Archiv für Februar 24th, 2006

“Bild” entdeckt Esel

"Entdeckt!"

Genau so steht es heute in “Bild”. Und weiter? Weiter heißt es dort, der “1. Rasta-Esel”, von dem die kleine Meldung handelt (siehe Ausriss), sei eigentlich ein Poitou-Esel, also “die (…) älteste Eselart der Welt”, was angesichts der “Entdeckt!”-Überschrift zunächst vielleicht ein wenig rätselhaft klingen mag, zumal diese Esel-Rasse laut Wikipedia doch bereits “seit dem 11. Jahrhundert bekannt” und “in Südwestfrankreich verbreitet” ist.

Ganz am Ende der “Bild”-Meldung findet sich dann aber doch noch versteckt die Auflösung der roten, rätselhaften Überschrift (siehe Ausriss).

Denn entdeckt wurde der Esel von der “Bild”-Zeitung — im Angebot irgendeiner Fotoagentur!

Mit Dank an Mike S. für Scan und Inspiration.

Wie “Bild” Bild.de korrigiert

Gestern hatte Bild.de eine Kurzmeldung aus dem Nachrichtenangebot des irischen Internet-Anbieters Ireland On-line übernommen, wonach der Schauspieler Daniel Craig bei Dreharbeiten für den “James-Bond”-Film “Casino Royal” Schwierigkeiten hatte, ein Auto mit Gangschaltung zu fahren. Bild.de behauptete:

“Der neue Agent Ihrer Majestät kann seinen High-Tech-Dienstwagen gar nicht fahren! Das meldet der irische Internet-Dienst ‘Ireland On-Line’.

James Bond voll ausgebremst — weil er nur Automatik kann (…). Statt Einfahren mit dem Aston Martin DBS gab’s für Bond deshalb erst mal ‘nen Boxenstopp.”

Um die mit allerlei Häme ausgeschmückte Meldung anschaulicher zu machen, hat Bild.de sie mit dem Foto eines Aston Martin Vanquish S (O-Ton: “ein ähnlich heißes Teil wie James Bonds neuer Flitzer”) illustriert (siehe Ausriss). Und immerhin das stimmt: In “Casino Royal” fährt James Bond u.a. ein neues Aston-Martin-Modell, den DBS, der offenbar dem Vanquish S recht ähnlich sieht.

Absurd ist die von Bild.de gewählte Bebilderung dennoch. Schließlich lässt sich das sequentielle Sechsganggetriebe eines Vanquish S nur im Tiptronic- oder Automatikmodus fahren und dürfte — wie auch der neue DBS — selbst Fahrern ohne Schaltwagen-Erfahrung kaum Schwierigkeiten bereiten.

Aber die Bild.de-Illustration ist zudem auch völlig unsinnig.

Denn die Schaltgetriebe-Schwäche des Bond-Darstellers hat rein gar nichts mit seinem “High-Tech-Dienstwagen” zu tun. Anders als Bild.de behauptet, geht es nämlich in der ursprünglichen Meldung (die auch Ireland On-Line stark verkürzt, aber korrekt wiedergab), mitnichten um den brandneuen Aston Martin DBS, sondern um ein ganz anderes Auto: den guten, alten Aston Martin DB5 (siehe Ausriss), der in den “James Bond”-Filmen “Goldfinger” (1964) und “Thunderball” (1965) sowie — als kurzes Selbstzitat — in “Morgen stirbt nie” (1997) zum Einsatz kam, aber auch im neuen “Bond” eine kleine Rolle spielen und dabei eben von Craig gefahren werden soll. Mit Schaltgetriebe. Begriffen hatte Bild.de das alles offensichtlich nicht.

Und was macht “Bild”? Druckt die korrekte Nachricht heute leicht verständlich in ihrer Seite-1-Rubrik “Verlierer” des Tages. Dort heißt es dann auch richtig, dass der Oldtimer “extra umgebaut werden” musste — was die gestrige Behauptung von Bild.de, Craig bekomme “jetzt Nachhilfe in Sachen ‘richtiges’ Autofahren” wie eine faustdicke Lüge aussehen lässt.

“Verlierer” des Tages ist laut “Bild” aber dennoch nicht Bild.de, sondern Craig.

Nachtrag, 5. März. Bild.de hat die Fehler erst noch ein bisschen verschlimmert, und dann ein bisschen korrigiert.

Computerspiele und andere Verbrechen

Marco W. hat gestanden, im vergangenen Sommer in Erfurt eine Ärztin mit ihrem Auto entführt und dann getötet zu haben. Und er hat nach Aussagen eines Freundes gerne stundenlang das Computerspiel “GTA Vice City” gespielt.

Mord mit Videospiel geübtNach Ansicht der “Bild”-Zeitung hat das eine unmittelbar mit dem anderen zu tun (siehe Ausriss). Dabei sollte der Gedanke selbst für eine “Bild”-Überschrift zu abwegig sein, dass jemand dafür “übt”, ein Opfer zu erdrosseln, indem er ein Spiel spielt, in dem Auto gefahren und geschossen wird.

