Archiv für November 29th, 2007

Allgemein  

Irrer Presserat terrorisiert “Bild”

Es entspricht fairer Berichterstattung, vom Deutschen Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrucken, insbesondere in den betroffenen Publikationsorganen.
(Ziffer 16, Pressekodex)

Es ist ja nicht so, als würde die “Bild”-Zeitung vom Presserat gegen sie ausgesprochene Rügen immer nur Monate später ganz verstohlen, möglichst unauffällig im Blatt platzieren. Heute zum Beispiel berichtet “Bild” ziemlich ausführlich und prominent auf der Seite 2 platziert darüber, dass sie vom Presserat wegen ihrer Berichterstattung über Khaled al-Masri gerügt wurde:

"Irre! Presserat rügt BILD wegen dieses Brandstifters"

Zur Erinnerung: al-Masri (der übrigens für “Bild”-Chef Kai Diekmann persönlich ein Beispiel für den “großen Selbst-Betrug” der Deutschen ist, das ihn besonders erregt) soll vom amerikanischen Geheimdienst nach Afghanistan verschleppt, dort misshandelt und monatelang festgehalten worden sein. Nachdem der offensichtlich unter psychischen Problemen leidende al-Masri später in Deutschland einen Großmarkt angezündet hatte, wurde er in die Psychiatrie eingewiesen. “Bild” nannte ihn mehrfach “irre” und einen “durchgeknallten Schläger” (wir berichteten). Der Presserat sah darin eine Verletzung der Ziffern 8 und 9 des Pressekodex, weil “Bild” das Persönlichkeitsrecht “des offenkundig kranken al-Masri” verletzt und “in ehrverletzender Art und Weise” das Verhalten eines psychisch Kranken dargestellt habe (wir berichteten).

Und so berichtet “Bild” in ihrer heutigen Ausgabe über die Rüge:

Auch privat sorgte der Sozialhilfeempfänger [al-Masri] für Schlagzeilen: Einen Mitarbeiter der Dekra attackierte er, der Geschäftsführerin eines Elektromarkts spuckte er ins Gesicht. Später zertrümmerte er mit einem Beil die Eingangstür des Markts, goss Benzin aus und legte Feuer. Schaden: rund 500000 Euro. Anlass war ein Streit über einen defekten MP3-Player.

Wir haben darüber berichtet — unter der Überschrift “Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren?”. Und gefragt, ob al-Masri noch ganz richtig im Kopf sei. Dafür wurden wir nun vom Presserat gerügt.

Wir stehen zu unserer Darstellung. Ein gewalttätiger, bei geringsten Anlässen ausrastender Brandstifter, der sich laut Verfassungsschutz nahe der islamistischen Szene bewegt, bleibt für uns ein gewalttätiger und durchgeknallter Brandstifter.

Wir werden unsere Berichterstattung nicht weichspülen — so wenig wie bei Hasspredigern, Nazis oder sonstigem durchgeknallten Gesindel.

Wer sich selbst als “psychisches Wrack” bezeichnet, den deutsche Sozialbehörden “zu seinen Straftaten getrieben”* (!) hätten, muss es hinnehmen, dass wir fragen**, ob er irre ist.

Welchem ehrenwerten Staatsbürger der Presserat zur Seite springt, sei noch einmal kurz zusammengefasst: (…).

Tatsächlich wurde “Bild” nicht “nun” vom Presserat gerügt, sondern vor über zwei Monaten. Und abgesehen davon, dass hier die Auffassung durchscheint, der Pressekodex sollte nur für “ehrenwerte Staatsbürger” gelten, fragt man sich, ob “Bild” die Rüge und Richtlinie 8.4 des Pressekodex verstanden hat. Dort heißt es:

Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn (…) soll die Presse in solchen Fällen (…) abwertende Bezeichnungen der Krankheit oder der Krankenanstalt, auch wenn sie im Volksmund anzutreffen sind, vermeiden.

Das Erstaunliche ist, dass der heutige “Bild”-Artikel nach Ansicht des Presserates der Pflicht zum Abdruck einer Rüge nach Ziffer 16 Pressekodex genügt. Das bestätigte uns der Geschäftsführer Lutz Tillmanns. Man könne eine Zeitung schließlich nicht zwingen, der gleichen Meinung zu sein wie der Presserat. Und eine ausführliche Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Presserats sei ja auch sinnvoll.

Natürlich könnte man auch diesen “Bild”-Artikel jetzt wieder vom Presserat prüfen lassen; zum konkreten Beschwerdeverfahren sagt Tillmanns aber:

Dieser Fall ist für den Presserat erledigt.

*) “Bild” selbst hatte im Mai dieses Jahres geschrieben, al-Masris Anwalt Manfred Gnjidic habe sich so geäußert. Uns sagt Gnjidic jedoch, sowas habe er “mit Sicherheit nicht gesagt”.

