Archiv für März 13th, 2009

Die kranke Welt der “Bild”-Zeitung

Vielleicht wäre es am besten, wenn die “Bild”-Zeitung zukünftig gar keine Fotos mehr veröffentlichen würde. Sie hat ja einen “BILD-Zeichner”. Der hat bekanntlich genügend Fantasie, um sich beispielsweise vorzustellen, wie der Amokläufer von Winnenden in einem Kampfanzug ausgesehen haben könnte, als er vorgestern 15 andere Menschen tötete (dabei trug er womöglich gar keinen Kampfanzug [siehe Kasten]).

Kampfanzug? Sweatshirt?

Eine Augenzeugin heute in “Bild” über den Amokläufer:
"Schwarze Hose, dunkelgraues Sweatshirt und die Waffe in der Hand"
Etwas weiter unten auf derselben “Bild”-Seite:
"BILD-Zeichnung des Amokläufers. Tim K. trug einen schwarzen Kampfanzug"

Und sicher hätte der “BILD-Zeichner” auch kein Problem damit, sich vorzustellen, wie der Amokläufer Tim K. im Alter von zehn Jahren ausgesehen hätte, während er an einem Schießstand mit einem Luftgewehr zielte. Er hätte eine große Zeichnung davon machen können, und “Bild” hätte dazu schreiben können:

So sieht es der BILD-Zeichner: Da war er erst 10! Das Auge am Visier, den Finger am Abzug. Früh lernte Amokläufer Tim K. den Umgang mit Waffen. Die Zeichnung zeigt ihn als Zehnjährigen beim Schießen mit einem Luftgewehr

Doch “Bild” beschäftigt schließlich eine Menge Leute, die quasi darauf spezialisiert sind, Fotos zu beschaffen – auf welchen Wegen auch immer. Und manchmal, so wie heute, schreibt “Bild” inzwischen sogar “Fotobeschaffung” in den Quellennachweis.

“Fotobeschaffung” heißt hier offenbar (wie so oft), dass “Bild” sich ein Foto eines jungen Luftgewehrschützen aus dem Internet besorgt hat, ohne den Rechteinhaber um Erlaubnis zu fragen.

Das Ergebnis dieser “Fotobeschaffung” kann man heute groß auf Seite 2 als Blickfang unter der Überschrift “Die kranke Welt des Killers” sehen (Unkenntlichmachung von uns):

"Die kranke Welt des Killers"

Der Text beginnt mit den Worten:

"Wir sehen einen Jungen, zehn Jahre alt, konzentriert zielt er mit seinem Luftgewehr. Der Junge auf dem Foto ist Amokläufer Tim K., aufgenommen vor sieben Jahren – als noch nicht das Böse in ihm wohnte."

Doch das Foto zeigt nicht den Amokläufer Tim K. Es zeigt einen ganz anderen, völlig unbeteiligten Jungen aus einem von Winnenden rund 80 Kilometer entfernten Schützenverein, wie man uns dort bestätigt.

Mit Dank an Mario S.

“Bild” und die lange Leitung der ARD

Die ausufernde Berichterstattung über den Amoklauf von Winnenden nimmt die “Bild”-Redaktion nicht so sehr in Beschlag, dass sie sich nicht noch um einen ihrer Lieblingsgegner kümmern könnte, die ARD. Heute erklärt “Bild” sie wieder einmal zum “Verlierer” des Tages:

Natürlich haben nicht “alle Privatsender” live über den Amoklauf berichtet. Genau genommen hat sogar kein privates Vollprogramm sein Programm geändert. Sender wie RTL 2 oder Kabel 1 berichteten erstmals am Nachmittag oder Abend in ihren regulären Nachrichtensendungenen über die Vorfälle.

Und was die “lange Leitung” angeht:

Um 11:04 Uhr unterbrach die ARD (wie auch “Bild” schreibt) ihr reguläres Programm für ein dreiminütiges “Tagesschau-Extra”. Weitere Extra-Ausgaben der “Tagesschau” liefen um 12:00 Uhr (Länge: 17 Minuten), 12:50 Uhr (3 Minuten) und 13:44 Uhr (25 Minuten).

Das ZDF sendete um 11:12 Uhr ein zweiminütiges “heute Spezial” und berichtete ab 12:00 Uhr mehrmals in seinen regulären Sendungen “heute Mittag”, “Drehscheibe Deutschland” und “ZDF-Mittagsmagazin”.

RTL begann mit der Berichterstattung in seiner Sendung “Punkt 12” um 11:56 Uhr. Pro Sieben zeigte um 12:24 Uhr Kurznachrichten, Sat.1 um 12:58 Uhr eine dreiminütige Sondersendung.

Aber tatsächlich übertrug die ARD zwischen 12:17 Uhr und 13:41 Uhr (unterbrochen durch ein kurzes “Tagesschau”-Extra) den Ski-Weltcup und hatte vermutlich das Pech, das gerade in dieser Zeit ein “Bild”-Redakteur vorbeizappte.

Kalka, Springer, Unger

Verdient gutes Geld: Mathias Döpfner (M, Keystone)
1. “Winnenden: Menschen und Medien”
(wuv.de, Jochen Kalka)
Der Chefredakteur von W&V, Jochen Kalka, ist Einwohner der Stadt Winnenden, wo am Mittwoch mehrere Menschen durch einen “geplanten Mord” ums Leben kamen (“Das, was in Winnenden passiert ist, hat mit einem Amoklauf wenig zu tun”). Im lesenswerten Text schreibt er, wie am Tag darauf die Winnender Zeitung bereits um 7:30 Uhr ausverkauft war und über durch die Talk-Shows ziehende “Kommentarwichsmaschinen”.

2. Interview mit Mathias Döpfner
(turi-2.blog.de, Video, 8:21 Minuten)
Alle jammern über die Krise, dem Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, geht es hingegen “erschreckend gut”: “Wir verdienen heute schon gutes Geld mit unseren Online-Aktivitäten. Sieben unserer Onlineaktivitäten schreiben Renditen von über 20 Prozent. Online ist für uns kein vages Zukunftsgeschäft, sondern reales Geschäft heute. (…) Für uns ist das Internet kein Feind, sondern ein Freund.”

3. “TV-Krise als Chance für Springer”
(taz.de, Steffen Grimberg)
“Der Konjunkturrückgang trifft Privatsender voll: Sparkurs bei RTL, Land unter bei ProSieben. Heißt der lachende Dritte jetzt etwa Axel Springer?”

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