Archiv für November, 2008

Carta, NZZ, Martenstein

Der Journalismus wird herausgefordert, es wird viel gespart und NZZ-Verlagschef Albert P. Stäheli setzt ganz berechenbar den Rotstift an, während andere noch diskutieren – unsere tägliche Presseschau.

Wertanlage Zeitung, Tagesspiegel-Online-Chefin Mercedes Bunz, NZZ-CEO Albert P. Stäheli (SimSullen, Keystone)

1. Medien-Gemetzel
(Neue Zürcher Zeitung)
“Die derzeitige Finanzkrise und die heraufziehende Rezession verschärfen die strukturellen Probleme der Presse. Weltweit häufen sich zurzeit Meldungen über dramatische Spar- und Rettungsaktionen.”

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Yes, they can

“WIR SIND PRESIDENT!” wäre irgendwie unpassend gewesen. Und “Werden wir alle Afrikaner?” gab’s ja schon. Vielleicht ist “Bild” heute deshalb nichts Besseres eingefallen:

Und immerhin stellt “Bild” heute unmissverständlich klar, wer mit “wir” (engl. we) gemeint sein soll:

BILD (…) ruft ihm im Namen aller Deutschen zu: YES, WE CAN gute Freunde sein!

Sollte Obama der Gleichung BILD = alle Deutschen glauben, müsste die heutige “Bild”-Schlagzeile jedoch bekanntlich etwas anders aussehen:

Nachtrag, 18.30 Uhr: Jörg Quoos, stellvertretender “Bild”-Chefredakteur, ist mit der eigenen Seite-1-Schlagzeile auch nicht zufrieden. In der heutigen “Bild”-Blattkritik sagt er: “Unser Gefühl zu dieser Ausgabe ist, (…) dass die 1 zwar solide und ordentlich ist, aber keine 1, die man sich aufhebt zu einem historischen Ereignis und die man sich gar an die Wand hängt. Da haben wir uns vielleicht nicht lange genug gequält. Wir hatten auch gestern einen Wettbewerb, einen internen, ausgeschrieben: ‘Wir suchen die beste Obama-Schlagzeile’ – und auch da war ein sehr dürrer Rücklauf, muss ich sagen, und es war auch nichts dabei, was uns vorne weitergeholfen hat. Und deshalb ist auch hier die ausgelobte Flasche Champagner nicht vergeben worden. (…)”

Roger & Roger, Lafontaine, Tallinn

1. “Die schleichende Entmündigung”
(ejo.ch, Natascha Fioretti)
“Frankreichs Zeitungen bauen schleichend ihren Politikjournalismus ab. In Italien ändert sich wenig – der Journalismus bleibt eng mit der Politik verwoben. Ein Bericht über zwei aufwändige Studien.”

2. Roger & Roger
(weltwoche.ch, Roger Köppel)
Klare Worte von Weltwoche-Chef Roger Köppel an den Radio1-Chef Roger Schawinski. Der “angeblich urliberale Funkbefreier” würde sich als “eine Art Spartakus der Schweizer Medienszene” inszeniseren, jedoch durch die Annahme von Staatsgeldern beweisen, “dass ihm die Prinzipien, auf die er sich beruft, nichts wert sind”. Fazit: “Alt-Pirat Schawinski ist zur Verkörperung all dessen geworden, was er früher leidenschaftlich bekämpfte.”

3. “Foto: ddp (Symbolbild)”
(eichen.blogger.de)
Oskar Lafontaine dient der Online-Ausgabe des Express als Illustration zur Beschreibung eines Vorfalls aus Ägypten, bei dem ein Lehrer offenbar einen Schüler zu Tode geprügelt hat.

4. “Die Grüne Partei will Blogger kaufen”
(ruhrbarone.de, David Schraven)
“Die Grünen wollen ihre Partei modern darstellen. Deswegen wollen sie in diese verdammten Blogs rein, die Obama so erfolgreich gemacht haben. Sie wollen ihren staublangweiligen Parteitag in angesagten, ehrlichen und deswegen relevanten Blogs platzieren.”

5. “Die modernste Stadt der Welt”
(morgenkommichspaeterrein.de, Markus Albers)
Markus Albers war in Tallinn, der Hauptstadt von Estland und ist auf Internet gestossen: “Hier gibt es flächendeckend freies Internet. Cafés, Museen, Tankstellen und seit einigen Monaten sogar Bus und Bahn bieten kostenloses WIFI. In der Innenstadt von Tallinn hängen überall Straßenschilder, die auf staatlich gesponserten Datenfunk hinweisen.”

