetzt rechtliche Schritte.

Mit Dank an Kathrin G., Mathias Sch. und cmpunk.

Diekmann, RAF, Alexanderplatz

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Diekmanns Telekom-Schulden”
(taz.de, Julia Niemann)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann bloggt während seines Marokko-Urlaubs und verursacht Roaming-Kosten in der Höhe von 42’000 Euro. René Obermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, lehnt eine von Diekmann gestellte Anfrage nach Unterstützung ab. Er beziehungsweise sein Arbeitgeber seien “ganz normale Beschwerdeführer” (Kurzinterview auf sueddeutsche.de).

2. “Unsere Königstochter”
(sueddeutsche.de, Evelyn Roll)
Evelyn Roll zählt 2315 Medienmenschen, die sich für die Hochzeit von Victoria und Daniel von Schweden akkreditiert haben. “711 Ausländer, 277 davon allein aus Deutschland, und davon mehr als 70 nur für das ZDF.”

3. “Wie die BILD mal wieder Angst vor einer neuen RAF macht”
(griess.wordpress.com, Andreas Grieß)
Andreas Grieß befasst sich mit einem Bild.de-Artikel zum Verfassungsschutzbericht 2009. “Vor einiger Zeit waren mir bereits Bild-Artikel aufgefallen, die meines Erachtens nach überzogen vor einer ‘drohenden Rückkehr des RAF-Terrors’ berichteten. Daher schaute ich mir den Artikel genauer an. Panikmache? Einseitige Betrachtung?”

4. “Welt des Journalismus (10)”
(zweitens-magazin.de, max)
Max lässt die Lektüre der “Neuen Zürcher Zeitung” ratlos zurück. Auf Seite 2 “bemerkt Martin Koelling aus Tokio, der Japaner an sich bremse nicht an Zebrastreifen”. Und auf Seite 15 “bemerkt Urs Schoettli aus Peking, der Japaner an sich bremse selbstverständlich an Zebrastreifen.”

5. Interview mit Dan Froomkin
(derstandard.at, Florian Niederndorfer)
Dan Froomkin von der “Huffington Post” glaubt, “dass die Zeitungen im Laufe der Jahre als Produkt einfach schlechter geworden sind. Viele sind nicht mehr dem Leben der Menschen, die sie lesen, angemessen, passen nicht mehr zu der Hightech-Welt, in denen die Leser teils leben.”

6. “Alex 1990”
(reifenwechsler.blogspot.com, Video, 9:19 Minuten)
1990 im Bahnhof Berlin Alexanderplatz. Ab 0:38 Minuten sieht man, wie gut damals Bezahlinhalte von Zeitungen funktionierten.