Archiv für Mai 14th, 2009

Bild  

Der spektakulärste Wechsel aller Zeiten

Am Dienstag traute sich die Sportredaktion von “Bild” wirklich mal was: Während nahezu die ganze Fußball-Welt (einschließlich der Fußball-Bibel “Kicker”) davon ausging, dass der Spieler Diego von Werder Bremen zu Juventus Turin wechseln würde, vermeldete “Bild” “exklusiv”:

“BILD weiß…:

BILD weiß: Bayern und Werders Super-Star Diego (24) sind sich schon einig! Der Brasilianer soll in Kürze einen Vier-Jahres-Vertrag unterschreiben. Juventus ist aus dem Rennen. (…) Der Wechsel nach Italien scheitert an Diego! (…)

Heute wollte Juventus erneut zu Verhandlungen nach Bremen fliegen. Vermutlich hatte Bayern Angst, dass die Turiner beim Gehalt doch noch mal ordentlich drauflegen.

Den Flug im Lear-Jet nach Bremen können sich die Italiener sparen. Diegos Vater ist aus München direkt nach Brasilien geflogen. Im Gepäck den spektakulärsten Wechsel aller Bundesliga-Zeiten!

In gewohnter Unbescheidenheit hieß es dann gleich zu Beginn des Textes: “Das ist der Transferhammer des Jahres!” Der Hammer bestand in der Information von Bild.de, es habe ein “Geheimtreffen” zwischen Diegos Vater und Berater sowie den Verantwortlichen des FC Bayern gegeben. Diego sei sich mit den Bayern einig und werde den Münchnern den Vorzug gegenüber Turin geben. Die Vereine müssten nur noch letzte Modalitäten klären. Und damit es sich der Leser auch bildlich vorstellen konnte, packte ihn die “Bild”-Fotomonteure gleich mal in das Trikot des FC Bayern.

Der “Transferhammer” hatte nur einen kleinen Haken: Diego dachte nicht im Traum daran, zu den Bayern zu gehen. Der “Kicker” schrieb bereits am Mittwoch:

Von einem offiziellen Angebot der Bayern, wie es die Bild-Zeitung berichtet und bereits Vollzug über den Transfer vermeldet hatte, wollte Diego nichts wissen. “Es gibt losen Kontakt zu den Bayern, aber nur über meine Berater”, erklärte der 2006 von Porto zu Werder gekommene Spieler. Auch Manager Uli Hoeneß schlägt in die gleiche Kerbe: “Wer sagt das, dass wir uns getroffen haben? Wir haben überhaupt nicht verhandelt.”

So richtig zugeben, dass die Exklusiv-Meldung eine Exklusiv-Ente war, mochte man bei “Bild” allerdings dann doch nicht. Und so war man nicht unglücklich, einen Schuldigen für das Exklusiv-Debakel präsentieren zu können. Der Papa war’s, Papa Diego. Denn der ist — ganz unbrasilianisch — ein Baron:

Papa Diego ist als Lügen-Baron aufgeflogen! Weil Djair da Cunha die Bayern gelinkt hat, ist der Wechsel geplatzt. Als Berater seines Sohnes verhandelte er noch vorgestern mit den Bayern-Bossen, obwohl er sich bereits mit Juventus Turin über einen Wechsel zum Saisonende geeinigt hat.

Bayern gelinkt — und, was fast noch schlimmer ist: “Bild” gelinkt! Kein Wunder also, dass man so jemandem nur die niedersten Motive unterstellen kann, die Frage nach dem “Warum” beantwortet sich für “Bild” jedenfalls ziemlich leicht:

Die Antwort: Reine Gier! Diego und sein Vater versuchten die Ablösesumme in die Höhe zu treiben, weil sie daran mit 15 Prozent beteiligt sind…

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Ein “Anzeigenartikel” macht PR für PR

