Archiv für Januar, 2007

Ein großer Brocken für Hartz

Natürlich kann man sich, wie “Bild”, darüber aufregen, dass Peter Hartz 25.000 Euro Rente im Monat bezieht.

Man kann sich sogar, wie “Bild”, so sehr darüber aufregen, dass man die 25.000 Euro den Lesern gleich zweimal innerhalb von zehn Tagen als Neuigkeit verkauft.

Man kann aber nicht, wie “Bild”, vor lauter Wut auch noch behaupten, Peter Hartz werde “nie mehr finanzielle Sorgen” haben. Hartz muss nämlich nicht nur 576.000 Euro Geldstrafe zahlen. Eine Versicherung, die die durch Hartz verursachten Kosten für VW übernommen hat, hat angekündigt, ihn auch für die Schadenssumme in Höhe von 2,6 Millionen Euro in Regress zu nehmen. Hätte sie damit Erfolg, kämen schlimmstensfalls Kosten von weit über 3 Millionen Euro auf Hartz zu. Der ehemalige Manager hat sein Vermögen vor Gericht mit 2,7 Millionen Euro angegeben.

Auch “Bild” nennt diese Fakten. Während aber zum Beispiel das “Handelsblatt” daraus sogar folgert, “Ihm droht der finanzielle Ruin”, schließt “Bild”, Hartz müsse sich “finanziell keine Sorgen machen”. Vielleicht meint “Bild”, die “Bild”-Leser könnten sich sonst einfach nicht genug ärgern.

Norbert “Röntgenbrille” Körzdörfer

Norbert Körzdörfer, seit kurzem Universalkolumnist bei “Bild”, scheint nach wie vor mit seinem neuen Job als Klatschonkel und Fotobetexter zu fremdeln. Heute schreibt er über Katie Holmes und Victoria Beckham:

Kate & Victoria (bauchfrei) kamen zu seiner Boutique-Eröffnung in der Avenue Montaigne.

Und wenn wir uns das so ansehen

…könnte es höchstens sein, dass er meinte, Victoria Beckham sei ohne Bauch gekommen. Das tut sie aber schon länger.

Danke an Katharina L.!

6 vor 9

Wie viel Weisheit steckt im Web 2.0?
(faz.net, Jochen Reinecke und Ulf von Rauchhaupt)
Dies ist der dritte Versuch von FAZ.NET, Online- und Printproduktion miteinander zu verbinden. Bitte kommentieren Sie diesen Beitrag und schreiben Sie auf diese Weise an ihm mit. In der kommenden Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wird dieser Beitrag in einer ausführlichen, ergänzten Version erscheinen.

Die guten Ideen der letzten Jahre im Netz (Flickr, You Tube, Last FM, Craigslist usw.)…
(don.antville.org)
… sind alle aus der Idee entstanden, dass man selber gerne etwas hätte, was aber nicht angeboten wird. Es gab keinen guten Bilder- oder Videohostingservice, es gab kein selbstbestimmtes Radio, keine Kleinanzeigen. Jemand hat sich darüber geärgert und sich gedacht – dann mache ich es eben selber.

Digitale Graphologie
(telepolis.de, Matthias Gräbner)
Zeige mir, wie du tippst, und ich sage dir, wer du bist: Unbewusste Gewohnheiten verraten, wer gerade Tastatur oder Maus benutzt.

Die Blogger erobern Davos
(stern.de, Florian Güßgen)
Blogger erobern das elitäre “Weltwirtschaftsforum” in Davos: Erstmals gibt es eine Seite, die Infos über die Debatten mit Vor-Ort-Berichten namhafter Blogger und Vlogger und allen Spielarten von “Youtube” und “Second Life” verknüpft.

Günther Jauch
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Andreas Bernard)
Die Kunst des Fernsehmoderators Günther Jauch besteht in seiner unvergleichlichen Elastizität.

TagiMagi vorher – TagiMagi nachher
(infamy.antville.org)
So hätte das Titelbild des Magazins zum Thema Atheismus ausgesehen, wenn die Verantwortlichen nicht im letzten Moment, nach vorheriger Zusage (oder?), einen unvorhersehbaren Rückzieher gemacht hätten.

Wie “Bild” eine Vorverurteilung wieder gutmacht

Dass eine Überschrift “Das ist der Rotkohl-Killer. Er hat das Baby seiner Freundin zu Tode gefüttert” über dem unverfremdeten Foto eines nicht verurteilten Menschen eine unzulässige Vorverurteilung darstellt, findet sogar der Presserat. Er hat auf unseren Antrag hin daher eine “Missbilligung” ausgesprochen. Im Nachhinein hatte sich sogar der ganze Tathergang, den “Bild” am 14. Januar 2006 minutiös als Tatsache beschrieben hatte, als falsch herausgestellt.