6. “Who needs an election when you have holograms?”
(guardian.co.uk, Anna Pickard)
Hologramme und Touchscreens sind weder neu (neuerdings.com, 13.3.2007 und 2.6.2008), noch erzeugen sie automatisch besseren Journalismus. Doch sie werden angewendet. “Why? Because we can. We COULD have a correspondent that could say what she says perfectly well in 2D on a normal screen. But why should we, when we can have a hologram?”

6 vor 9

1. “Diese vier Menschen da”
(faz.net, Michael Hanfeld)
“Nach einem halben Tag Hessisches Fernsehen ist man reif für die geschlossene Anstalt. Man will es nicht fassen und muss am Ende, gegen Mitternacht, doch erkennen: So kann ein öffentlich-rechtliches Programm im Jahr 2008 tatsächlich aussehen. So geistlos, so unreflektiert und – man muss es sagen – so brutal.”

2. Interview mit Stephen B. Shepard
(sueddeutsche.de, Stephan Weichert)
“Es ist absehbar, dass Zeitungen, wie wir sie kennen, verschwinden werden. Eine Zukunft ohne gedruckte Zeitung ist durchaus realistisch – aber das bedeutet ja noch lange nicht das Ende des Journalismus.”

3. “Ihr Kinderlein kommet”
(taz.de, David Denk)
“Das neue Magazin ‘Wir’ feiert die Freuden des Kinderkriegens auf knapp hundert Seiten. Mehr nicht. Und genau das ist das Problem des ‘SZ’-Ablegers.”

4. “‘RP Online ist ein Premium-Angebot'”
(meedia.de, dem)
Der Geschäftsführer von RP Online, Oliver Eckert, erklärt sein Portal, das durch ungenaue Trennung zwischen Werbung und Inhalt sowie durch verschiedene Aktionen zur Erhöhung der Zahl der Page Impressions auffällt, zu “journalistischer Qualität”: “Und ich muss ganz ehrlich sagen – wenn die Kritik der Blogs alles ist, was man uns vorwerfen kann, dann können wir sehr stolz auf die tägliche Qualität sein.”

5. Albert P. Stäheli im Interview
(persoenlich.com, Christian Lüscher)
Der neue CEO der NZZ AG spart erstmal: “Es wird kein Bereich verschont. Finanzen, Informatik, sämtliche Verlagsbereiche aber auch die Redaktionen müssen den Gürtel enger schnallen. Es ist eine proportionale Angelegenheit. Die NZZ am Sonntag wird es vermutlich weniger hart treffen als die NZZ-Redaktion, weil die Redaktionen verschieden gross sind. Die Details haben wir noch nicht genau analysiert. Das sind Arbeiten, die jetzt anstehen.”

6. “Covers of the Campaign”
(foliomag.com)
“The 2008 race for the White House as viewed through the lens of magazine covers.”

6 vor 9

1. “Vorsicht, Google!”
(nzzfolio.ch, Nico Luchsinger)
“Im Internet können grundsätzlich alle alles behaupten. Gegen die digitale Rufschädigung hilft nur eines: Transparenz. Tips für die Selbstdarstellung im Netz.”

2. “Die Dolchstosslegende”
(moritzleuenberger.blueblog.ch)
Auf der offiziellen Website veröffentlicht der schweizer Medienminister Moritz Leuenberger ein bisher nicht öffentlich zugängliches Interview über Blogs, in seinem Blog schreibt er über die Aufnahme des Konzessionsentscheids der Medien: “Einzig Blick am Abend, Blick und Sobli, die wie Radio Energy zu Ringier gehören, werteten die Vergabe wider besseres Wissen als persönlichen Rachefeldzug des Medienministers.”

3. “Der Preis staatlicher Finanzierung”
(medienheft.ch, Urs Meier)
Urs Meier glaubt, dass die, die gegen den Konzessionsentscheid protestieren, sich einfach nicht genau mit dem geltenden Radio- und Fernsehgesetz auseinandergesetzt haben und es darum auch nicht verstehen: “Bundesverwaltung und zuständiges Departement haben das Gesetz strikte angewandt.”

4. “Interview mit Niklas Luhmann: ‘Das Internet ist kein Massenmedium'”
(ruhrbarone.de, Stefan Laurin)
Aus einem Interview mit Niklas Luhmann von 1997: “Für Massenmedien selber werden die aktuellen technischen Innovationen wie das Internet oder individuell wählbare Informationen wenig Bedeutung haben. Sie werden sich neben Massenmedien wie Tageszeitungen oder auch das Fernsehen setzen, sie jedoch nicht verdrängen. Das Internet mit seinen Kommunikationsmöglichkeiten ist auch, wenn es massenhaft als Medium genutzt wird, kein Massenmedium, denn es ist ja gerade keine einseitige technische Kommunikation, sondern kann individuell genutzt werden.”

