Archiv für August 7th, 2009

BKA? Da könnte ja jeder bitten!

Es war vielleicht die “erste Multimedia-Verbrecherjagd” und “eine der spektakulärsten Fahndungen in der Kriminalgeschichte”, wie “Bild” heute schreibt: Am Mittwoch hatte das BKA in der ZDF-Sendung “Aktenzeichen XY … ungelöst” und im Internet nach einem Mann gefahndet, dem mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wird.

Da sich der Mann bei seinen Taten selbst gefilmt hatte und alle bisherigen Fahndungsmaßnahmen erfolglos waren, entschied man sich zur Veröffentlichung von Videos und Fotos.

Nach dem großen Medien-Echo hat sich der mutmaßliche Täter gestern gestellt, wie das BKA sofort vermeldete. Die Pressemitteilung enthielt einen weiteren Hinweis:

Wichtig:

Da mit der Identifizierung der Grund für die Öffentlichkeitsfahndung entfällt, werden die Medien gebeten, die veröffentlichten Videos, Bilder und Stimmproben nicht weiter zu verwenden und aus den Internetportalen zu entfernen.

Und so kamen die Medien dieser Bitte heute nach (alle gelben Flächen sind von uns):

Schlimmster Kinderschänder stellt sich: So zeigte sich das Dreckschwein im Internet
(“Bild”)

Dieses Bild stammt aus einem Film, den der Täter gedreht hat
(“Tagesspiegel”)

Der Täter filmt sich selbst
(“Süddeutsche Zeitung”)

Aber selbst Menschen, die der widerlichsten Verbrechen beschuldigt sind, haben Rechte. Der Rechtsanwalt Markus Kompa schreibt in seinem Blog:

Für eine Anprangerung in den Medien eines nicht verurteilten Täters gibt es keine Rechtsgrundlage. Die Regeln über die Art und Weise entsprechender Berichterstattung sind im Kodex des Deutschen Presserates hinreichend ersichtlich. Strafe ist Sache des Strafrichters.

(…) Was mich (…) stört, ist die unprofessionelle Gleichgültigkeit, die manche angeblich seriösen Medien an den Tag legen. Wenn es sich um ein sozial besonders geächtetes Delikt handelt, dann scheint man mit zweierlei Maß messen zu dürfen.

Zahlreiche Onlinemedien haben die Fahndungsfotos nach wie vor in ihren Archiven. Dass es durchaus möglich wäre, der Bitte des BKA nachzukommen und die Rechte des Beschuldigten zu respektieren, beweist u.a. “Spiegel Online”.

Für das “Dreckschwein” (aus dem online eine “Sex-Bestie” wurde) kann sich “Bild” wahrscheinlich schon mal auf Post vom Presserat einstellen, was die Zeitung sicher gelassen zur Kenntnis nehmen ignorieren wird.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 23:55 Uhr: Und so illustrierte “RTL Aktuell” den Fall heute um 18:45 Uhr, mehr als 24 Stunden nach der Mitteilung des BKA:

Alle haben ihm vertraut

Dümmer fragen als Kader Loth antwortet

“Spiegel Online” bringt heute ein Interview mit Kader Loth, Ex-“Penthouse”-Model, Ex-“Big Brother”-Bewohnerin und heute Frauenbeauftragte der “Freien Union” von Gabriele Pauli:

SPIEGEL ONLINE: Paulis Partei darf nicht antreten, aber die von Horst Schlämmer. Ist das nicht unfair?

Wenn wir da mal eben für Frau Loth antworten dürften: Nein, das ist nicht unfair, sondern schlichtweg Blödsinn.

Unter den 27 Parteien, die zur Bundestagswahl zugelassen sind, sucht man die “Horst Schlämmer Partei”, ein Spaßprojekt von Hape Kerkeling für dessen neuen Kinofilm, vergebens. Sie hat sich nicht mal um eine Zulassung bemüht.

