Archiv für Januar 27th, 2010

Bild  

Verpulverschnee von heute

Für die Axel Springer AG ist die ARD im Internet plötzlich ein Konkurrent. Der Verlag schäumt, dass der Senderverbund mit seinen “kostenlosen”, durch die Rundfunkgebühren finanzierten Angeboten Springers eigene Versuche erschwert, Geld für informationen zu nehmen.

Deshalb arbeitet sich “Bild” gerade mal wieder an den öffentlich-rechtlichen Sendern ab — heute z.B. mit der Schlagzeile:

So werden unsere TVGebühren verpulvert - 1 Minute "Anne Will" kostet 3164 Euro - 610 Millionen Euro für Online-Portale - 2,3 Milliarden Euro für Pensionen

Am Montag hatte die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) ihren 17. Prüfbericht (PDF) vorgestellt und “Bild” hat sich für die heutige Ausgabe viel Mühe gegeben, “die wichtigsten und skurrilsten Fakten” des Berichts herauszusuchen — also, die öffentlich-rechtlichen Sender in einem möglichst schlechten Licht erscheinen zu lassen:

So erwähnt “Bild”, dass die KEF die Reduzierung der Personalkosten bei der ARD als “völlig unzureichend” betrachtet, unterschlägt aber im Gegenzug dazu den Hinweis, dass das ZDF die Vorgaben “durch Reduzierung des Personalaufwands um 18 Mio. Euro im Aufwand vollen Umfangs” umgesetzt hat.

Völlig unerwähnt bleibt, dass die Kommission davon ausgeht, “dass die Anstalten zusätzliche Einsparungen in einem Umfang erwirtschaften, der ausreicht, zum Ende 2012 ein ausgeglichenes Finanzergebnis zu realisieren”. “Bild” fasst die 388 Seiten des Berichts lieber in einem Satz zusammen:

Besonders die ARD wird von den Prüfern für ihren geringen Sparwillen gerügt.

Den Begriff “Grundversorgung”, den das Bundesverfassungsgericht 1986 als Anforderung an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geprägt hatte, versteht “Bild” – wie alle anderen Kritiker des öffentlich-rechtlichen Systems – sowieso nicht im Sinne einer alles umfassenden Versorgung, sondern einer Minimalversorgung. Dass der von “Bild” kritisierten Verdreifachung der Kosten für die ZDF-Digitalkanäle eine Reduzierung der Kosten bei 3sat und Kinderkanal gegenübersteht, erfährt nur, wer in den Bericht schaut. “Bild” unterschlägt auch dieses Faktum.

Laut “Bild” explodieren die Online-Kosten und “verdoppeln sich auf mehr als 610 Millionen Euro”. Von einer Verdopplung ist auch im Bericht die Rede, allerdings ist die Summe vielleicht schon nicht mehr ganz so beeindruckend, wenn man weiß, dass sie sich über einen Vierjahreszeitraum erstreckt — oder, dass die Zahl der Visits (Besuche) bei ARD Online beispielsweise “sogar um 119,1 % ” angestiegen ist.

Die Behauptung von “Bild”, dass der ARD-Videotext “den Gebührenzahler in diesem Jahr stolze 78 Mio. Euro.” koste, ist gleich völlig falsch, denn die Zahl von 78 Millionen Euro bezieht sich auf die Kosten für “Telemediendienste” (etwa die Streaming-Angebote) der einzelnen Landesrundfunkanstalten. Für Radio- und Videotexte wollen diese Landesrundfunkanstalten dieses Jahr 12,3 Millionen Euro ausgeben — knapp 300.000 Euro mehr als im Vorjahr.

Dass die Kosten pro Sendeminute bei “Anne Will” doppelt so hoch sind wie bei “Menschen bei Maischberger” kann man natürlich “merkwürdig” finden und auch noch mal in die Überschrift auf Seite 10 schreiben:

SO WERDEN UNSERE GEBÜHREN VERPULVERT: Anne Will kostet doppelt so viel wie Maischberger!

Mindestens ebenso merkwürdig ist aber wohl, dass “Bild”-Autor Nikolaus Harbusch gestern beim NDR nachgefragt hat, warum die Minutenkosten so unterschiedlich seien, auf die Verwendung der Antwort des Pressesprechers dann aber doch verzichtete.

Zur Erhellung veröffentlichen wir sie gerne an dieser Stelle:

1. “Anne Will” ist eine komplette Auftragsproduktion, während “Menschen bei Maischberger” in WDR-eigenen Studios mit eigener Technik produziert wird. Die internen Produktionskosten sind in dem Ihnen vorliegenden Minutenvergleich nicht berücksichtigt.

2. “Menschen bei Maischberger” ist 75 Minuten lang, “Anne Will” nur 60 Minuten. Die Fixkosten schlagen bei längerer Sendezeit naturgemäß geringer zu Buche.

Stattdessen darf SWR-Intendant Peter Boudgoust, derzeit ARD-Vorsitzender, im “Bild”-Interview die Frage beantworten:

Bei den Fragen liegt die Erklärung nicht nur in völlig unterschiedlichen redaktionellen Konzepten, die einen unterschiedlichen Programmaufwand erfordern, sondern auch in der völlig unterschiedlichen Herstellung, manche Sendungen werden komplett eigen- andere komplett fremdproduziert. Anders gesagt: Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.
(Hervorhebung von uns.)

