Archiv für Juli 16th, 2009

“Wie viel macht das in Schilling?”

Zahlen mit mehr als zehn Stellen können schnell zum Problem werden. Nicht nur für achtstellige Taschenrechner, sondern auch für Leute, die diese Zahlen aussprechen müssen.

Eine Eins mit neun Nullen ist für uns eine “Milliarde”, während sie in den meisten englischsprachigen Ländern als “billion” bekannt ist. Eine “Billion” im Deutschen ist hingegen eine Eins mit zwölf Nullen, die auf Englisch “trillion” heißt, was im Deutschen eine Eins mit achtzehn Nullen wäre …

Da ist es (theoretisch) hilfreich, wenn man eine Zahl in ihrer vollen Schönheit vor sich hat. So zum Beispiel die Summe, die eine Kreditkartenfirma angeblich von Josh Muszynski für eine Schachtel Zigaretten haben wollte:

23 148 855 308 184 500 Dollar

Waschen Sie Ihren Finger und zählen Sie die Zahl am Bildschirm von hinten nach vorne ab. Es sind 23 Billiarden, 148 Billionen, 855 Milliarden, 308 Millionen, 184 Tausend 500 Dollar. Oder der Einfachheit halber “23 Billiarden Dollar”, wie dpa heute tickerte.

So haben es unter anderem “Focus Online”, “Spiegel Online”, tagesschau.de und taz.de übernommen.

Bild.de kam überraschenderweise zu einer Zahl, die – entgegen der sonstigen Veranlagung des Mediums – deutlich niedriger ausfällt:

Kreditkarten-Schock: 23 Billionen Dollar für ein Päckchen Zigaretten

Quasi als Ausgleich zur Tiefstapelei von Bild.de hat sich der österreichische “Standard” in seiner Online-Ausgabe für eine andere Richtung entschieden:

23 Quadrillionen Dollar für ein Packerl Zigaretten

Nachdem sich Leser in den Kommentaren beschwert hatten, entschied man sich für eine etwas exotische Form der Korrektur und ergänzte den Artikel um einen lehrreichen Satz:

US-amerikanische “Quadrillionen” werden aufgrund der unterschiedlichen Systeme im Deutschen eigentlich mit “Billiarden” bezeichnet.

Denn wenn CNN “quadrillion” schreibt, kann man’s ja auch machen.

Mit Dank an Maria, Andreas W. und Markus S.

Nachtrag, 19:20 Uhr: Bild.de hat den “Billionen”-Artikel gelöscht und einen neuen “Billiarden”-Artikel online gestellt.

Der enthält nur noch einen klitzekleinen Schönheitsfehler:

Josh Muszynski ist erleichtert: Er muss die 23 Billionen Dollar nicht abbezahlen

2. Nachtrag, 22:03 Uhr: Jetzt sind’s auch in der Bildunterschrift Billiarden.

3. Nachtrag, 17. Juli: Auch der “Standard” hat seinen Artikel überarbeitet. Offenbar wollte man dort auf Nummer Sicher gehen, denn die Überschrift lautet nun vollständig:

für ein Packerl Zigaretten

Bild  

Lustig ist das Bettler-Leben…

Vergessen Sie ehrliche Arbeit — verkostümieren Sie sich als Bettler, bevorzugt als “Roma-Frau” und nerven dann unschuldige Passanten (und “Bild”-Reporter) so lange, bis die mal eben einen Euro rausrücken. Tagesverdienst: stramme 1200 Euro bei einem lockeren 8-Stunden-Tag, nicht steuerpflichtig. Macht bei einer Fünf-Tage-Woche im Monat: 24.000 Euro!

