Archiv für November 21st, 2007

Medienjournalismus nach Art des Hauses

Peter Heinlein, 56, ist so eine Art Söldner der Medienbranche. Er stand unter anderem schon in den Diensten von “Spiegel”, “Welt am Sonntag”, “Handelsblatt”, “Bunte” und “Max” und zeichnete sich immer durch Artikel über die Medien- und Werbebranche aus, Ausriss: Bild.dedie seine jeweiligen Auftraggeber ganz besonders glücklich machte. Er hatte keine Skrupel, seine Kolumnen ganz in den Dienst der Verlagsinteressen zu stellen, egal, ob das bedeutete, besonders gehässig über die Konkurrenz zu lästern, besonders üppig die eigenen Erfolge herauszustellen oder besonders ungeniert den Werbekunden zu schmeicheln.

Für die “Bunte” porträtierte er vor einigen Jahren in einer großen Reihe Werber. Die Artikel hatten programmatische Überschriften wie “Das ist ein wirklich kluger Kopf!”, “Der Hugh Grant der Werbung”, “Dieser Typ ist ‘ne echte Marke”, “Ein Turbo-Werber macht Druck” oder “Der smarte Werbe-Künstler”. Für “Max” schrieb er über die Agentur Crispin Porter + Bogusky (“von der die derzeit beste Werbung der Welt kommt”), die Agentur Jung von Matt (“Deutschlands beste Werbeagentur”), die Agentur Heimat (“der kreativste Werberladen Deutschlands”).

Heinlein in seiner Doppelrolle als Medienkolumnist und Verlagssprecher:

“Viele Websites bieten inzwischen bewegte Bilder an. Aber bei Bild.T-Online gibt’s ab sofort eine eigene Web-TV-Show. BILD live sendet zweimal täglich das Neueste von Stars aus Entertainment und Sport.

Das neue Videoformat wird von meiner Hamburger Kollegin Julia Josten präsentiert. Dazu wählt die Online-Redaktion in Berlin das Interessanteste aus der Fülle des internationalen Themenangebotes aus. (…) Es macht richtig Spaß, [mit dem Videoplayer] durch die aktuellen Newsfilme zu “blättern”, sich Kinotrailer, Musikclips oder Videos der Community auf den Schirm zu holen.”

Quelle: Bild.de

Vor gut drei Jahren ist er mit seiner Medienkolumne zu “Bild” gezogen, und man kann nicht sagen, dass ihn ein Rückgrat bei der Arbeit behindere. Er scheut sich zum Beispiel nicht, Interviews anderer Leute so auf Links zu krempeln, dass sie sich als Lob auf die Zeitung verkaufen lassen, für die Heinlein schreibt (wir berichteten). Wenn er für Bild.de über Probleme bei der Münchner “Abendzeitung” berichtet, flicht er, wie als Erklärung, den Satz ein: “Modernen Boulevard bietet in München die BILD-Zeitung.” Und zur Post und ihrer neuen Konkurrenz durch die PIN-AG fällt ihm zufällig exakt das ein, was auch Linie der Axel-Springer-AG ist, der die PIN-AG gehört, was für Heinlein aber anscheinend keine für die Leser relevante Information darstellt.

Heinlein kann nicht nur positiv. Wenn es um die (auch von Chefredakteur Kai Diekmann nicht geschätzte) “Zeit” geht oder den Verlag Gruner+Jahr, findet er gern ein böses Wort, und den “Geo”-Chef Peter-Matthias Gaede scheint er besonders wenig leiden zu können:

Bevor der gern kritische Journalistik-Papst des Hauses Gruner + Jahr und König der “GEO”-Gruppe, Peter-Matthias Gaede, im Aufsichtsrat seines Verlages neue Weihen erhält, darf er abgeben von seiner Machtfülle.

Aber man täte Peter Heinlein Unrecht, wenn man jedem seiner Texte unterstellte, er habe ein erklärtes publizistisches Ziel. Viele sind auch einfach, sichtlich unredigiert, dahingeworfen. Ein Höhepunkt aus dem Genre “Eh-Egal” findet sich in Heinleins heutiger Bild.de-Kolumne:

Das immer beliebter werdende digitale Aufzeichnen mit automatischem Herausschneiden der Fernsehreklame hat TV-Werber in den USA auf neue Ideen gebracht. Dort gibt’s nämlich schon Fernsehen im Supermarkt. In den Läden der “Wal-Mart”-Kette zum Beispiel, wo sich Leute beim Einkaufen im Schnitt eine Stunde aufhalten. Dort werden sie jetzt zunehmend mit TV-Werbung berieselt. Ausschalten geht nicht, pinkeln auch nicht. Die Werbeerinnerung dort ist mit 56 Prozent deutlich höher als beim Zuhause Gucken (21 Prozent), ergab eine US-Studie.