Interessanter als der Beschluss des Beschwerdeausschusses (eine Missbilligung ist zwar Ausdruck eines “schwerwiegenden” Verstoßes gegen den Pressekodex, aber für die betroffene Zeitung folgenlos*) ist die Argumentation der Rechtsabteilung der Axel Springer AG in dieser Sache. Sie erklärte, das Verfahren sei “wegen Wiedergutmachung … für beendet zu erklären”. Die “Wiedergutmachung” habe darin bestanden, dass “Bild” am 3. November 2006 einen Artikel veröffentlichte, in dem es hieß:

“Das Kind starb wegen eines ausgesetzten Schluckreflexes aufgrund des Schüttelns — nicht wie BILD im Januar berichtet hatte, weil Markus V. es mit Rotkohl gefüttert hatte. BILD hatte Markus V. damit zu einem Zeitpunkt zum Täter gemacht, als das Gericht seine Schuld noch nicht festgestellt hatte.”

Das sind für “Bild” ungewöhnliche Formulierungen. Und anzunehmen, dass diese Offenheit etwas mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits laufenden Presserats-Verfahren zu tun hat, ist natürlich reine Spekulation.

Tatsächlich scheint die vermeintliche “Wiedergutmachung” in einigen “Bild”-Ausgaben erschienen zu sein (z.B. in Hamburg). In der Regionalausgabe Berlin-Brandenburg aber haben wir sie weder am 3. noch am 4. November 2006 gefunden — obwohl auch hier zehn Monate zuvor der falsche und vorverurteilende, fast halbseitige Artikel veröffentlicht wurde. Auf unsere Frage, ob die “Wiedergutmachung” in Berlin-Brandenburg nicht erschienen sei, teilte uns “Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich mit, da könne er uns “leider nicht weiterhelfen”.

Wie auch immer: Der Presserat sah in diesem “Versuch einer Korrekturmeldung” keine “Wiedergutmachung”.

*) Es besteht nach der Beschwerdeordnung des Presserates “zwar keine Pflicht, Missbilligungen in den betroffenen Publikationsorganen abzudrucken. Als Ausdruck fairer Berichterstattung empfiehlt der Beschwerdeausschuss jedoch eine solche redaktionelle Entscheidung”. Die “Bild”-Zeitung verzichtet in der Regel auf diesen Ausdruck fairer Berichterstattung.

Allgemein  

Raum-Zeit- und Wahrheits-Kontinuum gestört

Bohlen plötzlich ganz lieb!

Nach dem Wirbel um seine Hammer-Sprüche bei “Deutschland sucht den Superstar” und dem drohenden TV-Verbot (BILD berichtete) ist der Pop-Titan plötzlich lieb!

So steht es heute in “Bild”.

Und wenn das stimmen würde, hätte Bohlen den Titel “Titan” wahrlich verdient. Es würde nämlich bedeuten, dass der Musikproduzent auf die Debatte über die Härte seiner Sprüche, die Ende Januar 2007 geführt wurde, schon ein Vierteljahr vorher reagiert hätte. Die Ausschnitte der RTL-Sendung von gestern wurden nämlich am 3. Oktober 2006 in Stuttgart und am 6., 7. und 8. November 2006 in Köln aufgenommen.

Es scheint sich bei der Bohlen umgebenden Störung des Raum-Zeit-Kontinuums doch um ein dauerhaftes Phänomen zu handeln.

Andererseits täte man “Bild” unrecht, wenn man behauptete, dass an dem Artikel nur der vermutete zeitliche Ablauf Nonsens sei (der immerhin an einer Stelle mit der Frage relativiert wird: “Wird Bohlen jetzt von RTL zensiert?”). Der Artikel ist nämlich vollständig Unfug — wie ein heute veröffentlichter Artikel von Bild.de, der sich auf dieselbe Sendung bezieht, eindrucksvoll beweist:

Pop-Titan Dieter Bohlen stand seinem Jury-Kollegen in punkto miese-fiese Sprüche in nichts nach. Kleine Kostprobe: “Du steht wie eine Rolle Drops da und singst wie ein verklemmter Furz.” (…)

“Du musst auch mal in den Spiegel gucken zu Hause. Das sieht so aus, als wenn da ein seltsames Tier gestorben ist in deinem Gesicht.”

Die Sammlung “Bohlens neue Hammer-Sprüche” steht bei Bild.de unmittelbar über dem Link zum Artikel “Dieter Bohlen plötzlich ganz lieb”. So ist das im Hause “Bild”: Im Zweifelsfall ist immer auch das Gegenteil richtig.

Danke an Sebastian K. und Marcel!

Kurz korrigiert (311)

Bild.de berichtet über Brunei, dessen Sultan und seinen Range Rover:

So schickt allein Royce Rolls pro Jahr 40 bis 50 Limousinen in den Wüstenstaat. (…) Obwohl Baujahr 1994, ist der Rover gerade mal 22 000 Kilometer durch die Dünen gerollt.
(Hervorhebung von uns.)

