Archiv für Mai 22nd, 2009

Wenn HSV-Fans über Werder berichten

“The winner takes it all”, sagen die Amerikaner (und Schweden) gerne, wenn es darum geht, den schmalen Grat zwischen Sieg und Niederlage zu beschreiben. Wenn dem tatsächlich so sein sollte, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass dem Verlierer nichts, aber auch gar nichts bleibt. Im Sport dürfte diese Haltung ganz besonders ausgeprägt sein, weswegen es auf den ersten Blick auch nicht verwundert, dass nach Meinung der Sportredaktion der “Welt” Werder Bremen am Mittwoch im Finale des Uefa-Pokals nicht einfach nur ein Fußballspiel verloren hat, sondern weitaus mehr:

Werder Bremen hat alle Sympathien verspielt

Klingt auf den ersten Blick nach verschmähter Liebe, oder, noch viel schlimmer — nach enttäuschter Liebe. Von Liebe oder auch nur dem Ansatz von Zuneigung kann bei der “Welt” allerdings nicht ganz die Rede sein. Eher vom Gegenteil, wenn man so nachliest, was die Redaktion von “Welt kompakt” vor und während des Finales so alles twitterte. Generell, so viel Patriotismus muss ja im Finale einer deutschen gegen eine ukrainische Mannschaft schon sein, finde man ja Werder nicht sooooo schlimm, aber ein Spieler ganz speziell hat anscheinend die geballte Antipathie auf sich gezogen, zu der die “Welt” fähig ist:

Stramme Leistung der Kollegen: In nur elf Minuten wird Werder-Torwart Tim Wiese erst zum Grund dafür gemacht, sich nicht für Werder erwärmen zu können. Danach jubelt man ihm einen Fehler unter, den man “unfassbar” nennt (eine sehr exklusive Meinung; einen “unfassbaren Fehler” Wieses hat ungefähr niemand während des Spiels gesehen), garniert das dann mit ein wenig Häme (“zu viel Sonnenbank” — und lässt schließlich mal eben alle Hemmungen fahren: “Und wer ist der peinliche Typ im Tor?”

Und überhaupt, wenn man schon mal dabei ist, journalistische Maßstäbe über den Haufen zu werfen, kann man ja auch mal ganz offen sagen, was man von diesem Verein hält:

Kein Wunder also, dass man die 1:2-Niederlage Werders gegen Donezk nicht so richtig bedauert, im Gegenteil:

Das wird dann einem “Follower”  doch ein wenig zuviel, weswegen er folgenden kleinen Hinweis wagt:

@weltkompakt: Peinlich eigentlich nur, dass sich eine redaktion öffentlich derart äußert.

Aber bitte sehr, denkt man sich bei den “Welt”-Twitterern, die es inzwischen vollends aus der Kurve getragen hat, wer wird denn kleinlich sein — wir und peinlich?

(Mit der “Treue” meint die “Welt” übrigens den HSV, den man eindeutig zum Verein des Herzens erkoren hat und daraus ebenso wenig einen Hehl macht wie aus der Abneigung gegen Werder.)

So, und nun kommen wir dann doch nochmal zurück zum wohlüberlegten und sicher von keinerlei persönlichen Animositäten getrübten Kommentar in der “Welt”, der zu folgendem — man könnte sagen: beinahe zwingenden — Fazit kommt:

Viele Peinlichkeiten garnieren den Sympathieverlust beim Absteiger der Herzen: Dass der Klub seiner Fürsorgepflicht nachkommt, indem er Ärzte gegen den eigenen Stürmer Ivan Klasnic stützt, der Behandlungsfehler beklagt. Dass der früher wegen seiner Sachlichkeit beliebte Klubchef Jürgen Born wegen ungeklärter Transferseltsamkeiten zurücktrat. Dass der nicht nur zu Sonnenbank-Exzessen neigende Torwart Tim Wiese Gegner öffentlich via Megaphon beleidigt. Alles hat dazu geführt, dass wohl viele Fans beim Siegtor von Donezk nicht bar jeder Schadenfreude dachten: Ein Weltklassetorhüter hätte das verhindert.

Mit Dank an das Worum-Blog!

Meckel, Stellenkürzungen, ARD-Börse

1. Miriam Meckels Antwort
(miriammeckel.de, Miriam Meckel)
Miriam Meckel antwortet auf Stefan Niggemeiers Artikel in der FAZ. Sie hält die momentane Debattenkultur um die Zukunft des Journalismus (online wie offline) für ein “Trauerspiel”. Sie selbst sei zu einem “Gegner (…) stilisiert” worden, der sie nicht sei. Sie habe “viele sehr kluge und interessante Kommentare in den Blogs gefunden, aber auch ziemlich viel Bullshit.”

2. Kein öffentliches Echo auf Stellenkürzungen
(nzz.ch)
Die drastischen Stellenkürzungen bei den Schweizer Zeitungen “Tagesanzeiger” und “Bund” werden laut NZZ zwar wahrgenommen, es finde aber “kein Aufschrei, höchstens ein wenig Stirnrunzeln und ein bisschen Empörung vonseiten der schwachen Arbeitnehmerorganisationen” statt. Gründe für die lauen Reaktionen seien die allgemein schlechte Wirtschaftslage sowie das Überangebot an Medientiteln.

