Archiv für Mai 16th, 2010

Selbstbedienung bei Facebook

Im Internet darf es keine rechtsfreien Zonen geben. Gesetzgeber und Regierung auf nationaler wie internationaler Ebene sollten die geistige Wertschöpfung von Urhebern und Werkmittlern besser schützen. Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben.

“Hamburger Erklärung”, unter anderem unterzeichnet von der Axel Springer AG

Im Internet kommen die Leute ja auf die verrücktesten Ideen. Zum Beispiel gibt es da eine Facebook-Gruppe, in der Menschen Fotos online stellen, auf denen sie wie ihre T-Shirt-Motive auszusehen versuchen.

Oder Bild.de: Die fanden die Idee mit der Facebook-Gruppe so toll, dass sie einen eigenen Artikel darüber schrieben und dazu eine Bildergalerie bauten, für die sie sich bei Facebook bedienten, ohne die Urheber der 15 Fotos um Erlaubnis gefragt zu haben.

Die Gruppenmitglieder waren über dieses Vorgehen nicht gerade begeistert und so rief Lisa Rank, Initiatorin von “How to look like your shirt print”, in der Redaktion von Bild.de an. Der zuständige Mitarbeiter erklärte, er habe sich schon gedacht, “dass da was kommt”. Rank bot ihm an, Gruppenmitglieder um ihre Zustimmung zu bitten, damit Bild.de deren Fotos dann mit Genehmigung verwenden könne. Alle anderen Bilder sollten gelöscht werden. Kurze Zeit später rief Bild.de zurück und erklärte, die Bilder würden online bleiben — mit der beeindruckenden Erklärung, dass ja niemand zu erkennen sei.

T-SHIRT-LOOK-A-LIKE. NEUER FACEBOOK-TREND.
Beim Trink-Motiv mit Sonnenbrille stört nur der Orangensaft

Verwendung hier mit freundlicher Genehmigung von Annika K.

Das stimmte zwar (Bild.de hatte sich die Mühe gemacht, Gesichter zu verpixeln, so sie zu sehen waren), hat aber exakt gar keine Auswirkungen auf das Urheberrecht, das weiterhin bei den Urhebern liegt, wie auch die Facebook-FAQ zum geistigen Eigentum klarstellen:

Bleiben das Urheberrecht und andere gesetzliche Rechte an Material, das ich auf Facebook hochlade, in meinem Besitz?

Ja, du behältst das Urheberrecht an deinem Inhalt. Mit dem Hochladen deines Inhalts erteilst du uns eine Lizenz, diesen Inhalt zu nutzen und anzuzeigen.

Am frühen Abend rief ein anderer Redakteur von Bild.de zurück und entschuldigte sich bei Lisa Rank. Er betonte immer wieder, dass sie niemandem etwas Böses gewollt hätten, ihnen die Gruppe nur so gut gefallen habe. Das Angebot, bestimmte Bilder für Bild.de freizugeben, schlug er aus und erklärte, Bild.de werde die Fotos trotz “unklarer Rechtslage” runternehmen.

Es dauerte zwar noch einige Stunden, aber gegen Mitternacht war der ganze Artikel schließlich verschwunden.

Öffentlich gedemütigt

Zu den inoffiziellen Einstellungsvoraussetzungen bei “Bild” und Bild.de gehört eine ausgeprägte Ironieblindheit — also die Fähigkeit, das eigene Tun nicht mit dem, was man an anderen kritisiert, in Verbindung zu setzen. Anders könnten klassische “Bild”-Schlagzeilen im Stil von: “Diese schlimmen Fotos wollen wir nie wieder sehen” gar nicht entstehen.

Ach, Verzeihung: Das wissen Sie ja schon. Aber es stimmt ja auch weiterhin.

Es ist etwas passiert, was so “geschmacklos” ist, dass Bild.de das Wort gleich drei Mal in Überschrift und Artikel gebraucht. Darüber hinaus war es

Geschmacklos, menschenverachtend, schockierend: Drei Worte die das Treiben von Manolo Lama treffend beschreiben.

Manolo Lama ist ein spanischer TV-Reporter, der diese Woche in Hamburg war, um vom Finale der Europa League zwischen Atlético Madrid und FC Fulham zu berichten. In der Hamburger Innenstadt hatte er sich mit einigen spanischen Fußballfans um einen Obdachlosen geschart und diesem Geld in seinen Hut seine Schale geworfen.

Jedoch:

Doch dann ging’s los: Begleitet von höhnischen Kommentaren des Reporters trieben es die Fans immer doller – es folgten Schals, ein Handy, sogar eine Kreditkarte landen im Hut des Obdachlosen. Dessen Freude währte nicht lange – betroffen und verwirrt musste er mit ansehen wie die Spenden schnell wieder in den Händen ihrer Besitzer landeten.

Hört sich schlimm an, nicht wahr? Womöglich hat Bild.de mit “geschmacklos, menschenverachtend, schockierend” also noch nicht mal übertrieben.

Das … äh … Schöne ist: Als Leser von Bild.de muss man sich nicht blinde auf das Urteil der Redakteure verlassen und kann sich im Videoplayer sein eigenes Urteil bilden. Und je nach Veranlagung die “geschmacklose” “Demütigung” so oft wiederholen, wie man mag:

Geschmacklos! Spanischer Reporter demütigt Hamburger Obdachlosen

Mit Dank an Lukas K.

Nachtrag, 14.30 Uhr: Auch sueddeutsche.de zeigt die “unfassbare Entgleisung” als eingeklinktes YouTube-Video. Da kann man dann auch sehen, dass der Obdachlose – anders als von Bild.de und uns beschrieben – keinen “Hut” vor sich hat, sondern eine Metallschale.