Archiv für April 19th, 2010

Das Fenster zu Kachelmanns Hof

Um zu illustrieren, was sich in einer Gefängniszelle abgespielt haben könnte, braucht “Bild” Grafiker.

Um zu illustrieren, was sich (Unspektakuläres) auf einem Gefängnishof abspielt, braucht “Bild” nur einen Fotografen, der einen günstig gelegenen Ort in der Nachbarschaft findet. So geschehen in der Nachbarschaft der JVA Mannheim, in der zur Zeit der TV-Wetterexperte Jörg Kachelmann in Untersuchungshaft sitzt: Mehrfach waren bei “Bild” und Bild.de Fotos zu sehen, die Kachelmann beim Hofgang zeigen.

Hofgang im Knast - Jörg Kachelmann genießt die Sonne im Gefängnishof

Das Landgericht Köln hat am Freitag die Veröffentlichung dieser Paparazzi-Fotos untersagt, weil sie eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild von Jörg Kachelmann darstellen, wie Kachelmanns Medienanwalt Ralf Höcker auf seiner Website mitteilt. Laut Höcker habe sich der Fotograf in eine unbewohnte Wohnung in der Nachbarschaft “geschlichen” und von dort aus über die Gefängnismauern hinweg den Hof der JVA fotografiert.

Diese Einstweilige Verfügung ist nicht die erste, die Jörg Kachelmann gegen “Bild” und Bild.de erwirkt hat: Vor etwa zehn Tagen hatte das Landgericht Köln die Veröffentlichung von Details aus den Ermittlungsakten und von SMS-Nachrichten untersagt, die Kachelmann an eine Sängerin geschickt haben soll (BILDblog berichtete).

Die größte Strafe

In Neuseeland ist ein Vater zur Zahlung von umgerechnet etwa 100 Euro Strafe verurteilt worden, weil er seinen 18 Monate alten Sohn 40 Minuten lang im Auto allein gelassen hatte. Mitten in der Nacht. Vor einem Striplokal.

Jedoch:

Laut Richter Michael Behrens habe sich der Vater eindeutig “keinen Phantasien” hingegeben. Die größte Strafe für Schwamm aber sei, dass die Öffentlichkeit davon ausgehe, dass er in dem Lokal etwas Anrüchiges getan habe, während sein Kind alleine im Auto lag, sagte der Richter dem neuseeländischen Radiosender “3news”.

Und deshalb überschreibt “Spiegel Online” die Meldung, der dieser Satz entstammt, auch wie folgt:

Neuseeland: Vater lässt Baby während Strip-Club-Besuchs alleine im Auto

Mit Dank an Philipp S.

Wie ein iPhone dem anderen

Kommt ‘n Apple-Entwickler in ‘ne Bar und lässt ein neues iPhone liegen.

Was klingt wie eine Szene aus einem Film, ist der Aufhänger einer Sensationsgeschichte auf Bild.de:

Es klingt wie eine Szene aus einem Film: In einer Bar in San José taucht plötzlich ein brandneues, supergeheimes iPhone der nächsten Generation (4G) auf. Diese Fotos zeigte die britische Tageszeitung “Daily Mail” online.

Ganz in der Nähe liegt ein Forschungslabor von Apple. Hat es ein Mitarbeiter nach einer durchzechten Nacht dort liegen lassen? Oder ist die Geschichte zu gut, um wahr zu sein?

Ob die Geschichte stimmt oder nicht, lässt sich schwer sagen. Was sich sagen lässt, ist, dass das Foto des angeblichen neuen iPhones, das Bild.de zeigt, nichts, aber auch gar nichts mit der Bar in San Jose zu tun hat:

Ist das der erste Blick auf die nächste iPhone-Generation? Die Netz-Welt streitet

Es entstammt einer ganz anderen Geschichte im Internetangebot der britischen “Daily Mail”, die die Autoren bei Bild.de selbst verlinkt haben. Und wenn sie ein wenig weiter recherchiert hätten, hätten sie vielleicht auch herausgefunden, dass die in der “Daily Mail” gezeigten “Fotos” am Computer zusammengebaute Fakes sind. Die Fragen “Sehen wir hier das iPhone 4G?” und “Ist das der erste Blick auf die nächste iPhone-Generation?” lassen sich also beide klar mit “Nein” beantworten.

Sehen könnte man das angebliche iPhone aus der Bar bei Engadget, deren Redaktion sie als erstes veröffentlicht hat.

