Archiv für Mai 18th, 2006

Bild.de gibt wertlosen Tipp

Eigentlich wollte Bild.de “zusammen mit dem Arbeitsrechtsexperten und Buchautor (‘Kündigungsschutz für Arbeitnehmer’) Otto Bretzinger wertvolle Tips” geben, wie man sich gegen eine Kündigung wehren könne. Anders als Bild.de behauptet, ist es aber gar kein wertvoller Tipp, wenn Bild.de Bretzinger folgendermaßen zitiert:

So mag das wohl früher mal gewesen sein. Aber seit der Änderung des Paragraphen 37b des Sozialgesetzbuches III, die am 31.12.2005 in Kraft getreten ist, muss der Arbeitnehmer sich “innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes” seines Arbeitsverhältnisses bei der Arbeitsagentur als arbeitssuchend melden.

Aber vielleicht kann man Bretzinger diesen überholten Tipp gar nicht vorwerfen. Das Buch, “Kündigungsschutz für Arbeitnehmer”, das auf Bild.de abgebildet ist und über das Bild.de behauptet, Bretzinger hätte es geschrieben, ist jedenfalls von Wolfgang Däubler.

Mit Dank an Michael S. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 19.5.: Bild.de hat den Artikel noch einmal überarbeitet. So ist die Behauptung, Bretzinger habe das Buch “Kündigungsschutz für Arbeitnehmer” geschrieben, aus dem Text verschwunden. Und aus den “drei bis sieben Kalendertagen” in Bretzingers Tipp sind “drei Kalendertage” geworden. Das ist allerdings noch immer irreführend. Das Gesetz spricht nämlich nicht von “Kalendertagen”, sondern lediglich von “Tagen” und meint damit wohl Werktage der Agentur für Arbeit — was übrigens, in Einzelfällen, bspw. zu Ostern, durchaus mal auf sieben Kalendertage hinauslaufen kann.

Nachtrag, 19.5., 15.25 Uhr: Bild.de hat Bretzingers Tipp noch einmal überarbeitet und aus den “drei Kalendertagen”, so wie es im Gesetz steht, “drei Tage” gemacht.

Nachtrag, 22.5.: Mittlerweile haben wir Antwort von der Bundesagentur für Arbeit erhalten und wollen deshalb noch einmal klar stellen, dass es sich bei der 3-Tages-Frist in Paragraph 37b SGB III nicht, wie von uns zunächst gemutmaßt, um eine schlichte Frist von drei Werktagen handelt. Die Berechnung ist tatsächlich etwas komplizierter und folgt den Paragraphen 186-193 BGB. Demnach beginnt sie am Tag nach Kenntnis der Kündigung (187 Absatz 1) und endet mit Ablauf des letzten (hier: dritten) Tages der Frist (188 Absatz 1). Fällt dieser letzte Fristtag nun auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag, dann endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags (193 BGB). Nur damit das klar ist.

Wahrheitsgehalt im Promillebereich

Am 24. August 2005 stand (nur zur Erinnerung) folgende Exklusivmeldung in “Bild”:

"EU schafft Deutsch ab (...) Die EU-Kommission hat die Übersetzung von Dokumenten ins Deutsche gestoppt. (...)"

Heute nun steht in “Bild” wieder eine Exklusivmeldung zur EU-Kommission, diesmal sogar auf der Titelseite:

"EU-Kommission plant Alkohol erst ab 18!"

Ohne Quellenangabe heißt es weiter:

“Die EU-Kommission schlägt jetzt vor, das Mindestalter für den Kauf von Alkohol von 16 auf 18 Jahre heraufzusetzen — eine entsprechende Verordnung ist in Vorbereitung!”