Auf tagesschau.de sagt Peter Boudgoust heute über die “Bild”-Titelgeschichte:

Das ist ein Stück Kampagnenjournalismus. Ich finde das sehr schade, weil es auch alte Vorurteile bestätigt, was die Seriosität dieser Zeitung angeht.

Mit Dank auch an Christoph.

Zu viele Klischees

In Dortmund wurde gestern ein Bordell zwangsversteigert — etwas, was man nicht alle Tage erlebt:

Seltene Zwangsversteigerung: Ein Bordell unter dem Hammer

Reporter Dirk Berger besuchte für die “Westfälische Rundschau” den Gerichtssaal und formulierte stellenweise so salopp, dass ihm dabei mitunter die sprachlichen Bilder entglitten:

Die Geschäfte laufen schlecht, die Wirtschaftskrise geht den Freiern wohl zunehmend auf die Hardware, sozusagen.

Reicht es, wenn der Autor selbst den Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskrise und der “Hardware” von Freiern versteht?

Nicht verstanden zu haben scheint Herr Berger, dass es die Freiheit jeder Person ist, sich tätowieren zu lassen oder die Haare zu färben. Ins Solarium oder zum Krafttraining zu gehen. Oder Uhren zu tragen. Sogar im Gerichtssaal.

Sonst hätte er kein Urteil darüber gefällt, was zu viel ist an Körperschmuck, Haarfarbe, Hautfärbung, Körperstatur und Accessoires einzelner an der Versteigerung beteiligten Personen:

Das Wörtchen "zu" umschreibt das Alleinstellungsmerkmal von Mitgliedern des Milieus: Zu tätowiert, zu blond, zu brauner Teint für 10 Grad minus, zu breite Schultern, zu fette Uhren. Das Klischee ist der Feind genauer Beobachtung, aber es gab zu viel "zu", als dass man dem Klischee nicht erliegen konnte.

Es fragt sich, wie sehr der den Klischees Erlegene “frei von Vorurteilen” ist, wie es Ziffer 13 des Pressekodex für die “Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren” fordert.

Mit Dank an Julian.

Focus, iPad, Frage-Phrase-Schema

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die arschlochfreie Kette – oder: Was der Focus nicht hat”
(print-wuergt.de, Michalis Pantelouris)
Gar keine Freude am neuen “Focus” hat Michalis Pantelouris: “Wenn dies die besten Ideen von drei verschiedenen Teams zusammenführt, die neun Monate Zeit hatten, sich Gedanken zu machen, dann ist das Ende der Zeitschriften in diesem Land besiegelt. Zumindest die erste Ausgabe ist eine unvorstellbar preiswert anmutende Mischung aus Designelementen der Mitbewerber – aber nicht einmal gut geklaut.”

2. “Apple iPad ab 499,- Euro bei Media Markt: ‘Tut mir leid, ist ein super Fake.'”
(basicthinking.de/blog, André Vatter)
Die Website netbooknews.de beruft sich auf einen (inzwischen gelöschten) Tweet und schreibt, die Firma Media Markt verkaufe ab dem 1. März 2010 ein Apple iPad – was eine Media-Markt-Sprecherin dementiert; beim besagten Twitter-Konto handle es sich nicht um ein firmeneigenes. “Die News verbreitete sich wie ein Lauffeuer und schaffte in Windeseile auch den Sprung über den Atlantik, so dass kurze Zeit später sogar MacRumors und CrunchGear darüber berichteten. ‘Media Markt kündigt Apple iPad für 899 Euro an’, titelte auch Golem.”

3. “Freie sind die, die es geschafft haben …”
(freischreiber.de)
Gabriele Fischer, Chefredakteurin von “Brand Eins”, sagt, wie viel ihr Magazin freien Journalisten zahlt und glaubt, dass es viele Freie geschafft haben – nämlich unternehmerisch zu arbeiten. “Das kann nicht jeder. Viele unserer Freien bei ‘Brand Eins’ sind auch Überzeugungstäter, die feste Jobs ablehnen, wenn man sie ihnen anbietet. Und: Freie sind meist unabhängige Köpfe. Sie schielen nicht ständig auf ihren Chef, sondern haben eine Vielzahl von Auftraggebern. Diese Unabhängigkeit ist gut für sie – und für uns. ”

4. “Hat gesagt und hat passiert”
(spox.com, wunderkind)
Ein Blogeintrag zu den Interviews mit professionellen Fußballern: “Die meisten Interviews führen nun mal kein Eigenleben mehr, sondern folgen statt dem Frage-Antwort-Schema eher dem Frage-Phrase-Schema. Aussagen haben ihre Aussage verloren, weil man als Zuschauer genau so schlau ist wie vorher, wenn Spieler X oder Trainer Y sagt, dass man nur auf sich und von Spiel zu Spiel schauen müsse. Das wurde ihm im Interviewtraining eingeprügelt und daran hält er sich, nicht ohne verschmitzt zu lächeln, weil er weiß, dass alle wissen: Er hat keine Wahl, etwas anderes zu sagen.”

5. “Unsere Pressevielfalt oder: Der vierfache Stefan Raab”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Ein Vergleich von vier Interviews mit Stefan Raab in den Zeitschriften “TV Digital”, “TV Spielfilm”, “TV Movie” und “TV Direkt”.

6. “Blogg besser”
(fr-online.de, Marin Majica)
Marin Majica empfiehlt einem eifrigen Leserbriefschreiber, zu bloggen oder zu twittern.