Das hat “Bild-Reporter” Thomas Hoffmann, der jetzt im Selbstversuch in Berlin herausgefunden hat, dass “Bettler nerven”, flugs errechnet:

Wenn nur jeder Zwanzigste einen Euro gibt, verdient eine Roma-Bettlerin in einer Stunde 150 Euro…

Und tatsächlich, da hat die gute Frau (aber vermutlich nur, wenn sie eine “Roma-Bettlerin” ist) wirklich gute Chancen: Wenn sie in den 3600 Sekunden einer Stunde alle 24 Sekunden einen Euro bekommt, schafft sie das. Wenn man dann noch voraussetzt, dass jeder Zwanzigste spendet, dann muss sie lediglich alle 1,2 Sekunden jemanden nerven ansprechen, um am Monatsende eine einigermaßen reiche Frau zu sein.

Mit Dank an Christoph M. und Stefan W.

Jacquemart, Hug, Denk, Gutjahr

1. “Journalistenpreis für Falsch-Recherchen”

(weltwoche.ch, Roger Köppel)

Roger Köppel beschäftigt sich ausführlich mit dem Fall Swissfirst und den Preisträgern des Zürcher Journalistenpreises 2007, Charlotte Jacquemart und Daniel Hug von der NZZ am Sonntag, die damals mit 7000 Franken ausgezeichnet wurden: “Anders als in den USA oder Grossbritannien, wo Journalistenpreise bei klaren Fehlleistungen wieder eingezogen werden, können sich die Schweizer Kollegen offenbar der unverbrüchlichen Solidarität ihrer Zunftgenossen sicher sein.” Hier eine Stellungnahme der Jury zu den Forderungen nach einer Aberkennung des Preises vom 6. Mai 2009.

2. Interview mit David Denk und Christian Semler

(epd.de)

Hallo, neue Chefredakteurin! Ines Pohl wird von David Denk nicht mit einer “Drohung”, sondern nur mit der “Wahrheit” begrüsst: “Einerseits spüre ich in der Redaktion nach so vielen Jahren mit der gleichen Chefredaktion schon den Wunsch nach einem neuen, anderen Führungsstil, andererseits wird man bei der taz sicherlich auch nicht glücklich, wenn man den Boss raushängen lässt. (…) Gegen die Redaktion funktioniert bei der taz nämlich gar nichts. Und das ist keine Drohung, sondern nur die Wahrheit.”

3. “Shift Happens!”

(gutjahr.biz, Richard Gutjahr)

Richard Gutjahr, Journalist beim Bayerischen Rundfunk, macht eine Einschätzung der Lage: “Die klassischen Medien müssen ihre Rolle neu definieren. Weniger missionieren, mehr filtern. Eigene Inhalte erstellen, ja, aber eben auch: die wichtigen von den unwichtigen Informationen aus dem Netz picken und auf ihre Richtigkeit hin überprüfen (durch professionelle Recherche!).”

4. “Vorsicht, Hype!”

(tagesspiegel.de, Leo Busch)

“Alle Sender wollen den interaktiven Zuschauer. Aber der will nur – fernsehen.”

5. “Mit dem Staat ins Internet”

(woz.ch, Heiner Busch und Dinu Gautier)

“Vertrauliche Dokumente, die der WOZ vorliegen, zeigen: Der Bund plant die vollständige Überwachung des Internetverkehrs von verdächtigen Personen. Ab dem 1. August müssen die Internetprovider, also die Anbieter von Internetzugängen, technisch aufrüsten. Künftig sollen sie in der Lage sein, die Internetnutzung ihrer KundInnen unmittelbar an die Behörden zu übertragen.”

6. “10 Reasons You’ll Actually Miss Newspapers”

(businessinsider.com)

10 Gründe, warum wir die Zeitung eines Tages furchtbar vermissen werden.

7. Google antwortet auf die Hamburger Erklärung

(googlepolicyeurope.blogspot.com)

Als Bonus heute eine Nummer 7. Nämlich die Antwort von Google auf die “Hamburg Declaration” europäischer Verleger: “If a webmaster wants to stop us from crawling a specific page, he or she can do so by adding (…) to the page. In short, if you don’t want to show up in Google search results, it doesn’t require more than one or two lines of code.”