Archiv für April 1st, 2010

Innen Minister, außen Finanzen

Bei der Genesung von Patienten soll die so genannte Autosuggestion ja eine wichtige Rolle spielen. Wenn Wolfgang Schäuble also nur oft genug betont, dass es ihm wieder besser geht, hilft ihm das möglicherweise tatsächlich beim fit werden.

Weniger erfolgreich dürfte allerdings dieses Mantra von Bild.de sein:

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ... Bundesinnenminister scherzt über seinen Gesundheitszustand ... Wieder einmal musste der Bundesinnenminister diese Woche ins Krankenhaus. Eine OP-Wunde will nicht verheilen.

Auch bei mehrmaliger Wiederholung der Behauptung, Schäuble sei Bundesinnenminister, bleibt er doch Finanzminister.

Entsprechend ist auch Christine Lagarde, bei deren Besuch im Kanzleramt Wolfgang Schäuble “auf keinen Fall fehlen” wollte, nicht die “französische Innenministerin”, wie Bild.de behauptet, sondern Ministerin für Wirtschaft und Finanzen.

Mit Dank an Martin Sch., Stefan K. und Dejan I.

Nachtrag, 23 Uhr: An zwei der drei Stellen hat Bild.de Schäuble zum Finanzminister erklärt. Und Madame Lagarde ist jetzt auch Finanzministerin.

2. Nachtrag, 2. April, 11.20 Uhr: Inzwischen ist Schäuble vollständig zum Finanzminister geworden.

Bolzen mit Todesfall

In der Kategorie “geschmacklose Witze über den Selbstmord eines Torwarts” hatte das Satire-Magazin “Titanic” bisher weit vorne gelegen (und sich eine entsprechende Presserats-Rüge abgeholt).

Aber dann schrieb Thorsten Keller in seiner Kolumne “Bolzplatz” auf der Internetseite des “Kölner Stadt-Anzeigers” folgendes:

Der Karnevalsverein,* der Hannover 96 zuletzt so gnadenlos überrollte wie ein Regionalexpress einen Lebensmüden, ist gegen Hertha BSC ebenfalls eher Außenseiter, wenn man die Statistik zu Rate zieht.

*) Keller ist Fan von Borussia Mönchengladbach. Mit “Karnevalsverein” ist der 1. FC Köln gemeint.

Mit Dank an erz und xeniCds.

Nachtrag, 3. April: Seit gestern Abend lautet der Vergleich auf ksta.de:

Der Karnevalsverein, der Hannover 96 zuletzt so übel zurichtete wie Mel Gibson seinen Jesus-Darsteller, ist gegen Hertha BSC ebenfalls eher Außenseiter, wenn man die Statistik zu Rate zieht

Unter dem Artikel steht jetzt folgender Hinweis:

In eigener Sache:

Liebe Leser, die Redaktion hat diesen Text nach zahlreicher Leserkritik überarbeitet. Eine Formulierung war als Anspielung auf den Selbstmord des Torhüters Robert Enke verstanden worden. Wir bitten hierfür um Entschuldigung.

Bild.de  etc.

Geboren am 1. April

Bevor wir die Osterfeiertage vermutlich damit zubringen werden, die medialen Folgen der heutigen Aprilscherze zusammenzukehren, Flotter Dreier mit Shakira auf Sextape?haben wir mal ein bisschen in unseren Archiven gesucht, auf welche Scherze “Bild” und andere Medien in der Vergangenheit so reingefallen sind.

Gefunden haben wir:

Irgendwas, irgendwo, irgendwann

Noch immer schicken jeden Tag Menschen Fotos, die sie in ihrem Alltag aufgenommen haben, an die “Bild”-Redaktion, und noch immer werden solche Fotos jeden Tag auf Bild.de veröffentlicht.

Was genau auf den Fotos zu sehen ist, ist dabei nicht so wichtig, irgendwas wird sich schon finden, was man in die Bildunterschrift schreiben kann.

So auch hier:

In Wuppertal (NRW) wurde dieser Krankenwagen auf dem Weg zu einem Einsatz von einem Ford gerammt! Die beiden Insassen mussten von der Feuerwehr befreit werden. Auch der Ford-Fahrer wurde leicht verletzt

Zum einen ist das kein Krankenwagen, sondern ein Notarzteinsatzfahrzeug, wie man leicht an der Abkürzung “NEF” auf dem Dach des umgekippten Autos erkennen kann, zum anderen ereignete sich der Unfall nicht in Wuppertal, sondern in Herne. Was man anhand der Abkürzung “HER” oder dem Schriftzug “Feuerwehr Herne” auf dem Fahrzeug hätte erahnen können.