Und wir können zwar nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen, dass es an Bruneis Küste irgendwo die ein oder andere Düne geben könnte, der Begriff “Wüstenstaat” erscheint uns aber definitiv etwas fehl am Platz — wenn man bedenkt, dass in Brunei tropisch feuchtheißes Klima herrscht, die durchschnittliche Luftfeuchtigkeit über 80 Prozent liegt und rund 84 Prozent von Brunei mit Regenwald bedeckt sind.

Mit Dank an batihu für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 15.56 Uhr: Eine kurze Anfrage im “Reise-Ressort” von Bild.de wäre übrigens hilfreich gewesen. Dort weiß man nämlich:

Brunei? Bitte, wo liegt das denn? Nein, es liegt nicht in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das kleine Königreich befindet sich auf der Insel Borneo (…). Dieser Mini-Staat besitzt (…) einen Regenwald noch unberührter als in Brasilien.

Mit Dank an Constantin M.

Nachtrag, 17.18 Uhr: Der Geographie-Beauftragte von Bild.de hat aus dem “Wüstenstaat” inzwischen einen “Kleinstaat in Asien” gemacht. Der Auto-Experte hingegen scheint heute Spätdienst zu haben.

Jedenfalls tot

Schon länger haben wir den Verdacht, dass die Menschen, die bei “Bild” die Schlagzeilen machen, die Artikel, über denen sie stehen, nicht kennen.

Danke an Michael T. für den sachdienlichen Hinweis.

6 vor 9

AN: PR-Frau, oder ne, doch AN: Alle
(rebellmarkt.blogger.de)
Auch im IT-Bereich hat man als Chefredakteur Probleme mit der Email. Deren Tücken ist es zu verdanken, dass ich dieses erstklassige Beispiel journalistischer Unbestechlichkeit erhalten habe.

Leider nein
(weltwoche.ch, Mark van Huisseling)
Mark van Huisseling war Juror bei «Superstar», einem Schweizer TV-Wettsingen, und hat ein paar Dinge gelernt. Hier korrigiert er sechs populäre Irrtümer über Castingshows.

So dünn wie noch nie
(werbewoche.ch, Nick Lüthi)
Die Weltwoche leidet an Magersucht. Seit Jahresbeginn hat das Blatt bis zu einem Viertel abgespeckt. Nichts Aussergewöhnliches, findet Verleger und Chefredaktor Roger Köppel.

Nur wer aus der Provinz kommt, erkennt die Welt
(sueddeutsche.de, Andrian Kreye)
Kein Geld für lange Sätze, aber den Kopf voller Bildung: Ein Nachruf auf den polnischen Schriftsteller und Reporter Ryszard Kapuscinski.

Nachrichten nicht nur für Avatare (+)
(welt.de, Ulrike Langer)
In “Second Life”, der so genannten zweiten Welt im Internet, werden immer mehr Geschäfte gemacht, die auch für die erste Welt interessant sind: Medien entdecken die neuen Märkte und Zielgruppen. Mit dabei sind unter anderem Reuters, Cnet und der Axel-Springer-Verlag.

Interview with Arianna Huffington in Davos
(secondlife.reuters.com, Quicktime-Video)
Ein Gespräch zwischen Avataren: Adam Reuters spricht im SL-Reuters-Auditorium mit Arianna Huffington, Gründerin der Huffington Post.

Zu spät

Nachdem bekannt wurde, dass der Fußballspieler Ivan Klasnic eine neue Niere bekommt, teilt sein Anwalt heute “klarstellend” mit,

dass es sich vorliegend um eine Lebendspende aus dem persönlichen Umfeld meines Mandanten handelt. Der Spender hat sich aus persönlicher, enger Verbindung zu Ivan Klasnic zur Spende entschlossen. (…) Wir bitten aber um Verständnis, dass aus Gründen des Schutzes auch des Spenders dessen Namen ungenannt bleiben soll.

Die Bitte kommt leider zu spät. In fast dreieinhalb Millionen Exemplaren von Europas größter Tageszeitung heißt es heute:

"Nach BILD-Informationen ist Klasnic-XXXX XXX (XX), XXXXXX in XXXX, der Spender.
*) Verwandschaftsgrad, Name, Alter, Beruf und Wohnort des Spenders
    wurden von uns unkenntlich gemacht.

Mit Dank an Sebastian P. für den Hinweis.

Nachtrag, 25.1.2007 (mit Dank an Simon und Michael): Medienberichten zufolge bezeichnet Klasnics Anwalt die “Bild”-Enthüllung übrigens als “definitiv unrichtig”.

Nachtrag, 29.1.2007: Als wäre nichts gewesen, berichtet “Bild” heute unter Berufung auf eine kroatische Tageszeitung, “die neue Niere (…) stammt von seiner Mutter” — eine Behauptung, die Klasnics Anwalt inzwischen bestätigt.

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