Archiv für Dezember 19th, 2007

Konkurrenten im Kampf um den primitiveren Witz


Martin Sonneborn, 42, ist (obwohl “Bild” das noch im November behauptete) schon seit zwei Jahren nicht mehr “Titanic”-Chefredakteur, sondern Mitherausgeber. Und darüber, “wie die TITANIC einmal die Fußball-WM 2006 nach Deutschland holte”, hat er ein Buch geschrieben. Sonneborn ist Bundesvorsitzender der Partei DIE PARTEI, die vor der Bundestagswahl 2005 die Sendezeit für ihre WahlwerbeSpots bei Ebay versteigerte. Heute arbeitet er u.a. für die Satire-Rubrik von “Spiegel Online”, “Spam”, wo er auch in den Kurzfilm-Reihen “Hinterbänkler heute” und “Heimatkunde” zu sehen ist.
Auf Sonneborns Wunsch veröffentlichen wir seinen Gastbeitrag in alter Rechtschreibung.

Von Martin Sonneborn

Eins vorweg: Ich schätze Kai Diekmann und sein Blatt. Und das nicht nur, weil wir vieles gemeinsam haben. Diekmann ist Herausgeber der “Bild”-Zeitung — also nicht der neubebilderten “FAZ”, sondern der anderen –, und ich bin Mitherausgeber von “Titanic”. Auch wenn wir ständig Konkurrenten sind im Kampf um die lustigere Schlagzeile, den primitiveren Witz, so arbeiten wir doch seit Jahren erfolgreich mit “Bild” zusammen. Der Markt in Deutschland ist groß genug für zwei Satiremagazine! Und den “Focus” auch noch!

Bisher ist zum Glück kaum aufgefallen, daß wir uns mit dem Blatt des “9-cm-Mannes”, wie ihn selbst enge Freunde nicht offen nennen, perfekt die Bälle zuspielen. Als wir mit ein paar spaßigen Faxen Einfluß nahmen auf die Vergabe der Fußball-WM 2006, war “Bild” sich am nächsten Tag nicht zu schade, ein Foto von mir auf die Titelseite zu nehmen, meine Telefonnummer und die Aufforderung, doch mal anzurufen und mir die Meinung zu geigen. Von der zufällig mitgeschnittenen CD “Bild-Leser beschimpfen Titanic-Redakteure live am Telefon” wollten die Kollegen nicht mal Tantiemen! Und das, obwohl einige hundert ihrer besten Leser über sich hinaus wuchsen: “Im Rechtsstaat gehören Leute wie Sie ins KZ!”; “Man sollte Sie auswandern!”; “Vaterlandsverräter!”; “Ihnen gehört die Satire-Lizenz entzogen!”

Die Lizenz behielten wir aber und revanchierten uns u.a. mit der Erfindung des schreibenden “Bild”-Lesers (heute als “BILD-Leser-Reporter” bundesweit im Einsatz). Bei der genußintensiven Lektüre der “Bild”-Leserbriefspalte fällt ja schnell auf, daß sich die Zuschriften in ihrer Sprachgewalt nicht wesentlich vom redaktionellen Teil abheben. So riefen wir bei ausfindig gemachten Leserbriefschreibern an und baten — der Einfachheit halber gleich im Namen der “Bild”-Chefredaktion — um einen gepfefferten druckreifen Kommentar zu irgendwas für die nächste Ausgabe. Die Ergebnisse druckten wir dann in “Titanic”, sie haben uns viel Freude bereitet.

Kommentar Karl H., Münster:
Ist die SPD ein Auslaufmodell? Die SED sang die Internationale, ist weg vom Fenster. Die KPDSU sang die Internationale, ist weg vom Fenster. Wie lange singt die SPD noch die Internationale?

Na? Klingt fast wie “Post von Wagner”, was?

Immer im Gleichschritt mit “Bild” (Trittin! Schröder!) prügelten wir (Problembär Beck!) mit “Titanic”-Titeln jahrelang auf die Sozis ein, unterstützen dekadenlang erst Kohl (“Nach Arschbombe halb Asien überflutet: Massenmörder Helmut Kohl!”), dann das Merkel (“Darf das Kanzler werden?”), polemisierten gegen Ausländer (“Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?”; “10 Jahre sind genug: Auf Wiedersehen, Zonis!”) und druckten gleich seitenweise irgendwelchen unseriösen Quatsch.