Nach “Ford Unilever” und “Gilette” will jetzt auch die US-Navy diesen Kanal nutzen und für ihr PC-Spiel “Call of Duty” werben.

Offenbar hat Heinlein diesen Artikel aus der amerikanischen Fachzeitschrift “Brandweek” zum Thema gelesen. Oder besser: flüchtig überflogen. Denn mal abgesehen davon, dass Ford und Unilever zwei verschiedene Unternehmen sind, dass sich Gillette mit Doppel-L schreibt und es vielleicht wichtig gewesen wäre, darauf hinzuweisen, dass die “US-Studie” mit den für das Wal-Mart-Fernsehprogramm so vorteilhaften Ergebnissen von dem Produzenten des Wal-Mart-Fernsehprogramms erstellt wurde… also, mal abgesehen davon ist das PC-Spiel “Call of Duty” natürlich nicht von der US-Navy. Die “Brandweek” hatte nur darauf hingewiesen, dass jugendliche Käufer dieses Kriegsspiels doch die perfekte Zielgruppe wären für die eigene Werbung der US-Navy im Ladenfernsehen (bei GameStop übrigens, nicht Wal-Mart).

Da muss man schon sehr schludrig arbeiten, um all das, wie Heinlein, misszuverstehen. Aber es geht in diesem Fall ja auch nicht um “Bild”, die Axel-Springer-AG oder ihre Konkurrenten.

Nachtrag, 22. November: Bild.de hat die Wal-Mart-Meldung aus Heinleins Kolumne ersatz-, wort- und restlos gelöscht.

Asini!

Fast halbseitig berichtet “Bild” über die “Archäologie-Sensation! Höhle von Romulus und Remus entdeckt”.

Rom - Es ist eine der berühmtesten Sagen der Menschheit: Eine Wölfin säugt in einer Höhle Remus und seinen Zwillingsbruder Romulus - den Gründer von Rom (735 v. Christus).

Es ist auch eine der berühmtesten Eselsbrücken der deutschen Sprache. Und jetzt alle im Chor:

Siebenfünfdrei

Und vielleicht noch ein Hinweis in eigener Sache: “lupa” ist nicht, wie “Bild” dann noch schreibt, “die lateinische Bezeichnung für Wölfe”, sondern für die Wölfin.

(Und asini ist die Mehrzahl von asinus.)

Vielen Dank an “fufofa” für den Hinweis!

Nachtrag, 11.47 Uhr. Bild.de ist schnell über die Eselsbrücke gegangen.

Nachtrag, 22.11.2007: Auch die gedruckte “Bild” hat sich über die Eselsbrücke gewagt und in der “Korrekturspalte” sowohl die falsche Jahreszahl als auch die falsche lupa-Übersetzung berichtigt.

6 vor 9

Im freien Sündenfall
(sueddeutsche.de, Andrian Kreye)
Seit 20 Jahren verändert sich die Kriegsberichterstattung – es ist nicht nur gefährlicher geworden. Es gibt auch kein Gut, kein Böse und keine Neutralität mehr, wie unser Autor als Kriegsreporter selbst erfahren hat.

“Das ist doch kein Krieg”
(tagesspiegel.de, Knut Krohn)
Adam Michnik, Gründer der liberalen “Gazeta Wyborcza“, über deutsch-polnische Medienhysterien.

Stefan Aust (und Oliver Gehrs)
(vanityfair.de, Rainald Götz)
“Das hat das Videobloggenre nämlich so an sich, totale Selbstentblößung der Gesamtperson. Ach so!, das ist also dieser Oliver Gehrs, den man als Autor irgendwie interessant gefunden hatte, jetzt sieht man ihn hier dreißig Sekunden und weiß sofort zumindest so viel über ihn, dass man ihn nie mehr richtig ernst nehmen kann. Als Kritiker, als Brain, als Argument, er ist halt so ein Mitteboy, einer mehr, quite sweet, im Kern aber genau so wie seine eigene Zeitschrift Dummy: schaut ganz gut aus, Punkt.”

Verlorene Generation
(ejo.ch, Marlis Prinzing)
Die Tageszeitung gilt als Auslaufmodell. Die jungen Leser werden über die Zukunft entscheiden.

Image-Probleme bei Informatikern
(sf.tv, Video, 4:27 Minuten)
Informatiker gesucht – Seit Jahren sinken die Studierendenzahlen der Informatik. Eine Strassenumfrage zeigt, dass das Image des unsozialen, lichtscheuen und schlecht gekleideten Computer-Nerds nach wie vor in den Köpfen herumschwirrt. Die Branche will nun reagieren und das Image aufpolieren.

Sag was, Jo!
(999blogs.de/clapclub)
Kennen Sie den Herrn Groebel?