Schlägt sie nicht, ist sie nicht. In einer aktuellen Pressemitteilung der Kommission heißt es:

“Die Europäische Kommission plant keine EU-weit gültige Altersgrenze für den Alkoholverkauf. Medienberichte, dass die EU-Kommission das Verkaufsalter für Bier und Wein von 16 auf 18 Jahre anheben will, entbehren jeglicher Grundlage. (…)”

Außerdem heißt es in einer dpa-Meldung zum Thema unter Berufung auf den EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou:

“Eine EU-weite Anhebung des Mindestalters für den Alkoholkauf von 16 auf 18 Jahre, von der die ‘Bild’-Zeitung am Donnerstag berichtete, sei aber nicht geplant.

Die Kommission wolle im Sommer Leitlinien zum Thema Alkohol und Gesundheit veröffentlichen, sagte Kyprianous Sprecher Philip Tod. Dabei handele es sich jedoch nur um Empfehlungen in Form einer so genannten Kommissionsmitteilung. ‘Bild’ hatte von einer Verordnung berichtet, die rechtlich bindend wäre. Kyprianou sehe keine Notwendigkeit für eine EU-Gesetzgebung, betonte Tod.”

In diesem Zusammenhang sei den “Bild”-Rechercheuren vor der Abfassung weiterer EU-Falschmeldungen ein Blick auf die Website eu-kommission.de empfohlen. Zum Thema “Alkohol erst ab 18!” etwa stand dort nämlich bereits im Januar:

“Was Beschränkungen für den Verkauf von Alkohol an Minderjährige angeht, so hat die EU-Kommission hier keine Kompetenzen und strebt folglich auch keine EU-weite Regelung an.”

Kurzum: Wir sind gespannt, wann und wie “Bild” ihre heutige Falschmeldung “unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtigzustellen” gedenkt, wie es der Pressekodex empfiehlt. Denn (nur zur Erinnerung) beim letzten Mal, als “Bild” falsch über die EU-Kommission berichtet hatte, sah die angemessene Richtigstellung in “Bild” so aus:

"Gegendarstellung (...) Die EU schafft Deutsch nicht ab."

Mit Dank an Oliver-Sven L. und Michael B. für die Anregungen.

Nachtrag, 17.40 Uhr: Mittlerweile habe wir auch die mutmaßliche Quelle für die mutmaßlich falschen “Bild”-Behauptungen ausfindig gemacht. So stand gestern im Handelsblatt, die EU-Kommission wolle “gegen den Alkoholmissbrauch vorgehen” und “dazu ein Bündel von Vorschlägen machen, etwa die Heraufsetzung des Mindestalters für den Verkauf von Bier und Wein auf 18 Jahre”. Und ein Sprecher der EU-Kommission sagt uns deshalb, die heutige Pressemitteilung beziehe sich durchaus auch auf den “Handelsblatt”-Artikel — in dem sich übrigens auch mehrfach das von “Bild” so fälschlich verwendete Wort Verordnung findet, allerdings, wie man vielleicht dazusagen sollte, in völlig anderem Zusammenhang (“Gestern verabschiedete das EU-Parlament eine Verordnung, welche die nährwert- und gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel stark einschränkt.”).

Erschlagzeilen

Für den Mord an der Münchner Geschäftsfrau Charlotte Böhringer hat “Bild” heute zweifellos die spektakulärste Überschrift gefunden:

Parkhaus-Millionärin im eigenen Parkhaus erschlagen

Kracher, oder? Stimmt halt nur nicht. Die Frau wurde nicht in ihrem Parkhaus erschlagen, sondern in ihrer Wohnung, die sich darüber befindet. Und das hätte “Bild” nicht nur unter anderem in der “Süddeutschen Zeitung” nachlesen können, sondern auch im eigenen Text. Dort heißt es:

Die Bluttat geschah in der Luxus-Penthousewohnung über dem fünfstöckigen Parkhaus.

(“‘Bild’-Reporter von eigener Schlagzeile erschlagen”, wäre natürlich auch eine Kracher-Schlagzeile. Und das Schöne ist, dass dafür anscheinend nicht einmal ein “Bild”-Reporter von seiner Schlagzeile erschlagen werden müsste.)

Vielen Dank an Simon K.!