Mit Dank an Lukas F.

Faktenchecker, Neonazis, Schmidt

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Faktenchecker auf Fehlersuche”
(ndr.de, Mareike Fuchs, Video, 6:59 Minuten)
Zu Besuch in der Dokumentation des “Spiegel” und bei Günther Garde, dem Faktenprüfer des “Stern”. Obwohl die Glaubwürdigkeit der Medien von korrekten Fakten abhängt, ist der Beruf des Faktenprüfers bedroht.

2. “Der ORF und die Neonazis”
(brodnig.org, Ingrid Brodnig und Martin Gantner)
Wie viel Geld wurde von der ORF-Sendung “Schauplatz” an zwei junge Neonazis bezahlt? Während die ORF-Führung von je 100 Euro spricht, behaupten die beiden, es sei mehr Geld geflossen. “Philipp sagt, es seien 100 Euro pro Drehtag gewesen. Wie Falter-Recherchen im ORF ergaben, dürften die jungen Männer jedenfalls mehr Geld als 200 Euro erhalten haben. 50 Euro bekam zum Beispiel Philipp – bevor er vor laufender Kamera einen rechtsradikalen Shop betrat. Von dem Geld kaufte sich der Skinhead eine Fahne und zwei T-Shirts.”

3. “Bild Dir Deine Meinung”
(spiegel.de, Ingeborg Wiensowski)
“Mit Pressefotos von Mord und Totschlag, Demonstrationen und Explosionen will der Hamburger Kunstverein 60 Jahre Stadtgeschichte zeigen. Es entsteht ein schrilles und vor allem einseitiges Bild: Alle Fotos stammen aus der ‘Bild’-Zeitung.”

4. “Zwischen Märchenstunde und Motzki-Pöbelei”
(carta.info, Steffen Rutter)
Steffen Rutter, Mitarbeiter der FDP-Bundestagsfraktion, kritisiert den Beitrag “Wie die FDP die Profiteure der Finanzkrise schützen will” (Video, 6:37 Minuten) der Sendung “Monitor”. Es gehe im Beitrag “nicht um einen dunklen Plan der FDP, sondern vielmehr um Werbung für eine Idee der Redaktion”.

5. Interview mit Helmut Schmidt
(zeit.de, Giovanni di Lorenzo)
Helmut Schmidt glaubt, dass Journalisten “insgesamt mindestens genauso empfindlich” sind wie die Politiker “und mindestens genauso geneigt, etwas übel zu nehmen”. “Wenn man ganz genau hinschaut, dann sieht man, dass die politischen Journalisten eigentlich mehr zur politischen Klasse gehören und weniger zum Journalismus.”

6. “What you shouldn’t say on the front page of a newspaper…”
(tabloid-watch.blogspot.com, englisch)
Eine Titelschlagzeile des “Irish Daily Star”.

Symbolfoto: Haftnotizen am Arbeitsplatz

Auseinandersetzung: Wer sich mit seinem Arbeitgeber streitet und danach wochenlang nicht zur Arbeit geht, riskiert eine fristlose Kündigung

Eine Frau, die unglücklich aussieht. Ein Mann, der auf sein Handy fokussiert ist und an ihr vorbei schaut.

Es ist vielleicht nicht unbedingt das, was die großen Meister gemalt hätten, wenn man sie gebeten hätte, den Sachverhalt “Wer sich mit seinem Arbeitgeber streitet und danach wochenlang nicht zur Arbeit geht, riskiert eine fristlose Kündigung” auf die Leinwand zu bannen, aber es ist doch ein einigermaßen ausdrucksstarkes Bild, das “Zeit Online” nutzt, um die aktuelle Kolumne zum Arbeitsrecht zu illustrieren.

Wenn man allerdings weiß, wer die Leute da auf dem Foto sind, erscheint die Verwendung als Symbolbild vielleicht doch ein bisschen zynisch: Das Bild zeigt die Mutter und den Stiefvater von Amanda Knox, einer jungen Amerikanerin, die in Italien wegen Mordes angeklagt war, nach den Schlussplädoyers im Gericht. Am nächsten Tag wurde ihre Tochter zu 26 Jahren Haft verurteilt.

Mit Dank an Andreas P.

Nachtrag, 10.50 Uhr: Direkt heute Morgen hat “Zeit Online” das Foto der Eltern durch eines einer Arbeitsagentur ersetzt.