3. ARD-Börsenexpertin arbeitet für DAX-Firmen
(carta.info, Marvin Oppong)
Anja Kohl, Börsenexpertin der ARD und oft persiflierte Figur, ist regelmässig für die Privatwirtschaft tätig, so Marvin Oppong. Er wirft ihr vor, Veranstaltungen moderiert zu haben, die von “DAX-Firmen, die auch Gegenstand von Kohls Börsenberichterstattung in der ARD sind” mitfinanziert worden sind.

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focus.de  etc.

Homöopathie, Akupunktur & Placebo Domingo

Erinnern Sie sich an die Geschichte, amerikanische Wissenschaftler hätten herausgefunden, dass Twitter und Facebook unmoralisch machen? Für große Verbreitung dieser Falschmeldung im deutschsprachigen Raum sorgte die Düsseldorfer Nachrichtenagentur “Global Press” mit ihrem Dienst “Medical Press”. Leider haben die Mitarbeiter es — trotz einer Anfrage von uns — noch nicht geschafft, das zu berichtigen.

Kein Wunder: Sie sind ja voll damit beschäftigt, neue Meldungen für ihre Kunden wie “Focus Online” zu produzieren, zum Beispiel diese, die neue wissenschaftliche Ergebnisse mit der schlichten Überschrift zusammenfasst:

Homöopathie wirkt

Das wäre nichts weniger als eine Sensation, denn bislang ist es nicht gelungen zu beweisen, dass homöopathische Mittel besser wirken als Placebos, das heißt: Die Heilungserfolge lassen sich allein durch Faktoren wie den Glauben an die Wirksamkeit des Mittels oder auch die größere Zuwendung durch den Arzt erklären.

Als Quelle nennt “Focus Online” (bzw. “Medical Press”) die kleine Frauenzeitschrift “feminin & fit”. Die ganze Nachricht beruht ausschließlich auf einer Pressemitteilung von “feminin & fit”. Die beruft sich auf eine neue Studie von Professor Claudia Witt, die an der Berliner Charité den Projektbereich Komplementärmedizin leitet und dabei offenbar ausdrücklich den Auftrag hat, zur größeren Akzeptanz der umstrittenen Heilkunde beizutragen.

Doch die Aussagekraft ihrer Untersuchung ist in Wahrheit sehr begrenzt. Die Studie beruht im Wesentlichen darauf, Patienten in Praxen, die auch homöopathisch behandeln, nach acht Jahren zu fragen, ob es ihnen besser geht. Ein sehr großer Teil sagt, dass er sich besser fühlt — aber ob das an den homöopathischen Medikamenten liegt oder zum Beispiel dem Placebo-Effekt geschuldet ist, kann die Studie gar nicht beantworten.

Daraus zu folgern: “Homöopathie wirkt”, ist Unfug. Trotzdem hat auch diese Schein-Meldung dank “Medical Press” und der abgeschriebenen Pressemitteilung einer weithin unbekannten Frauenzeitschrift weite Verbreitung gefunden. Neben “Focus Online” brachte sie u.a. — Überraschung! — die “Bild”-Zeitung (“Homöopathische Mittel wirken”).

Doch die Medien wollen nicht nur an die magische Wirkung von sozialen Netzwerken und Flüssigkeiten ohne Inhaltsstoffe glauben.

Wissenschaftler in Seattle haben gerade eine Studie über die Wirksamkeit von Akupunktur veröffentlicht. Sie teilten über 600 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen in vier Gruppen ein. Alle bekamen die konventionelle Therapie, aber eine Gruppe wurde zusätzlich nach den Regeln der Akupunktur behandelt, die zweite wurde einfach irgendwohin gestochen und bei der dritten wurden die Stiche nur mit Zahnstochern simuliert. Bei der vierten Gruppe blieb es bei der Standardtherapie. Das Ergebnis ist ebenso eindeutig wie verblüffend: Jede Behandlung war wirksamer als die konventionelle Behandlung allein, aber es machte keinerlei Unterschied, ob die Patienten “richtige” Akupunktur erhielten oder nur eine Simulation.

Die Studie ist ein überzeugender Beleg für die erstaunliche Wirksamkeit des Placebo-Effektes. Wer glaubte, eine zusätzliche Behandlung mit Akupunktur zu bekommen, dem ging es besser — egal wohin er gestochen wurde und ob er überhaupt gestochen wurde. Wenn die Studie etwas beweist, dann dass Akupunktur gegen chronische Rückenschmerzen nicht wirkt.

Und wie fasste “Focus Online” (dank unserer Freunde von “Medical Press”) das Ergebnis zusammen?

Akupunktur hilft bei Rückenschmerzen besser als Standardtherapie

Und die Nachrichtenagentur AP titelte:

“Akupunktur lindert Rückenschmerzen besser als normale Therapie”

— und brachte diese Halluzination u.a. zu WDR 2 und Welt Online.

Vermutlich wäre es sinnlos, ihnen zu schreiben, dass zumindest diese Studie das Gegenteil ergeben hat. Der Glaube versetzt Berge.

 
Mit Dank an Scienceblogs, “Diax’s Rake”: “Homöopathie wirkt auch??”, “Akupunktur wirkt NICHT bei Rückenschmerzen”.