Archiv für Juni 2nd, 2008

Allgemein  

Steinzeitjournalismus

Die brasilianische Indianerbehörde FUNAI hat unlängst einige Fotos einer Indianergruppe im brasilianischen Amazonasgebiet öffentlich gemacht. Und “Bild”?

“ERKLÄRT DAS GEHEIMNISVOLLE DSCHUNGEL-VOLK”, was sonst?

"Die Urwald-Männer zähmen Spinnen"

Und ja, es ist wohl wirklich die “Bild”-Zeitung, die da am Samstag das Dschungel-Volk “erklärt” hat – auch wenn das Blatt selbst einen anderen Eindruck erweckte und sich gleich mehrfach auf “Dr. Jochen Schulz (50) von der Universität Leipzig” berief.

Schulz jedoch ist (wir kennen das) mit der Darstellung nicht besonders glücklich. Wie uns der Ethnologe auf Nachfrage sagt, handele es sich bei dem “Bild”-Artikel “um keine adäquate Darstellung” — zumal die “Bild”-Autoren “sehr viel dazugedichtet” hätten.

Dazugedichtet? Tatsächlich finden sich – zwischen zwei offenbar halbwegs korrekt wiedergegebenen Schulz-O-Tönen – zum Beispiel ganz nebenbei auch die Spinnen aus der Überschrift wieder:

Zudem halten sie [die Indios] sich Jagdhunde, zahme Vögel und sogar Vogelspinnen.

Von ihm, so Schulz, stamme diese Erklärung nicht. Ganz abgesehen davon, dass selbst die FUNAI betont, “eigentlich sonst nichts von diesen Indios” zu wissen, ist dem Experten nach eigenem Bekunden insbesondere von gezähmten Spinnen als Indio-Haustieren schlichtweg “nichts bekannt”. Und eine Quelle für die offenbar ganz und gar abwegige Behauptung gibt “Bild” nicht an.

Auf die Frage von “Bild”, mit welcher Kulturstufe das Leben der Indianergruppe zu vergleichen sei, habe Schulz übrigens davor gewarnt, “um Gottes willen nicht mit Begriffen wie ‘Steinzeit’ zu operieren” – mit, nun ja, mäßigem Erfolg:

"Steinzeit-Menschen entdeckt!"

Mit Dank auch an Dominic I.

Allgemein  

Heiß, hüllenlos – und 13

Im Sommer 2003 suchte die “Bild”-Zeitung das “Sommer-Girl 2003”. Täglich zeigte sie auf ihrer ersten Seite eine junge Frau, die die Jahreszeit als Vorwand nutzte, wenig Kleidung zu tragen, und schrieb Sätze dazu wie:

Die Hitze lässt die Knospen sprießen… Aileen (17) zeigt uns ihre schönsten Seiten des Sommers.

Bei allen Kandidatinnen gab “Bild” wie bei Aileen das Alter an: Susan war (18), Jasmin (23), Doreen (18), Aicha (23), Bea (22). Am Ende gewann Sakina (27).

Sämtliche Kandidatinnen hatten ein Alter — bis auf die erste: Melanie aus Leipzig.

Allerdings hätte “Bild” auch schwerlich das richtige Alter des halbnackten Mädchens angeben können: Melanie war 13.

Der Chefredaktion sei das Alter des Mädchens damals nicht bekannt gewesen, sagte ein Sprecher der “Bild”-Zeitung gegenüber dem “Spiegel”, der in seiner aktuellen Ausgabe über die erst jetzt “durch eine Indiskretion” bekannt gewordene Angelegenheit berichtet. Laut “Bild” sei das Foto gegen Honorar und mit schriftlicher Zustimmung der Mutter des Mädchens veröffentlicht worden. Nun habe man das Bild aber aus dem Archiv gelöscht, um eine erneute Veröffentlichung auszuschließen.

Warum die “Bild”-Zeitung völlig entgegen ihrer Gewohnheit bei der 13-jährigen auf eine Altersangabe verzichtete, wissen wir nicht. Im Nachhinein wirkt auch der Text beunruhigend treffend, mit dem sie den fünften Teil der “Sommer-Girl”-Serie bestritt:


Wer sagt eigentlich, dass nur die ganz jungen Mädchen Chancen haben, das BILD-Sommer-Girl 2003 zu werden?