Man kennt das ja: Spätestens dann, wenn in Ressorts von Zeitungen Begriffe wie “Sonderbeilage”, “Sonderveröffentlichungen” oder “Verlagsbeilage” drüberstehen, begibt man sich fast zwangsweise in eine journalistische Grauzone. Für viele Verlage sind diese “Sonderveröffentlichungen” gut laufende Umsatzbringer, die man insbesondere in Zeiten der Krise gut gebrauchen kann. Ziemlich heimlich hat sich dabei etwas eingeschlichen, was weder nach den Maßgaben des Deutschen Presserates noch seines Gegenstücks, des Deutschen PR-Rates, statthaft ist: die Kopplung von Anzeigenschaltungen mit der Veröffentlichung von PR-Texten. Konkret: Selbstverständlich fragen Unternehmen bzw. deren Agenturen gerne mal, was es denn im Falle einer Anzeigenschaltung noch als kleine redaktionellen Dreingabe gäbe. Manchmal läuft das Spiel auch so, dass die Kunden bei Auftragsvergabe freudig mitteilen, man habe da auch noch einen kleinen Text vorbereitet und die Redaktion freue sich doch bestimmt darüber, etwas weniger Arbeit zu haben. Natürlich stehen solche Geschäfte in keiner Anzeigenpreisliste und natürlich  gibt es auf dem Papier keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Anzeigenschaltungen und redaktionellen Berichterstattung.

Wie so etwas dann in der Praxis funktioniert, sieht man ziemlich anschaulich an diesem Beispiel, bei dem einer der Akteure jemand ist, von dem man es eigentlich nicht erwartet: die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”. Dort gibt es seit inzwischen über 300 Folgen eine Artikelserie zum schönen Thema “Qualifikation und Erfolg”, die unter der Rubrik “Unterricht/Weiterbildung/Seminare” läuft. Am 9. Mai informierte ein Artikel dort über die Vorzüge einer Ausbildung im PR-Bereich:

Man erfuhr in dem Artikel, dass “Öffentlichkeitsarbeit immer gefragter” werde und dass die “Arbeitschancen mit staatlichen Abschlüssen steigen” würden. Zu Wort kommt auch Ingo Reichardt, Chef eines gewissen “Communication College”, das auf der gegenüberliegenden Seite inseriert hat.

Er darf in den darauf folgenden Zeilen ausführlich dalegen, warum der Bedarf an PR-Fachleuten immer weiter steigt und man diesem Trend mit dem Erwerb eines so schönen Titels wie “Certified PR-Officer” (CPRO) begegnen könne.

Kurzum: Auf der linken Seite inseriert das “Communication College”, auf der rechten Seite erklärt der Geschäftsführer ebendieses Colleges, was an einem PR-Job so toll ist. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, merkwürdig ist es aber allemal.

Als Autor des Artikels firmiert Dr. Hans-Henning Kappel. Doch der räumt auf Anfrage des PR-Beraters Sascha Stoltenow ein, die Geschichte nicht selbst geschrieben zu haben — er verstehe von dem Thema so gut wie nichts. Die FAZ-Anzeigenabteilung allerdings konnte da helfen, mit einem vorgefertigten Text, den sie vom “Communication College” bekommen hatte und an den Autor weiterreichte.

So beginnt der Originaltext, der auch auf der Website des “Comunication College” zu finden ist, mit folgendem Absatz:

Sektglashalter, Hummerscherenknacker, Frühstücksdirektoren, Pressefritzen, PR-Trullas und PR-Fuzzies — PR-Profis müssen mit solchen Bezeichnungen leben — auch mit missgünstigen Bloggern.

In der FAZ heißt es:

Sektglashalter, Hummerscherenknacker, Frühstücksdirektoren, Pressefritzen, PR-Trullas und PR-Fuzzies — PR-Profis müssen mit solchen Bezeichnungen leben — auch mit missgünstigen Bloggern.

Auch der Rest der in der FAZ gedruckten Geschichte ist nahezu wortgetreu die Fassung, die das “Communication College” freundlicherweise zur Verfügung stellte.

Kappel übernahm die Texte, pappte sein Namensschildchen drauf — und fertig war der beinahe redaktionelle Beitrag der FAZ. Das räumt Kappel auch gegenüber dem “PR-Journal” ein.

Etwas Ehrenrühriges mag die FAZ hinter diesem Vorgehen nicht vermuten. Josef Krieg, Leiter der Unternehmenskommunikation, erläutert in einer offiziellen Stellungnahme:

Der Autor dieser Artikelserie Dr. Hans-Henning Kappel von der Johann-Wolfgang-Goethe Universität ist innerhalb des optisch abgegrenzten Anzeigenartikels klar und deutlich als Autor der Artikelserie erkennbar. Neben einer postalischen Anschrift sind auch Telefon, Telefax und Email-Adresse von ihm aufgeführt. Damit wird dem Leser unmissverständlich klar, dass es sich hier nicht um einen FAZ-Redakteur handelt. Auch die Optik dieser Veröffentlichungsreihe “Qualifikation & Erfolg” unterscheidet sich deutlich von Redaktionsteil hinsichtlich des Umbruches und der Typographie.