5. “Hilmar Poganatz, seine nachplappernden Blogger in der abschreibenden Süddeutschen Zeitung”
(blogbar.de, Don Alphonso)
Hilmar Poganatz schreibt für einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung aus einem Artikel in der International Herald Tribune ab.

6. “Eine fast lustige Journalistenbegegnung”
(noahsow.de)
Ein Besuch eines Journalisten, ein abgebrochenes Interview. Eine Schilderung aus der Warte der Befragten.

Bild.de lässt Obama nach Hause telefonier’n

Es wird verfügt in dem Gesetz Venedigs,
Wenn man es einem Außerirdischen dargetan,
Daß er durch Umweg’ oder gradezu
Dem Leben eines Bürgers nachgestellt,
Soll die Partei, auf die sein Anschlag geht,
Die Hälfte seiner Güter an sich ziehn;
William Shakespeare (Übersetzung: Bild.de)

“Ich bin ein Außerirdischer, ein legaler Außerirdischer…”
Sting (Übersetzung: Bild.de)

Shakespeare und Sting werden sich wahrscheinlich wundern, dass sie sich hier in einem Atemzug mit dem Ku-Klux-Klan-Aktivisten Thomas Robb wiederfinden.

Robb-O-Ton in der “Sun”:

“This war is between our people (…) and their people, the blacks. (…) We’re being taken over by aliens and I certainly consider Obama an alien.”

Aber da können wir nix für. Schließlich hielt es das britische Boulevardblatt “The Sun” für erwähnenswert, dass Robb im Falle eines Siegs Barack Obamas bei der US-Wahl vor einem “Rassen-Krieg” gewarnt habe. Und so schreibt Bild.de unter Berufung auf die “Sun” über Robb:

Er ist der Meinung, dass Afroamerikaner Außerirdische sind, die in die USA eingedrungen sind, um die christliche Kultur zu zerstören... Robb: "Dies ist ein Krieg zwischen Menschen, die ich als rechtmäßige Besitzer und Führer dieses großen Landes sehe und ihrem schwarzen Gefolge. (...) Und Obama bezeichne ich als Außerirdischen." Verwirrte Worte eines durchgeknallten Mannes. Er scheint es ernst zu meinen.

Bild.de wohl auch.

Mit Dank an Hoi Polloi, Michael D., Phillipp S., Axel K., Jan-Dirk S., Martin und Heribert!

Nachtrag, 14.50 Uhr: Huch! Plötzlich haben sich die “Außerirdischen” bei Bild.de in gewöhnliche “Ausländer” verwandelt.

6 vor 9

1. Interview mit Bill Morrison, Chefzeichner der Simpsons
(jetzt.sueddeutsche.de, Johannes Graupner)
“Es gab eine Folge, in der Bart mit ein paar Schulkindern die Itchy&Scratchy-Studios besuchen. Sie kommen auch durch die Räume, wo die Witze für die Show getestet werden. Dort sieht man dann eine ‘echte’ Katze und eine ‘echte’ Maus, mit denen allerlei Sachen angestellt werden. Die Zensoren beim Fernsehsender Fox haben dann gesagt, dass das nicht gehe, weil man einfach keine echte Maus und keine echte Katze im Fernsehen umbringen könne.”

2. “Der Toujourismus”
(miriammeckel.de)
“Im Google-Journalismus sind Menschen immer seltener die Handelnden. Eine entschuldigende Medienmitteilung des Tribune-Konzerns zum Fall United Airlines lautet: ‘Es sieht so aus als habe niemand, der die Geschichte weiter reichte, sich die Mühe gemacht, sie zu lesen.’ Lesen hätte geholfen! Aber das können eben Menschen immer noch sehr viel besser als Computer.”

3. “Manager sind Schuld am Scheitern von Energy”
(persoenlich.com, Stefan Wyss)
Giuseppe Scaglione, einer der Gewinner der Konzessionsvergaben, macht die Manager bei Ringier für ihren Verlust der Konzession verantwortlich: “Nicht Bundesrat Leuenberger ist Schuld am Scheitern von Energy, sondern die Arroganz und die komplette Selbstüberschätzung gewisser Verlags- und Radiomanager. Anders kann man das schlecht abgefasste Gesuch von Energy nicht begründen.”

