Archiv für Januar 19th, 2009

18-Uhr-Prognose immer früher

Sonntags an einem Wahltag, pünktlich um 18 Uhr, nach Schließung der Wahllokale, kommt bekanntlich die 18-Uhr-Prognose. Da gibt es endlich Zahlen, die einen ersten Hinweis geben, wie die jeweilige Wahl ausgegangen sein könnte. Vorher nicht. Jedenfalls meistens.

Bei der Bundestagswahl 1998 allerdings hatte der Sender RTL bereits 37 Sekunden vor 18.00 Uhr die erste Wahlprognose (die auf Wähler-Befragungen nach der Stimmabgabe vor den Wahllokalen beruht) veröffentlicht. 37 Sekunden. Das ZDF kritisierte RTL damals scharf und warf dem Sender vor, er versuche bewusst, “seine Einschaltquoten zu erhöhen”, wie die “Berliner Zeitung” berichtete. RTL sprach von einem Versehen.

Vier Jahre später, bei der Bundestagswahl 2002, veröffentlichte das ZDF die erste Wahlprognose bereits zwei Minuten vor 18 Uhr auf seiner Internetseite, wie das “Handelsblatt” damals dokumentierte. Das ZDF sprach von einem Versehen.

Es gibt einen guten Grund, dass die 18-Uhr-Prognose nicht 17.47-Uhr-Prognose heißt: Wähler, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben, sollen in ihrer Wahlentscheidung nicht beeinflusst werden, und es soll verhindert werden, dass sie taktisch wählen — der Grundsatz der Gleichheit der Wahl würde verletzt.

Und das ist keine Verpflichtung, die sich die Medien selbst auferlegt haben, sondern das steht im Bundeswahlgesetz und in den Wahlgesetzen der Länder. Im Hessischen Wahlgesetz beispielsweise:

Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig.

Bild.de veröffentlichte gestern trotzdem vor Schließung der Wahllokale die erste Prognose der Hessen-Wahl. Nicht 37 Sekunden und auch nicht zwei Minuten, sondern etwa eine Viertelstunde vor 18 Uhr:

Bei der Veröffentlichung der Ergebnisse von Wählerbefragungen “vor Ablauf der Wahlzeit” handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet werden kann.

Mit Dank an B., Lukio, Dorin P. und Mario auch für die Screenshots.

Nachtrag, 21.1.2009: Wie Dorin Popa im Tivoli-Blog berichtet, geht der hessische Landeswahlleiter Wolfgang Hannappel der Sache nach. Hannappel bestätigte uns gegenüber, dass er die “Bild”-Chefredaktion zu einer Stellungnahme bezüglich der Veröffentlichung der “1. Prognose” aufgefordert hat. Das Tivoli-Blog fragt sich und andere außerdem, wo genau die Zahlen von Bild.de eigentlich herkommen könnten. Weder bei der Forschungsgruppe Wahlen, noch bei infratest dimap, weiß man Antwort.

Nachtrag, 22.1.2009: Das Tivoli-Blog hat noch ein bisschen herumgefragt und herausgefunden, dass in den Parteien die ersten Prognosen der Wahlnachfrage bereits am frühen Nachmittag kursieren sollen. Desweiteren zitiert das Blog “Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF)” dahingehend, dass es “gegen 17 Uhr an weniger als eine Handvoll Journalisten, mit denen wir eine langjährige Zusammenarbeit pflegen und wo wir sicher sein können, dass eine Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften gewährleistet ist, eine qualitative Einschätzung des zu erwartenden Ergebnisses [gibt]. Diese dienen aber nicht dazu, eine Prognose frühzeitig drucken zu können, sondern lediglich um sicherzustellen, dass der zu schreibende Kommentar etwas mit dem wirklichen Ergebnis zu tun hat.”

Krieg, Maden, Taxifahrten

1. “Krieg – Live im israelischen Wohnzimmer”
(andremarty.com)
Der israelische Privatsender Channel 10 telefoniert während dem Krieg immer mal wieder mit Ezzeldeen Abu al-Aish, einem palästinensischen Gynäkologen. Ein Anruf des Senders erfolgt, nachdem sein Haus von einem israelischen Panzer beschossen wurde: “Drei seiner Töchter sind tot, die 22jährige Bisan, die 15jährige Mayer und die 14jährige Aya. Seine 14jährige Nichte Nour und eine weitere Tochter sind verletzt.” Die sehr emotionale Live-Schaltung ist auf YouTube zu sehen (youtube.com, Video, 4:18 Minuten).

2. “Die Maden und die Medien”
(faz.net, Stefan Niggemeier)
Die von Gatekeepern befreite RTL-Sendung “Ich bin ein Star – holt mich hier raus” zeigt eigene Qualitäten. Stefan Niggemeier fragt sich, “wann je zuvor so viele Fernsehzuschauer in einer Unterhaltungssendung so viel über Transsexualität erfahren haben. Wie absurd, dass ausgerechnet in dieser bizarren, künstlichen Extremsituation im australischen Dschungel Gespräche entstehen, die dem schwierigen Thema angemessener sind als die übliche Boulevardberichterstattung.”

3. Interview mit Leo Fischer
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Leo Fischer, der 27-jährige Chefredakteur der Satirezeitschrift Titanic, will sein Bestes geben, freut sich über Klagen und kämpft mit Bedeutungsverlust: “Die meisten Politiker der Postmoderne verstehen Satire inzwischen aber wohl als PR.”

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