Man muss also davon ausgehen, dass ein Text, der nicht von einem FAZ-Redakteur stammt, automatisch möglicherweise ein PR-Text sein könnte? Und ein unterschiedlicher Umbruch und eine vom normalen Redaktionsstandard abweichende Typographie sind automatisch schon sichere Indikatoren dafür, dass es sich um einen PR-Beitrag handelt? Offen bleibt auch die Frage, warum ein Autor — selbst wenn er nicht FAZ-Redakteur ist — mit seinem Namen für eine Geschichte geradesteht, die eine nicht einmal schwach kaschierte 1:1-Übernahme eines Fremdtextes ist.

Und was ist eigentlich ein “Anzeigenartikel”?

Die naheliegendste Möglichkeit, den Leser nicht lange auf Rätseltour zu schicken, hat man inzwischen allerdings auch bei der FAZ erkannt:

Was bei dieser Artikelreihe “Qualifikation & Erfolg” sicherlich letztlich für die Klarheit gesorgt hätte, ist das fehlende Wort einer “Anzeigen-Sonderveröffentlichung” über der Seite. Diesen Hinweis wird es im Sinne der bei der FAZ praktizierten strikten Trennung zwischen Redaktions- und Anzeigenteil ab sofort geben.

Netzwerk Recherche

Am Montag hatten wir darüber berichtet, wie StudiVZ darauf reagiert, dass sich Medienvertreter in dem sozialen Netzwerk mit Fotos und Informationen über Jugendliche eindecken.

Logo der StudiVZ-Gruppe "Wenn ich tot bin, soll mein Bild nicht in die Bild-Zeitung!"Im Anschluss daran schrieben uns Leser, die fragten, wie sie einem solchen Bilderklau Vorschub leisten könnten (Korrektur von 16:19 Uhr: BILDblogger scheitert an der deutschen Sprache) einen solchen Bilderklau verhindern könnten. Eine richtige Antwort darauf hatten wir auch nicht, bis uns ein weiterer Leser schrieb, er habe gerade eine neue Gruppe bei StudiVZ gegründet: “Wenn ich tot bin, soll mein Bild nicht in die Bild-Zeitung!” Eine vielleicht etwas hilflose und symbolische Aktion, die aber immerhin auf das Problem aufmerksam macht.

Der folgende Tag allerdings zeigte, dass das Problem der Recherche in Sozialen Netzwerken kein “Bild”-spezifisches ist — und dass man nicht unbedingt tot sein muss, um unfreiwillig seine privaten Fotos in der Boulevardpresse wiederzufinden:

In Sankt Augustin hatte eine Schülerin offenbar einen Brandanschlag auf ihr Gymnasium geplant. Eine Mitschülerin stellte sich ihr in den Weg und wurde mit einem Messer verletzt. “Bild” berichtete am Dienstag groß über die “Heldin” und veröffentlichte dabei eine Kurz-Charakterisierung, die sich liest, als sei sie direkt aus dem Profil einen Sozialen Netzwerks zusammenkopiert:

Wer ist die hübsche Schülerin? Sie geht in die 11. Klasse und möchte später gerne in Paris studieren. Dennoch ist Ankes Lieblingsfach Englisch. Die begeisterte Tennis-Spielerin geht gerne shoppen, liest und reist viel. Raucher mag sie dagegen überhaupt nicht.

Auch der “Express” überrascht mit erstaunlichem Faktenwissen:

Ihr Opfer Janine, die davon träumt an der Sorbonne in Paris zu studieren, ist inzwischen in der Uni-Klinik notoperiert worden.

Beide Zeitungen haben nach eigenen Angaben den Namen der Verletzten geändert. Ihre Berichte sind mit Fotos des Mädchens garniert, auf denen das Gesicht verpixelt wurde. Es sieht ganz danach aus, dass sie aus dem Profil des Mädchens in einem Sozialen Netzwerk entnommen wurden. Auf Nachfrage erklärte SchuelerVZ, man prüfe gerade, ob die Fotos aus dem eigenen Angebot stammen.