Kader Loth antwortet übrigens ein bisschen anders:

Loth: Nein, ich finde Horst Schlämmer lustig. Das ist Unterhaltung, das darf man nicht zu ernst nehmen. Ich hatte in seinem Film übrigens auch eine kleine Rolle.

Mit Dank an Sebastian O. und Thomas U.

Nachtrag, 16:50 Uhr: “Spiegel Online” hat Frage und Antwort zu Horst Schlämmer entfernt und einen Hinweis angehängt:

Anmerkung der Redaktion: In dem Gespräch war zunächst davon die Rede, die Horst-Schlämmer-Partei trete zur Bundestagswahl an. Das ist nicht der Fall. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Tages-Anzeiger, verdeckte Recherchen

1. “Code of Conduct” 2007 und 2009

(medienspiegel.ch, Andrea Masüger)

Der publizistische Direktor der Südostschweiz Presse und Print AG schreibt über den 2007 festgelegten “Code of Conduct” (PDF-File, 40 kb) und seine (damaligen?) Befürworter, so zum Beispiel Res Strehle, einer von zwei Chefredaktoren des Tages-Anzeigers. “Ironie des Schicksals: Am 19. Juni erlebte ausgerechnet Res Strehle sein Waterloo in dieser Angelegenheit. Der ‘Tages-Anzeiger’ hatte an diesem Tag seinen Zeitungstitel einer bekannten Uhrenmarke verkauft.”

2. “Wissenschaftler publizierten Artikel, die nicht von ihnen sind”

(tagesanzeiger.ch, Daniel Bächtold)

Die Printausgabe des Tages-Anzeigers schreibt einen Text über Ghostwriter, die von US-Pharmaunternehmen bezahlt werden und jahrelang Fachartikel in Fachmagazinen schrieben. Der Originalartikel, auf den sich der Tages-Anzeiger insgesamt 11 mal bezieht, findet sich hier (nytimes.com, Natasha Singer).

3. “Falscher Feind”

(berlinonline.de, Jan Söfjer)

“Die Verlage kämpfen gegen Google – weil sie ihre eigene Rolle im Internet noch nicht gefunden haben.”

4. “Täuschen, um die Wahrheit zu finden”

(nzz.ch, Francis Müller)

“Verdeckte Recherchen haben eine lange journalistische Geschichte.”

5. “Die Verpackung bestimmt den Inhalt”

(merkur.de, Stefan Deges)

Nun hat sich auch noch der Rheinische Merkur das neue Newsstudio des ZDF angeguckt. “Unter der Siebzigerjahre-Haube wendet sich das ‘heute-journal’ vom schlichten Nachrichtentransporteur zum Infotainer voller Binsen und Belanglosigkeiten.”

6. “Ein Versuch über die Ökonomie journalistischer Inhalte”

(blog.handelsblatt.de/indiskretion, Thomas Knüwer)

Thomas Knüwer macht sich Gedanken über Journalismus und Ökonomie: “Der Preis eines journalistischen Inhaltes liegt fast überall bei 0. Nun gewinnt der, der bei diesem 0-Preis die beste wahrgenommene Qualität liefert.”

Oprah Winfrey gewinnt Fantastillionen-Prozess

Es ist eine Nachricht, bei der die Wände beben:

Oprah Winfrey auf 1,2 Billionen US-Dollar verklagtOprah Winfrey auf 1,2 Billionen Dollar verklagt

1,2 Billionen Dollar – und das ist ausnahmsweise kein Umrechen- oder Übersetzungsfehler – sind eine Menge Geld.

Aber worum geht’s? Der Autor Damon Lloyd Goffe behauptet, die US-Talkmasterin und Autorin Oprah Winfrey habe ihr Buch “Pieces of My Soul” bei ihm abgeschrieben. Da das Buch sich 650 Millionen Mal für je 20 Dollar verkauft habe, stünden ihm jetzt 1,2 Billionen Dollar zu.

Oprah Sued For 1 Trillion Dollars!!!!

