Archiv für November 28th, 2007

Wagner spielt Stadt, Land, Fluss (ohne Fluss)

Man kann das ja bewundern, wie Franz Josef Wagner es schafft, von irgendeiner aktuellen Nachricht aus seine Gedanken auf Reisen zu schicken, für die niemand außer ihm Tickets zu bekommen scheint, und uns als Passagiere mitzunehmen in eine fremde Welt, ein Nicht-ganz-Paralleluniversum, das sich mit dem, was wir Realität nennen, in einem einzigen Punkt kreuzt: dem Gehirn von Franz Josef Wagner.

Und wenn er heute über den Erfolg der RTL-Doku-Soap “Bauer sucht Frau” sinniert und den Gegensatz zwischen dem Milchbauern Michael vom Bodensee und der Fußpflegerin Bianca als Ausgangspunkt nimmt und schreibt:

Du, Bauer, verkörperst das Ideal: Die Sonne geht auf, der Hahn kräht, der Bauer steht auf.

Du, Bianca, verkörperst das Gegenteil. Du kommst aus der Stadt. In einer Stadt leben Penner. Du hast ein graues Gesicht, Du stehst in der U-Bahn, S-Bahn, Du frierst, niemand umarmt Dich. Der Wind rüttelt durch Deine Kleidung.

…dann haben diese Worte in all ihrer abstoßenden Schönheit natürlich eine innere Wahrheit, die völlig unabhängig davon ist, dass Bianca aus einer Stadt namens Geisingen stammt, die mit ihren 6000 Einwohnern nur unwesentlich belebter ist als Wagners Wohnort Paris-Bar, und heute in einer “kleinen Gemeinde bei Singen” wohnt, einem Mittelzentrum, von dessen 45.000 Einwohnern vermutlich diejenigen am meisten im Rüttelwind frieren, die täglich an der Bushaltestelle darauf warten, dass mal eine U- oder S-Bahn vorbei kommt (Penner optional).

… und das in den Pyramiden sind Comics

Alex von Roon ist offenbar Schauspieler. Und Bild.de-Kolumnist. Als solcher schreibt er in der Rubrik “Hollywood Intern” beispielsweise über “Party-Nächte mit Paris & Britney”, über den “jüngsten Promi-Jäger der Welt”, über seinen “Talk mit Teri Hatcher” oder darüber, “wo die A-Stars schlemmen”.

Kürzlich hat von Roon “Grendels nackte Mutter” Angelina Jolie getroffen und für Bild.de ein blumiges Rührstück darüber geschrieben (“Frauen verachten sie ob ihrer Schönheit, Männer folgen ihrer Aura wie Motten dem Licht”). Zu Beginn des Artikels allerdings geht’s um Fakten:

Grendel? — Dahinter verbirgt sich die Geschichte um “Beowulf”, ein Phantasie-Buch, das in Hollywood kürzlich verfilmt wurde und derzeit die amerikanischen Kinokassen klingeln lässt.

Ein “Phantasie-Buch”?! Was auch immer von Roon damit meint: Es dürfte der Tatsache nicht wirklich gerecht werden, dass es sich bei “Beowulf” um ein vermutlich im 8. Jahrhundert entstandenes episches Heldengedicht in angelsächsischen Stabreimen mit 3.182 Versen handelt, das laut Wikipedia das “bedeutendste erhaltene Einzelwerk angelsächsischer Sprache” ist.

Wäre von Roon nicht erst seit 2007 Bild.de-Kolumnist, er hätte womöglich über “Troja” geschrieben, der Film basiere auf einer ollen Abenteuer-Geschichte, “Die Passion Christi” sei eine krude Bestseller-Verfilmung und “Drei Nüsse für Aschenbrödel” eine Groschenroman-Adaption. Um die Leser nicht mit unnötiger Allgemeinbildung zu belasten.

Mit Dank an Markus S. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 1.12.2007: Bild.de-Kolumnist Alexander von Roon fühlt sich missverstanden und teilt uns mit, der “Beowulf”-Regisseur Robert Zemeckis habe basierend auf dem Heldengedicht “einen Film gedreht und selbst eingestanden, viel Phantasie bei der Umsetzung verwandt zu haben. Soviel Phantasie, dass er insgeheim hofft, die Literaturwelt mit seiner Version zu verblüffen.” Nach von Roons Ansicht “gehören derartige Hintergründe nicht in eine Kolumne, daher die Abkürzung ‘Phantasiebuch’.”

6 vor 9

Bunz: Nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen
(dwdl.de, Jochen Voß)
Sie zieht Bilanz und blickt nach vorn: tagesspiegel.de-Chefredakteurin Mercedes Bunz blickt im DWDL.de zurück auf das erste halbe Jahr des neuen tagesspiegel.de, spricht über die Zusammenarbeit mit der Print-Redaktion und erklärt ihre Vision für den Online-Journalismus nach Web 2.0.

«Die Haltung beim Blick wird offener werden»
(werbewoche.ch, Carole Scheidegger)
Die Blick-Gruppe streicht Stellen, will aber gleichzeitig mehr investieren. Blick-Chefredaktor Bernhard Weissberg gibt Auskunft über Sparmassnahmen, inhaltliche Verlagerungen und die unvoreingenommene politische Haltung, die der neue Blick pflegen will.

Tip & Zitty sourcen ihre Kernkompetenz aus
(taz.de/blogs/reptilienfonds, Heiko Werning)
Die Berliner Stadtmagazine Tip und Zitty lassen sich ab 2008 ihre Veranstaltungstipps von der Cine Marketing GmbH organisieren. Die verlangt dann von den Berlinern Veranstaltern 30 Euro im Jahr – damit die Veranstaltung überhaupt im Blatt steht.

Fernsehen statt Fantasie
(dradio.de, Henning Hübert)
Die Erlebniswelt vieler Jugendlicher wird durch die Medien bestimmt.

Oliver Gehrs – Das DUMMY-Konzept (Tipp)
(sevenload.de, Video, 88:25 Minuten)
Dummy-Chefredakteur Oliver Gehrs spricht fast eineinhalb Stunden am Medienforum Mittweida, unter anderem darüber, dass man den Stern im Stadtbild nie sieht, den Spiegel aber dauernd.

Behind the scenes of The New York Times? integrated newsroom
(cyberjournalist.net, Video, 3:07 Minuten)