Archiv für November 20th, 2008

Die Ausländer machen uns unser Pisa schief

Während andere noch über die Aussagekraft der neuen Pisa-Studie streiten oder nach Ursachen für ihre Ergebnisse suchen, ist “Bild” heute schon einen Schritt weiter und präsentiert eine mögliche Lösung, wie man das Abschneiden Deutschlands verbessern kann:

Würden nur die Schüler, die deutsche Eltern haben, gemessen werden, schnitten alle Bundesländer im internationalen Bildungsvergleich deutlich besser ab — sieben wären unter den PISA-Top-Ten bei Naturwissenschaften (beim Lesen ist das Bild ähnlich).

“Bild” illustriert das mit einer Grafik (Ausriss rechts), die die deutlich schlechteren Ergebnisse von Kindern mit Migrationshintergrund noch extremer wirken lässt, weil die Skala nicht beil null beginnt, und stellt angesichts dessen die scheinbar naheliegende Frage:

Brauchen wir eine Ausländer-Quote für alle Schulklassen?

Natürlich, kommentiert die Seite “Lehrerfreund” süffisant, denn die Vorteile lägen auf der Hand:

Die deutschen SchülerInnen würden bessere PISA-Noten holen, und die Welt würde entzückt auf die Nation Goethens blicken. Außerdem könnte man in kleineren Klassen unterrichten, die Kosten für den Schulbetrieb würden sinken, und kein Mehmed würde mehr einem Fritz das Pausenbrot auf erpresserische Art und Weise entwenden.

In dieser idyllischen, rein deutschen Welt müsste man nurmehr das Problem lösen, was man mit den zahllosen Ausländerkindern macht. Sie in reine Ausländerklassen zu stecken brächte nichts – denn bei PISA wären sie wieder dabei und würden den Schnitt drücken. Alternativ könnte man ihnen einfach kategorisch den Zugang zur allgemeinen Schulbildung verwehren. Dann würden sie analphabetisch auf der Straße rumhängen, kiffen und alte Omas ausrauben — und die Boulevardpresse hätte eine neue Schlagzeile: “Brauchen wir eine Ausländer-Quote für alle deutschen Straßen?”.

Mit Dank an Berthold!

Nachhilfe für Franz Josef Wagner

“Ein schlechter Schüler”, sei er gewesen, und “nie bei der Sache”, schreibt “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner heute anlässlich der PISA-Ergebnisse an die “lieben klugen Sachsenschüler”, und wer möchte das bezweifeln?

Die erste Lokomotive der Welt, die Saxonia, wurde 1839 in Sachsen gebaut. ... Meine Bitte an Euch PISA-Sieger: Werdet keine Klugscheißer. Ich hasse Klugscheißer und Typen, die sich als Erste im Klassenzimmer melden.Herr Wagner, wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht.

Die schlechte: Auch mit der gestrigen Kolumne wäre Ihre Versetzung wieder gefährdet. Bei aller Euphorie, in die Sie sich angesichts der vielen sächsischen Erfindungen schreiben — die erste Lokomotive der Welt wurde nicht 1839 in Sachsen gebaut, wie Sie behaupten, sondern schon 35 Jahre zuvor in Großbritannien. Und den ersten modernen Büstenhalter ließ 1889 Herminie Cadolle patentieren — nicht in Sachsen, sondern in Frankreich.

Die gute: Sie sind aus der Schule raus, Sie dürfen spicken! Lassen Sie sich erklären, was ein Nachschlagewerk ist, oder suchen Sie sich eine Zeitung, die noch einmal über die Texte drüberguckt, die Sie schreiben. Doch, das ist erlaubt, und es tut gar nicht weh.

PS: Ist nicht schlimm, dass Sie “Klugscheißer” hassen. Wir mögen Sie auch nicht.

Mit Dank an Peter K. und — für den Nachtrag mit dem BH — Daniel, JMM, Yannick S. und Pawel S.!

Demut, Freischützentum, Reich-Ranicki

1. Interview mit Marcel Reich-Ranicki
(cicero.de, Christine Eichel)
“Ich stimme zu, das war keine originelle Äußerung von mir. Nur – keiner hat gewagt, es zu sagen, daher (lacht) diese ungeheure Aufregung! Dabei wissen wir doch: Die Intellektuellen werden vom Fernsehen ignoriert, bagatellisiert, vernachlässigt, deshalb ist das Programm so schlecht.”

2. “Brotlose Künstler”
(blogmedien.de)
“Geringe Einkommen, zunehmende Ausbeutung und schlechtes Image – ein Traumberuf sieht anders aus. Wer heute noch Journalist werden will, braucht vor allem viel Idealismus und große Bescheidenheit, wenn es um eigene Ansprüche geht.”

3. “Von hier aus regierst Du die Welt”
(neues-deutschland.de, Hanno Harnisch)
“David Montgomery hat den Aufsichtsratsvorsitz bei der Heuschrecke Mecom abgegeben.”

4. “Sind 75 Jahre Weltwoche genug?”
(weltwoche.ch)
Die Weltwoche wird 75 Jahre alt, feiert sich mit einem neuen Web-Auftritt und lässt sich gratulieren. Der Bitte nachgekommen ist zum Beispiel der ehemalige Chefredakteur der NZZ, Hugo Bütler: “Seit dem unsäglichen Kotau Köppels vor der SVP – ihr Parteipräsident Maurer wurde uns als ‘letzter Staatsmann’ angepriesen – hat die Weltwoche doch wieder etwas mehr Denkselbständigkeit gewonnen. Es gibt aber nach wie vor einen Überschuss an intellektuellem Freischützentum von Autoren, die sich kreuz und quer in der Landschaft dort positionieren, von wo sich auf einen gerade erkorenen Gegner am besten feuern lässt. Aber daneben stösst man auch auf viel Interessantes und gut Recherchiertes, das man als Leser nicht missen möchte. Unser Land verdient klärende Debatten zwischen kontroversen Standpunkten und Milieus.”

5. “Bundesrat Schmid und die Rolle der Medien”
(nzz.ch, ras.)
Rainer Stadler konstatiert in der Debatte Schmid, dass es keinen Grund gibt, dass Journalisten pikiert auf Angriffe reagieren, denn schliesslich würden sie selbst fast täglich Personen angreifen: “Deren Urteile sind manchmal geradezu erbarmungslos, manchmal auch verächtlich. Man zweifelt, wie gut Medienschaffende solche Zuschreibungen selber ertragen würden. Ein bisschen Demut würde niemandem schaden.”

6. Bild-Blattkritik mit Broder (und Kerner)
(bild.de, Video, 17:12 Minuten)
Henryk M. Broder und Johannes B. Kerner sitzen bei Kai D. Diekmann im kuschligen Bild D. Büro und plaudern miteinander über die neuste Ausgabe.

Anmerkung: Gegenüber einer früheren Version wurde ein Link (3.) ausgetauscht, da übersehen wurde, dass dieser Text von September stammt.