Archiv für Dezember 21st, 2006

“Bild” lässt Krankenkassen-Beiträge explodieren

Dirk Hoeren ist bei “Bild” ein vielbeschäftigter Mann. Am selben Tag, an dem er mit einem großen Interview seine Falschmeldung von letzter Woche wiedergutmachen muss, schreibt er (zusammen mit einer Kollegin) schon wieder einen neuen “Bild”-Aufmacher, an dessen Fehlern er sich die nächsten Tage abarbeiten kann.

Dieser “Schock” ist vielleicht für Menschen, die sich auch aus anderen Quellen als die “Bild”-Zeitung informieren, nicht gar so groß. Denn die Erhöhung der Beitragssätze der Krankenkassen zeichnete sich schon ab. Am 15. Dezember titelte die “Financial Times Deutschland”:

Krankenkassen wollen Beiträge stark erhöhen

Die Spitzenverbände hätten eine Erhöhung um 0,7 Prozentpunkte angekündigt, schrieb die “FTD”. Das “kostet Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen knapp 7 Mrd. Euro”.

Eine knappe Woche später hat die Schock-Welle endlich die “Bild”-Zeitung erreicht, und sie staunt auf der Seite 1:

Bis zu 7 Milliarden Euro kassieren [die gesetzlichen Kassen] 2007 von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mehr ab.

Nun wäre Dirk Hoeren aber nicht Dirk Hoeren, wenn seine Artikel nur spät wären und nicht auch fehlerhaft. Er schreibt:

Die höchsten Steigerungen haben die Versicherten der AOK Rheinland zu tragen: (…).

Es gibt keine “AOK Rheinland”. Es gibt nur eine AOK Rheinland/Hamburg, aber deren Beitrags-Steigerung (0,9 Prozentpunkte) ist nicht die höchste. Vermutlich meint “Bild” die AOK Rheinland-Pfalz (1,3 Prozentpunkte).

Nun wäre Dirk Hoeren aber nicht Dirk Hoeren, wenn seine Artikel nur spät und fehlerhaft wären und nicht auch grob irreführend. Er schreibt über die Erhöhung vieler Allgemeiner Ortskrankenkassen (AOK):

Damit liegen die Beiträge dann teilweise schon über 16 Prozent. Absoluter Rekord! Trauriger Spitzenreiter ist die AOK Saarland mit 16,7 Prozent.

Das ist erstaunlich. Denn die Nachrichtenagenturen berichteten gestern übereinstimmend von deutlich niedrigeren Sätzen. Den neuen Beitragssatz der AOK Saarland zum Beispiel gaben sie mit 15,8 Prozent an.

“Bild” hat einfach auf alle Beitragssätze 0,9 Prozentpunkte aufgeschlagen. Das ist der Sonderbeitrag, den die Arbeitnehmer zusätzlich zum Regelsatz bezahlen müssen, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch zahlen. Die höhere Zahl gilt zwar eigentlich nicht als “allgemeiner Beitragssatz”; sie zu nennen wäre aber nicht falsch — würde “Bild” nur einmal erklären, dass ihre Zahlen eben inklusive dieses Sonderbeitrags gemeint sind, und nicht mehrmals den Eindruck erwecken, die Arbeitgeber müssten den gleichen Satz zahlen.

Vollends unzulässig wird die Rechnung aber an der Stelle, an der “Bild” die so erhöhten Beitragssätze mit dem Beitragssatz vergleicht, den Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt einmal als Ziel ausgegeben hatte. Auf die von Schmidt genannten “12,15 Prozent” hat “Bild” nämlich “vergessen”, ebenfalls die 0,9 Prozentpunkte aufzuschlagen — um die Diskrepanz zwischen Ziel und Realität noch größer wirken zu lassen als sie ohnehin schon ist.

Danke an Daniel K.!

Und wie ist Ihr Eindruck?