Oder wie Bild.de schreibt:

Andere Bilder im Technikblog “engadget” zeigen ein iPhione mit einer Glasrückseite – angeblich ein Patent von Apple.

Nein, nicht “andere Bilder”, sondern die, um die es im Artikel auf Bild.de geht.

Mit Dank an Kathrin G.

Jeder nur ein Kreuz

Dunkle Wolken über der katholischen Kirche

“Dunkle Wolken”, “Kirche”, alles klar:

Dunkle Wolken über der katholischen Kirche: Immer mehr Missbrauchsfälle werden bekannt. Sollte der Papst in einem Fall aus der Schusslinie genommen werden? Foto: Getty

Die Hartnäckigkeit, mit der sueddeutsche.de das Kuppelkreuz des (evangelischen) Berliner Doms als Symbolbild für Artikel über Vorfälle in der katholischen Kirche verwendet, ist schon beeindruckend.

Aber unser erster Eintrag zum Thema ist ja auch schon wieder mehr als fünf Wochen her — die anschließende Umdeklarierung der Fotos in der Bilddatenbank von Getty Images allerdings auch. Doch weil sueddeutsche.de das Foto in der Zwischenzeit aus dem damals kritisierten Artikel entfernt hatte, war es jetzt wohl für eine Wiederverwendung frei.

Mit Dank an Bernhard und Andreas N.

Nachtrag, 11.05 Uhr: sueddeutsche.de hat schnell Ersatz gefunden:

Immer mehr Missbrauchsfälle werden bekannt. Sollte der Papst in einem Fall aus der Schusslinie genommen werden? Foto: dpa

Sachsensumpf, Panorama, Mars

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der Sumpf, der eine Ente war”
(fr-online.de, Bernhard Honnigfort)
Bernhard Honnigfort berichtet vom “Sachsensumpf”-Prozess, der durch den im Januar 2008 im “Spiegel” publizierten Artikel “Dreckige Wäsche” ausgelöst wurde. “Die Angeklagten, die auch für Zeit Online über den angeblichen Sachsensumpf berichteten, haben in einer von ihren Anwälten verlesenen Erklärung bestritten, dass die beanstandeten Passagen von ihnen stammten. Der Spiegel-Artikel sei auch nicht von ihnen ‘legitimiert’. Ihre Namen stehen zwar darunter, aber die ehrverletzenden Passagen sollen von jemand anderem stammen.”

2. “Die ‘Ente’ über den Fake-Report”
(blog.tagesschau.de, Silvia Stöber)
Silvia Stöber beschreibt die komplizierte Faktenlage zu Meldungen, die auf einem inszenierten Bericht zum Flugzeugabsturz bei Smolensk basieren und behaupten, “der Sender Imedi habe den Tod Kaczynskis in diesem Szenario vorweggenommen”. “Keine der Redaktionen machte sich aber offenbar die Mühe, den ursprünglichen Bericht von Imedi genau anzuschauen.”

3. Interview mit Olaf Scholz
(ndr.de/panorama, Video, 9:05 Minuten)
Olaf Scholz hält nicht viel von politischen Fernsehmagazinen wie “Panorama”. Durch Schnitte würde die Realität zurechtgebogen, echtes Interesse an der Sachlage sei oft keines vorhanden. Diese Aussagen hindern “Panorama” aber nicht, daraus einen Beitrag (Video, 7:30 Minuten) zu schneiden, in dem die eigene Leistung mehrheitlich gefeiert wird. Ein zweites Interview (Video, 19:24 Minuten) wurde mit Günther Beckstein geführt.

4. “Wie die DPA vor Obama auf dem Mars landete”
(scienceblogs.de/alles-was-fliegt, Alexander Stirn)
Eine Ankündigung von Barack Obama und wie sie in deutschen Medien vermeldet wird.

5. “Das Mädchen ‘Jessica'”
(sueddeutsche.de, Stefan Ulrich)
Fragen zu Recherchen von Journalisten im Pädophilen-Milieu: “Dürfen Journalisten ihre Identität verheimlichen, um in schwer zugängliche Milieus vorzudringen? Und dürfen sie Informanten der Justiz preisgeben?”

6. “Re-publica 10: der Neidfaktor”
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer über die Berichterstattung von Zeitungen wie FAZ und SZ zum Blogger-Kongress re:publica: “Ich erwarte keine unkritische Berichterstattung – sondern eine unvoreingenommene.”