4. “Präsident Dmitri Medwedew liest Lenta.ru”
(krusenstern.ch)
“Russische Blogger enthüllen, welche Nachrichten Präsident Dmitri Medwedew am Morgen liest: Die auch mal regierungskritische russische Nachrichten-Website Lenta.ru. Sein Tag beginne stets mit einem Blick ins Internet, erklärt Dmitri Medwedew immer, bei Interviews ist auf seinen Computern aber jeweils nur die Kreml-Website zu sehen. Unbeabsichtigt zeigte Telekanal Rossija, dass der Präsident Lenta.ru liest.”

5. “asdfjklööö, oder: The Beauty of Blindtext”
(sehsucht.wordpress.com)
Die Sonntag bz bringt Blindtext auf die Titelseite.

6. “Mission Accomplished Mister President!”
(theamericanpoint.blogspot.com)
“Eine ganz persönliche Hitliste von ‘Elf Dingen, für die George W. Bush in die Geschichte der USA eingehen wird’.”

Die Hasselhoffnung stirbt zuletzt

Es gibt Meldungen, die gehen um die Welt. Wie die Geschichte von Sänger und Schauspieler David Hasselhoff, der sich an dem Tag, an dem er das Sorgerecht für seine beiden Töchter zugesprochen bekam (unter anderem durch das Versprechen, nicht mehr zu trinken), wieder betrank, über die Tische stolperte, und später, als Freunde ihm weiteren Alkohol verweigerten, anfing, wild zu randalieren. Die Geschichte stammt aus der notorisch unzuverlässigen britischen Boulevardzeitung “Sun” und fand weite Verbreitung. Bild.de informierte seine Leser über Hasselhoffs “schweren Alkohol-Rückfall” in einem ausführlichen Artikel am 19. Juni 2007. Die gedruckte “Bild”-Zeitung brachte am folgenden Tag eine Meldung unter der Überschrift “Hasselhoff randaliert im Suff”.

Es gibt Meldungen, die gehen nicht um die Welt. Wie die Geschichte von Sänger und Schauspieler David Hasselhoff, der dementiert, sich an dem Tag, an dem er das Sorgerecht für seine beiden Töchter zugesprochen bekam (unter anderem durch das Versprechen, nicht mehr zu trinken), wieder betrunken zu haben. Hasselhoff kündigte an, gegen die “Sun” vorzugehen. Nur wenige Tage nach dem Erscheinen entfernte die “Sun” den Artikel von ihrer Homepage. Im August 2007 verurteilte ein Londoner Gericht die Klatschzeitschrift “OK”, die ähnliches behauptet hatte, zur Zahlung von Schmerzensgeld an Hasselhoff. Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte die “Sun” eine “Entschuldigung” an Hasselhoff und erklärte, dass er an dem Abend weder Alkohol getrunken noch andere Gäste belästigt habe.

Von dieser Geschichte hat die “Bild”-Zeitung bisher nichts für berichtenswert gehalten. Und die Falschmeldung ist weiter online.

Trampelwerbung

“Spießer Alfons” hat “Promi-Werbung vom Allerfeinsten!” in der “Bild”-Zeitung entdeckt. In dem Artikel geht es um Joachim Fuchsberger, den “Bild” auf “einer Party in München” getroffen hat. Es geht um ein “Wunderwerk der Technik”, wie “Bild” Joachim Fuchsberger unter der Überschrift “Schau mal, das ist mein neues Hörgerät” sagen lässt. “Spießer Alfons” schreibt:

Und dann folgt ein Werbetext, wie ihn kein Agenturtexter hätte besser formulieren können. Das Loblied aufs Hörgerät wurde geschrieben von Mark Pittelkau, einem Werbetexter von BILD, der es faustdick hinter den Ohren hat. (…) Und damit der schwerhörige BILD-Leser auch weiß, um welches Hörgerät es sich handelt, wird das “Wunderwerk der Technik” noch einmal extra abgebildet. Ein Foto des Herstellers, versteht sich, denn schließlich handelt es sich hier um Werbung. Dazu der Name des Produktes, der Preis und technische Angaben.

Tatsächlich dreht sich der gesamte Text Pittelkaus ausschließlich um dieses Hörgerät. Hier ein kleiner Auszug:

"Dieses Gerät ist ein Wunderwerk der Technik", sagte Blacky Fuchsberger gestern zu BILD. "Ich habe es erst seit fünf Tagen und eine völlig neue Lebensqualität erlangt. Endlich kann ich selbst im tiefsten Partygewimmel jedes Wort meines Gegenübers verstehen und bei Konzerten auch die feinsten Frequenzen vernehmen."

Nachtrag, 25.11.2008: Bei Bild.de wurden die Artikel über das “Wunderwerk der Technik” inzwischen offenbar aus dem Angebot entfernt.

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