In schweren Zeiten spendeten die Schlagzeilen der Hamburger Kollegen uns oftmals Trost und Rat: “Amokläufer erschießt vier Kollegen” — “Da dürften die Straßen jetzt wohl für eine Weile sicher sein”, dachten wir beruhigt und revanchierten uns gerade kürzlich mit dem großen, abgeschlossenen Fotoroman “Der Volks-Penis”, in dem ein für allemal in Wort und Bild klargestellt wird, daß Diekmann eben nicht total klein ist, untenrum.

Übrigens: Daß wir mit der “irren Titanic-PARTEI” (“Dresdner Morgenpost”) jetzt in Hamburg zur Landtagswahl antreten und mit unserem Spitzenkandidaten Heinz Strunk “Bild raus aus Hamburg!” fordern, ist nur eine populistische Forderung, die uns Stimmen bringen soll. Man wird das hoffentlich nicht persönlich nehmen — ich habe das Gefühl, was den Umzug anbetrifft, verstehen sie bei Springers einen guten Spaß. Und wenn nicht? Egal, notfalls gewinnen wir — und das unterscheidet uns vom Spitzenkandidaten der SPD, Alfred E. Naumann — die Wahl eben auch ohne Unterstützung der Springer-Presse!

Zum Schluß möchte ich aber auch eine kurze Kritik äußern, schließlich habe ich mir heute extra “Bild” gekauft und unter — ich nehme mir die Freiheit, Kai — Freunden muß das erlaubt sein: Für meinen Geschmack heben sich manchmal die Überschriften zu wenig vom Text der Fickanzeigen hinten ab:

Ich hab mir meinen Hund auf die Brust tätowiert. Sandy (21) — Mein Arsch gehört Dir. Resi (69) ist noch geil

Stünde nicht aus Versehen Resis Telefonnummer dabei, man könnte Anzeigen und redaktionelle Inhalte glatt verwechseln…
 
BILDblogger für einen Tag ist morgen ein BILDblog-Leser.

6 vor 9

Die Samariter-Definition der “Süddeutschen Zeitung”
(Indiskretion Ehrensache, Thomas Knüwer)
Schon am Montag erschienen, aber Pflicht: Thomas Knüwer hat sich internetvictims.de genauer angesehen, eine Website, deren Macher recht wohlwollend vom sueddeutsche.de-Mann Bernd Graff interviewt wurde. Und Knüwer fand: Eine Sex-Hotline und noch ein paar andere unerfreuliche Dinge.

Die dubiose Geschichte vom eingeritzten Hakenkreuz
(Spiegel Online, Florian Gathmann)
“Der Fall löste Entsetzen aus: Im sächsischen Mittweida hätten Rechtsradikale ein Mädchen überfallen, der 17-Jährigen ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt. Nun gibt es erhebliche Zweifel an der Geschichte. Möglicherweise gab es gar keinen Überfall.”

Brandon’s History Of Online BBC
(BBC Internet Blog, Brandon Butterworth, gefunden bei Alexander Svensson)
“We set up www.bbc.co.uk and started playing with mostly laughable content until we found a few like-minded people around the BBC who had more time and material for producing content.” – Brandon Butterworth erzählt, wie die BBC ins Netz ging.

Zeitgenössisches Contentmanagement – Was will der Spiegel von Wikipedia?
(FR Online, Christian Schlüter)
“Offenbar sollen hier die Erträge eines “guten Journalismus” mit den Inhalten eines diffusen, weitestgehend dezentralen und auf freiwilliger Basis organisierten Mitmachprojekts vermischt, verwässert, wenn nicht gar verhunzt werden. Oder auch nicht.”

?Google ist nicht gut genug?
(FAZ, Roland Lindner)
Wikipedia will Google mit einer Suchmaschine Konkurrenz machen (und das übrigens nicht erst, seitdem Google seine Wissensplattform Knol angekündigt hat).

“Die Zeitung ist ein in sich übersichtlicher Kosmos”
(dradio.de)
“Frank Schirrmacher sieht die Print-Medien nicht durch das Internet bedroht. Beide Medien würden sich ergänzen, glaubt der Herausgeber der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”. (…) Allerdings gebe es eine allgemeine Tendenz, die den Qualitätsjournalismus bedrohe.”