Vor einer Woche hatte “Bild” den ehemalige Finanzminister Hans Eichel als “Gier-Eichel” bezeichnet und berichtet, er wolle “7000 Euro mehr Pension!” Eichel hatte dieser Darstellung umgehend in einer Pressemitteilung widersprochen und “Bild” “presserechtliche Schritte” angedroht. Einen Tag darauf verklärte “Bild” dann ihren Fehler als “Riesen-Wirbel” (wir berichteten) und bemühte sich am darauffolgenden Samstag noch einmal, “das Chaos um die Minister-Pensionen” zu erklären. “Bild” schrieb:

Schuld an dem Pensions-Chaos sind die komplizierten Gesetze in Deutschland!

Heute nun kommt Eichel selbst zu Wort und “erklärt im BILD-Interview seine Klagen auf höhere Versorgung”:

"Herr Eichel, warum wollen Sie mehr Pension haben?"

Presserechtliche Schritte hat “Bild” jetzt nicht mehr zu befürchten. In einer Pressemitteilung, die Eichel heute herausgegeben hat, heißt es nämlich unter der Überschrift “Bild bedauert und zahlt”:

Bild hat auch die Anwaltskosten übernommen, die Eichel im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung entstanden sind.

“Bild” hat also eingesehen, dass sie mit ihrer Berichterstattung über die “7000 Euro mehr Pension” voll daneben lag. Allerdings traut “Bild” sich offenbar trotzdem nicht, das auch ihren Lesern mitzuteilen. “Bild” leitet das heutige Eichel-Interview nämlich so ein:

BILD bedauert, dass durch den Bericht ein falscher Eindruck entstehen konnte und sprach über die Pensionsklagen mit Hans Eichel.

Für Eichel mag das damit erledigt sein. Unsinn ist es aber trotzdem. Der falsche Eindruck “konnte” nicht entstehen, er musste entstehen:

"Eichel will 7000 Euro mehr Pension!"

Kurz korrigiert (302)

Anthony Hopkins: Ehefrau dachte, er wollte sie fressenUnd wenn man, wie die Mitarbeiter der Bild.de-Rubrik “Internet-Klatsch”, ohnehin den ganzen Tag aus kleinen Dingen große Geschichten macht, wird aus einer “kurzen Beziehung” zwischen Martha Stewart und Anthony Hopkins auf der Homepage schnell mal eine Ehe.

Danke an Katrin S., Alexander B., Marco S. und Jörg F.!

Nachtrag, 19.40 Uhr. Aus der “Ehefrau” wurde inzwischen die “Freundin”.

6 vor 9

Diese Macht ist mit uns
(Tagesspiegel Online, Jo Groebel)
Wenn Medien digital werden – was bedeutet das für die Nutzer? Sieben Thesen zur gemeinsamen Zukunft von Mensch und Maschine.

Wo Diekmann Kapitän ist
(jungle-world, Thomas Blum)
Nichts gegen Orgien, solange kein Bild-Reporter dabei fotografiert. Gerhard Henschels kluge Kritik des größten Boulevardblatts Europas.
(Bezieht sich auf das Buch “Gossenreport. Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung“)

Zeit über Gebühr verbringen
(Neues Deutschland, Rainer Braun)
Das Fernsehjahr 2006 nähert sich dem Ende – was hat es gebracht?

Unsittlich? Aber immer!
(FR online, Tilman P. Gangloff)
Die hunderste Ausgabe des deutschen MAD erscheint.

Frequenzauktion: Der Hammer ist gefallen – Kommentar
(Readers Edition, Georg Erber)
Die Auktion für die 3,5 GHz – die so genannten WiMax-Frequenzen – ist zu Ende.

«Vieles deutet auf eine Katastrophe hin»
(Weltwoche.ch, Mathias Plüss)
Sie fürchten um den Schiefen Turm von Pisa, prognostizieren den Super-Gau oder auch bloss die Wanderung ihrer Seele: Wie Frauen die Zukunft sehen.
(Die Weltwoche hat zu Weihnachten wieder eine “Interview-Sonderausgabe” gemacht.)