Einen besonderen Einblick in den Arbeitsalltag von Boulevardjournalisten liefert ein Artikel in der “Rheinischen Post” (die in ihrer Printausgabe sogar den vollen Namen der 16-jährigen Tatverdächtigen angegeben hatte). Man meint, dem Autor Jürgen Stock seine Enttäuschung regelrecht anmerken zu können:

Alternativ hätte sie der “Rheinischen Post” kurz vor ihrem geplanten Amoklauf vielleicht auch einfach kurz ein paar biographische Notizen faxen können — das hätte Herrn Stock auch viel Zeit gespart.

Mit Dank auch an Falk E., Leonard E., Birgit H. und Fabian P.

Trankappenbomber

Sensations-Foto: Ein Stealth-Bomber vor der Schallmauer. Ein Stealth-B-2-Bomber kurz vor dem Erreichen der Schallmauer

Man will Bild.de ja nicht wirklich widersprechen:

Es ist ein aufsehenerregendes Foto: Ein dunkelgraues Ungetüm, das einem Fisch ähnelt, eingehüllt in eine neblige Wolke, donnert über die Wüste Kaliforniens bei Los Angeles. Das Bild zeigt einen Stealth B-2-Bomber kurz vor dem Erreichen der Schallmauer.

Lassen Sie sich nicht irritieren: Eine B-2 (Top Speed: High Subsonic) wird die Schallmauer nie erreichen — aber darum soll es auch gar nicht gehen.

Bild.de zeigt dieses Foto vermutlich, weil Agenturen und verschiedene britische Medien es in den letzten Tagen verbreitet hatten. Die “Daily Mail”, die unter den Ersten war, schreibt dazu:

[Das Bild] wurde passend zur Ankündigung verbesserter militärischer Software für die Flotte veröffentlicht und zeigt eine B-2, die während eines Flugs über Palmdale, nahe Los Angeles, eine hohe Unterschallgeschwindigkeit erreicht.

Auch das ist so nicht falsch. Tatsächlich hatte Semantic Designs, eine Firma, die an neuer Software für die B-2 arbeitet, das Bild selbst in seine Pressemitteilung eingebaut. Nur “veröffentlicht” hatten sie es damit nicht — allenfalls als Symbolfoto “wieder-veröffentlicht”. Das Bild selbst ist nämlich schon mindestens zwei Jahre alt.

Ungeachtet dieser Tatsache trat das Foto eine Reise durch die Medien dieser Welt an, zunehmend losgelöst von der eigentlichen Nachricht (neue Software für die B-2-Flotte). Aber es ist ja immer noch “ein aufsehenerregendes Foto” — und aktuell der zweitmeistgelesene “News”-Artikel bei Bild.de:

Meistgelesene News-Artikel: 01. Polizeipanne! Diese nette Omi ist die "Phantom-Killerin" 02. Sensations-Foto: Ein Stealth-Bomber vor der Schallmauer

Das zeigen die jetzt bestimmt öfter.

Mit Dank an Andreas B. und Sascha G.

Korruption, Zukunft, Twitter

1. Korruption bei Medienwächtern
(taz.de, Steffen Grimberg)
Steffen Grimberg berichtet über die Korruptionsaffäre bei der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien. Es geht um Kredite, die der unter Schleichwerbeverdacht stehende Sender Camp TV an den ehemaligen Vorsitzenden des Medienrates Klaus Kopka gegeben haben soll.

2. Die Zukunft der New York Times
(niemanlab.org, Zachary M. Seward, Video 6:42)
Das Nieman Journalism Lab besucht die New York Times und berichtet in einer fünfteiligen Serie von der Zeitung der Zukunft. Im ersten Teil der Serie wird die Research & Development Abteilung besucht. Besonders bemerkenswert: Die Qualität des Kaffees.

3. Twitter ist kein Dschungel
(madial.blogspot.com, Mathias Vettiger)
Mathias Vettiger antwortet auf den im Schweizer Tagesanzeiger erschienenen Artikel “Die Banalität des Bloggens”. Der Artikel sei zu stark auf das vermeintliche Chaos und Banalitäten fixiert und vergesse darüber, die vielfältigen Möglichkeiten die Twitter biete.

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