Kurz korrigiert (463-468)

Der Eurovision Song Contest vergangene Woche hatte nicht “nur 3,47 Millionen” Zuschauer und “11 Prozent Marktanteil”, sondern 6,38 Millionen Zuschauer und 27,9 Prozent Marktanteil.

 

Thomas Hermanns hat den deutschen Vorentscheid zum Grand-Prix nicht seit 2005, sondern erst seit 2006 moderiert (2005 moderierte Reinhold Beckmann).

 

Auch wenn sich Bild.de-Kolumnist Alex von Roon anders erinnert (und nur 20 Minuten entfernt wohnt): Die Indiana-Jones-Achterbahn steht nicht in den Universal Studios, sondern im Disneyland.

 

Wenn der Kandidat bei “Schlag den Raab” “um 1.27 Uhr siegte”, war das nicht, wie Bild.de scheinminutiös protokolliert, “nach nervenaufreibenden fünf Stunden und 27 Minuten”, sondern nach nervenaufreibenden fünf Stunden und 12 Minuten.

 

Das ist nicht das belgische Brügge, sondern der Stadtteil Bryggen im norwegischen Bergen.

 

Und das ist nicht der kleine Skoda Fabia Greenline, sondern der große Skoda Superb.

Aber das nur am Rande.

Mit Dank an eko, Andre M., Joachim, Gregor G., Nat, Christian E. und Chris B.!

Nachtrag, 3. Juni. Die Redaktion von Bild.de hat sich in ihrer unergründlichen Weisheit dafür entschieden, die letzten beiden Fehler zu korrigieren, die vier anderen aber weiter zu verbreiten.

6 vor 9

Interviews zur Zukunft des Journalismus (Video)
(MAZ)
Statt hochtrabender (und seien wir ehrlich: leicht peinlicher) High-Tech-Träumereien zeigt der Beitrag der Schweizer Journalistenschule MAZ zur Springer-Tagung “Journalismus 2018” drei kluge Interviews. Mathias Menzl (78s.ch), Christoph Lüscher (Facts 2.0) und Stefan Seydel (Rebell.tv) erzählen, was sie im Internet machen und was noch kommen wird.

Aufklärung für Intellektuelle: 20 Jahre Lettre
(taz, Nina Apin)
“Sperriges Format, anspruchsvoller Inhalt, sehr viel Text. […] Kosmopolitisches mit europäischem Akzent heißt das Konzept, alle Texte sind deutsche Erstveröffentlichungen. Rein publizistisch ein Wahnsinn.”

Google News mit Nazi-PR
(Neues Deutschland, Carsten Hübner)
“Faschistische Seiten im Internet sind endlos zahlreich. Doch bei einem scheinbar neutralen Nachrichtenportal wie Google News?”

Comedia gegen Verleger im Presserat
(persoenlich.com)
Weil die Schweizer Verleger nicht über einen Gesamtarbeitsvertrag verhandeln, sollen sie auch nicht in den Presserat, fordert die Mediengewerkschaft Comedia.

Blogs sind auch nicht mehr das, was sie mal waren
(Süddeutsche Zeitung, Niklas Hofmann)
Gerade noch an der Blogbar, schon in der Zeitung: “Selbstreflexion als Daseinszweck? Die Stars der deutschen Blogszene schmoren im eigenen Saft, diagnostiziert ausgerechnet der meinungsstarke Don Alphonso.” Und klar: Bloß keine Links setzen, das schadet noch der Qualität.

Auslandskorrespondenten unzufrieden
(Frankfurter Rundschau, Daniel Bouhs)
Eine 533-Seiten Studie über Deutsche Korrespondenten im Ausland wird vorgestellt – die ihre Heimatredaktionen heftig kritisieren. “In den Zentralen heißt es hingegen, viele dieser Kollegen seien nicht in der Lage, Entwicklungen auf den Punkt zu bringen.”