Bild.de und Bunte.de haben die Geschichte aus dem eher mittel-vertrauenswürdigen Promiblog von Perez Hilton, der sich wiederum auf einen Artikel im “National Enquirer” beruft, wovon die beiden deutschen Portale aber schon nichts mehr schreiben.

Was noch jedem Fünftklässler hätte auffallen müssen: 650 Millionen mal 20 ergibt nie 1,2 Billionen, sondern eher 13 Milliarden.

Was einen hätte stutzig machen können: 650 Millionen Exemplare eines einzigen Buches wären verdammt viel — jeder US-Bürger müsste ungefähr zwei Ausgaben besitzen. Nur drei Bücher wurden in der Menschheitsgeschichte überhaupt mehr als 500 Millionen mal verkauft: Die Bibel, das kleine rote Buch von Mao Zedong und der Koran.

Was man schnell hätte ergoogeln können: Es finden sich (außer in Artikeln zum aktuellen Fall) im Internet keinerlei Hinweise auf ein Buch von Oprah Winfrey namens “Pieces of My Soul”. Winfreys offizielle Internetseite kennt den Titel nicht.

Jedenfalls: Das Gericht in Washington hat die bizarre Klage von Damon Lloyd Goffe schon am 21. Juli kurzerhand abgelehnt [PDF], wie der Lawblogger Michael Doyle schreibt. Sein Eintrag ist vom 3. August und damit einen Tag älter als der im “National Enquirer” und drei Tage älter als der Text von Perez Hilton, und Doyle legt darin den Schluss nahe, dass es um den Geisteszustand des Klägers nicht zum Besten steht: Damon Lloyd Goffe behauptet, dass sein Leben seit 2003 unter dem Titel “The Will Smith Show” und “Real World” (eine Art “Big Brother”-Vorläufer) im Fernsehen und Internet übertragen werde und hat gegen Will Smith und NBC/Universal ebenfalls Klagen angestrengt. Goffe hat Oprah bereits im vergangenen Jahr verklagt — damals nur auf 9,9 Millionen Dollar, aber ebenso erfolglos. (Winfrey habe ihr Buch übrigens unter http://www2.willsmithshow.bravo2.net/ verkauft, so Goffe originellerweise in den Gerichtsakten.)

In Deutschland hält sich die Berichterstattung zu dem Fall (wohl auch wegen der nicht ganz so großen Popularität Oprah Winfreys hierzulande) noch in Grenzen. In den USA dagegen wird großflächig weiterverbreitet, was Perez Hilton und die Agentur WENN meinen, erfahren zu haben.

Wahnsinnig scheint jedenfalls nicht nur der Mann zu sein, der Oprah auf 1,2 Billionen Dollar verklagen wollte.

Mit Dank an Wolle.

Nachtrag, 9:15 Uhr: Bild.de hat offenbar nichts verstanden, aber sicherheitshalber in der Überschrift die “1,2 Billionen Dollar” durch das Wort “Megasumme” ersetzt. Im Text selbst wurden aus “1,2 Billionen US-Dollar” nun “mehrere Milliarden US-Dollar”.

2. Nachtrag, 11:50 Uhr: Eine ganz bezaubernde Formulierung hätten wir da auch noch bei promiflash.de gefunden:

ca. eine Billion Dollar (das sind umgerechnet etwa eine Milliarde Euro)

3. Nachtrag, 17:05 Uhr: Bunte.de hat den Artikel aus dem Onlineangebot entfernt.

4. Nachtrag, 8. August, 13:50 Uhr: promiflash.de hat die geforderte Summe ein bisschen richtiger und ein bisschen falscher gemacht:

ca. eine Milliarde Dollar (das sind umgerechnet etwa 700 Millionen Euro)

Vielleicht sollten wir einfach dazu übergehen, Lösungsvorschläge zu unterbreiten: “ca. eine Billion Dollar (etwa 700 Milliarden Euro)” würde die Forderungen richtig wiedergeben. Und über den Rest der Meldung sprechen wir dann ein anderes Mal.