**) “Fragen”?

Nachtrag, 30.11.2007: Auch die “Süddeutsche Zeitung” und die “taz” berichten heute über die Rügen-Berichterstattung der “Bild”-Zeitung.

Keine Zensur. Redigatur.

Die Werbewoche hat heute einen guten Tag mit mehreren lesenswerten Beiträgen: Christoph Keese äussert sich zur Zensurdebatte vom Mai, Markus Knöpfli zählt Gratisleser auf der Strasse und Oliver Fahrni erklärt die Medienökologie. Da verweisen wir doch gerne mal gesondert drauf.

– In einem langen Wocheninterview kommt Christoph Keese, Chefredakteur von Welt Online und Welt am Sonntag, nochmals auf das im Mai 2007 gelöschte Posting von Welt am Sonntag-Kommentarchef Alan Posener zurück. Er, der gemäss Werbewoche “als Artist zwischen Print und Online” tanzt, sagt nun dazu:

Ja, ich habe ihn vom Netz genommen, weil ich ihn für unveröffentlichbar hielt. Das aber ist keine Zensur, sondern Redigatur – ein normaler redaktioneller Vorgang. Wesensmerkmal des Bloggens ist, dass der Blogger niemanden fragt, bevor er sendet. Wir hatten – es gibt mittlerweilen ein Fachwort dafür – Brand-Blogs auf der Seite, also Blogs, die unter der Dachmarke Welt.de laufen. Solche Brandblogs müssen aber zur Marke passen. Den fraglichen Text hätte ich in der Zeitung nicht gedruckt – nicht, weil er Diekmann kritisierte, sondern weil er sprachlich und argumentativ nicht unserem Niveau entsprach. Deswegen konnte der Text auch nicht online erscheinen. Übrigens haben wir eine lebhafte, durchaus kritische Debatte über Diekmanns Buch in Zeitung und Internet geführt, aber eben in der Art und Weise, wie eine Qualitätszeitung das tun sollte.

Der Aufschrei damals war gross, aber dass Alan Posener Ende Oktober in drei Teilen einen neuen Versuch gewagt hat (oder dazu verknurrt wurde), Kai Diekmanns Werk auseinanderzunehmen, hat kaum jemand gemerkt (wahrscheinlich, weil niemand Welt Online liest – die können sogar ihr Design überarbeiten, ohne dass es jemand beachten würde…).

Read On…

6 vor 9

Killerspiele im TV: Ein 21-Jähriger zeigt ARD und ZDF, wie man sachlich berichtet
(jetzt.sueddeutsche.de, Dirk von Gehlen)
Auf YouTube sorgt gerade ein zehnminütiger Angriff auf ARD und ZDF für Aufsehen: Killerspiele in ARD, ZDF und WDR heißt der Clip, in dem der 21-jährige Matthias Dittmayer den Sendern mit einfachen Mitteln beweist, wie irreführend und verfälschend sie zum Teil über das Thema Computerspiele berichten. Der Bremer Student der Rechtswissenschaften unterzieht dabei die Sendungen Panorama, Hart aber Fair, Kontraste und Frontal 21 einer journalistischen Prüfung, stellt Fakten richtig und bewertet Behauptungen, die getroffen werden.

Verleger planen neues “Meta-Portal” für Regionalzeitungen
(persoenlich.com, David Vonplon)
Nicht nur in Deutschland, auch in der Schweiz macht man sich Gedanken über die “Zukunft der Regionalzeitungen im Internet”. Nachdem Tamedia und BZM die Lancierung eines Online-Netzwerks angekündigt haben, geht ein Verbund weiterer Verlagshäuser — unter den Initianten sind die NZZ Gruppe und die MZ — in die Offensive. Der Verbund will die Inhalte verschiedener Regionalzeitungen auf einem titelübergreifenden Portal bündeln. Ob das Projekt realisiert wird, entscheidet sich Mitte Dezember.

Krass ist online, zart ist Print
(woz.ch, Ulrich Stock)
Das Schreiben über Musik im Internet bietet für AutorInnen, LeserInnen und Verlage neue Perspektiven und Hörvergnügen, mindestens wenn das Problem mit dem Geld gelöst ist.

Das kurze Leben der Gratiszeitung
(berlinonline.de, Miriam Müller)
An sinkender Auflage sind Kaufzeitungen selbst schuld.

Schirrmacher. Mosebach. Löffler. Greiner. Spiegel. Winkler. Jäger. Semler. Heni. Und Krause.
(jungle-world.com, Peter Dierlich)
Ein Rückblick auf den Debattenherbst 2007, nebst einem dringenden Aufruf.

Medial Beschleunigt
(schnelligkeit.twoday.net)
Tagesspiegel-Online-Chefredakteurin Mercedes Bunz bloggt live von den 8. Berliner Mediengesprächen der Evangelischen Medienakademie.