Aber halt, natürlich ist nichts zu abwegig für eine “Bild”-Überschrift. Zur Diskussion um das neue Computer-Spiel “Getting Up“, in dem man einen Sprayer in der fiktiven Millionenmetropole New Radius spielt, der (auch mit Gewalt) gegen Konkurrenten, Polizisten und Aufseher kämpft, stand am Montag in “Bild” die Zeile: “Videospiel ruft auf zum Töten von Putzfrauen”. Mit der gleichen Logik könnte man titeln, dass die Lara-Croft-Spiele dazu “aufrufen”, unangemessen spärlich bekleidet frühgeschichtliche Funde zusammenzutragen und dabei auch nicht vor dem Abschlachten mythologischer Pferdemenschen zurückzuschrecken.

Danke an Fabian S., Michael H., Sven S., Paul K. — und spielkultur.net für den Scan!

Sehr geehrter Herr Haf aus Pfronten (Bayern),

Sie haben einen Leserbrief an “Bild” geschrieben, den die Zeitung heute veröffentlicht:

Zu: Warum ist unser Theater so versaut?

Je mehr Zuschüsse fließen, desto mehr kommen solche Entgleisungen vor. Da hilft nur eines: Sämtliche Mittel streichen! Man wird sich wundern, wie schnell die Theater wieder zu einem normalen Niveau zurückkehren.

Herr Haf, wir können verstehen, wie Sie zu diesem Urteil gekommen sind. Es liegt an der Zeitung, die Sie lesen und der Sie vertrauen. “Bild” schrieb gestern:

“Pinkelnde” Schauspielerinnen, abgehackte Kaninchen-Köpfe, rausgerissene Zungen: In Deutschlands Theatern geht es so eklig und brutal wie noch nie zu!

BILD zeigte gestern Fotos einer Berliner Bühnenshow, in der zwei Kaninchen mit einem Fleischerbeil der Kopf abgehackt wurde.

Was “Bild” Ihnen in diesem Artikel nicht verrät, Herr Haf, ist, dass es sich bei der Kaninchen-“Bühnenshow” nicht um ein Theaterstück handelt, sondern um eine einmalige Aktion zur Eröffnung einer Ausstellung. Sie fand auch nicht in einem Theater statt, sondern in den Räumen des Hauses Schwarzenberg, das ausdrücklich betont, keine Subventionen oder Förderungen der öffentlichen Hand zu bekommen.

“Bild” macht die Kunstaktion zum “Theater”, um sie irgendwie mit dem Theaterskandal verquirlen zu können, in den am vergangenen Donnerstag der FAZ-Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier verwickelt wurde, der “Bild” nun scheinbar als Kronzeuge dient.

“Bild” ist der Meinung, dass Bilder von geköpften Kaninchen und scheinbar urinierenden Schauspielerinnen nicht auf die Bühne gehören, sondern in die Zeitung und ins Internet, wo sie alle sehen können. Zur Illustration der angeblichen aktuellen Versautheit “unseres Theaters” griffen “Bild” und Bild.de dabei allerdings vor allem auf interessantes Archivmaterial zurück:

  • “Bild” und Bild.de zeigen ein Foto von einem Gastspiel des brasilianischen “Teatro oficina” in Berlin — das war im September 2005 und bereits Gegenstand ausführlicher Aufregung.
  • “Bild” und Bild.de zeigen ein Foto aus der Inszenierung der “Entführung aus dem Serail” von der Komischen Oper Berlin, dessen Premiere am 20. Juni 2004 war — und über die sich “Bild” ebenfalls bereits erregt hat (“alles von unseren Steuergeldern”). Gespielt wird das Stück laut Spielplan nicht mehr.*
  • “Bild” und Bild.de zeigen ein Foto von “Die Philosophie des Boudoir” — im August 2004 als Gastspiel einer katalanischen Gruppe auf “Kampnagel” in Hamburg aufgeführt.
  • Bild.de zeigt ein Foto vom Gastspiel der slowenischen Gruppe “Via Negativa” ebenfalls auf Kampnagel — dieses Gastspiel fand im Mai 2004 statt.
  • Und Bild.de zeigt — immer noch unter der Überschrift “So versaut ist unser Theater” — ein Foto der umstrittenen Kunstaktion vom vergangenen Wochenende, die, wie gesagt, gar kein Theaterstück ist.

Wir fanden, Herr Haf, das sollten Sie wissen.

Mit freundlichen Grüßen
etc.

Danke an Andy W., Thorsten W. und die anderen Hinweisgeber!

*) Nachtrag, 11 Uhr. Das Foto aus Calixto Bieitos Inszenierung der “Entführung aus dem Serail” stammt nach Angaben der Komischen Oper aus der Orchesterhauptprobe, bei der die Presse fotografieren durfte. Die Szene sei dann aber noch vor der Generalprobe geändert und so nie öffentlich aufgeführt worden.

Anders als wir geschrieben haben, sei die beim Publikum sehr erfolgreiche Inszenierung aber weiter im Spielplan.