Archiv für November 19th, 2005

Kurz korrigiert (33)

Weil Michael Ballack verletzt ist, sollte ihn beim FC Bayern heute Ali Karimi ersetzen. Aber “Bild” war von dessen Leistung enttäuscht: “Ein gleichwertiger Ersatz war er (noch) nicht.”

Kein Wunder: Karimi spielte nämlich gar nicht. Er hatte sich vor dem Spiel verletzt.

Danke an Ralph R. für den Hinweis!

Nachtrag, 21. November, 0.25 Uhr: Es hat lange gedauert, aber irgendwann gestern abend hat jemand die beiden falschen Sätze ersatzlos gestrichen.

Plötzliche sensationelle Wende

Heute testen wir einmal Ihr Überraschungsverhalten. Bitte lesen Sie folgenden Absatz und merken sich, an welchen Stellen Sie so etwas dachten wie: “Ist ja der Hammer”. Los geht’s.

Im Verfahren um verschobene Fußballspiele forderte die Staatsanwaltschaft für den Schiedsrichter Robert Hoyzer zwei Jahre Haft auf Bewährung plus 100 Sozialstunden. Doch das Landgericht Berlin verurteilte ihn zu zwei Jahren und fünf Monaten Gefängnis ohne Bewährung (a). Dabei hatte die Staatsanwaltschaft nur zwei Jahre Haft auf Bewährung plus 100 Sozialstunden gefordert (b).

Wenn Sie an Stelle (a) überrascht waren, können wir das nachvollziehen. Wenn Sie an Stelle (b) überrascht waren, sind Sie vermutlich ein unaufmerksamer Leser. Und wenn Sie an beiden Stellen überrascht waren, können Sie sich bei der “Bild”-Zeitung bewerben.

Die macht nämlich ihren Berlin-Teil heute ganz groß mit dieser Schlagzeile auf:

Staatsanwalt will Freiheit für Hoyzer!

Und schreibt im Vorspann:

NACH DEM SENSATIONS-URTEIL (29 MONATE HAFT) FORDERT PLÖTZLICH DIE BERLINER STAATSANWALTSCHAFT EINE MILDERE STRAFE FÜR DEN SKANDAL-SCHIEDSRICHTER.

Und ist am Anfang des Artikels immer noch nicht aus dem Staunen raus:

Auf das sensationelle Urteil gegen Skandal-Schiri Robert Hoyzer (26) folgt nun, am Ende des Prozesses, die sensationelle Wende.

Und wenn “Bild” noch so oft Wörter wie “plötzlich”, “sensationell” und “Wende” hinschreibt: Das ist die bekannte Nachricht von Dienstag. An jenem Tag nämlich beantragte die Anklage (wie auch “Bild” berichtete) die milde Bewährungsstrafe, und seitdem hat sich an ihrer Haltung nichts geändert.

Neu ist allein, dass die Staatsanwaltschaft nun angekündigt hat, gegen das Urteil in Revision zu gehen. Und während “Bild” über viele, viele Zeilen ergebnislos spekuliert, warum ein “Ankläger (!)” für ein milderes Urteil kämpft, haben andere Zeitungen eine Erklärung: Die Staatsanwaltschaft hat gegen das gesamte Urteil Revision eingelegt, also auch gegen das für die anderen Angeklagten. dpa schreibt:

Die Staatsanwaltschaft will insbesondere das Strafmaß für [den Mitangeklagten Dominik] Marks überprüfen lassen. Er hatte anderthalb Jahre Haft auf Bewährung bekommen, die Staatsanwaltschaft hatte dagegen zwei Jahre ohne Bewährung gefordert (…).

Und plötzlich ist alles weder überraschend, noch schwer zu verstehen. Aber wer erklärt es “Bild”?

Nachtrag, 21. November. Zur Klarstellung: Natürlich war die Staatsanwaltschaft nicht gezwungen, gegen das gesamte Urteil Revision einzulegen. Ihre Aufgabe ist aber auch eine andere, als “Bild” glaubt. Der Staatsanwalt ist nicht Gegenspieler des Verteidigers in dem Sinne, dass er eine besonders hohe Strafe fordern soll. Nach der Strafprozessordnung muss die Staatsanwaltschaft auch entlastendes Material ermitteln. Es ist also ausdrücklich vorgesehen, dass die Staatsanwaltschaft zu Gunsten eines Angeklagten in Revision gehen kann. Anders als in den USA ist die Staatsanwaltschaft in Deutschland eine unparteiische Institution. Sie wird auch “objektivste Behörde der Welt” genannt.

Danke für die Nachhilfe an Joachim M. und Christian S.!

Kinder, Tiere und Hitler

In ihrer Donnerstagsausgabe berichtete die “Bild”-Zeitung mal wieder über Hitler — und zwar so:

Im Text heißt es dazu:

“Adolf Hitler (1889 bis 1945) soll von seinem Diener erschossen worden sein. Das belegen KGB-Akten, die jetzt in England in einem neuen Buch veröffentlicht wurden.”

Und wir wissen nicht, um was für ein “neues Buch” es sich handeln könnte, das da “jetzt in England” veröffentlicht wurde (was u.a. daran liegt, dass “Bild” es bedauerlicherweise versäumt hat, dazuzuschreiben, um welches “neue Buch” es sich dabei handeln soll, was wiederum deshalb besonders bedauerlicher ist, weil sich all das, was “Bild” aufschreibt, ausdrücklich auf dieses “neue Buch” bezieht, dessen Titel “Bild” jedoch — wir erwähnten es bereits — bedauerlicherweise verschweigt).

Doch was auch immer in dem von “Bild” nicht weiter präzisierten “neuen Buch” stehen mag: Alles, was “Bild” daraus jetzt zur Frage, ob Hitler von seinem Diener erschossen wurde, abgeschrieben hat, ist spätestens, seit das ZDF in einer “Aspekte”-Sendung vom 17. Januar 2005 ausführlichst darüber berichtete, bekannt.

Mit Dank an Henning B. für den Hinweis

In Abrahams Schoß

Wir haben nicht vor, zum AutoBildBlog zu werden, aber an dieser Geschichte kommen wir nicht vorbei — insbesondere weil sie uns erneut etwas über die Relevanz der “Journalistischen Leitlinien” von Axel Springer in der Praxis verrät.

Stern-TV zeigte am vergangenen Mittwoch, wie “AutoBild” gemeinsam mit Mercedes Benz versucht hat, die Öffentlichkeit zu betrügen, um für ein neues Bremssystem zu werben. Der “AutoBild”-Redakteur Michael Specht “testete” eine S-Klasse, die ihn vor dem Zusammenstoß mit einem Auto warnen sollte, das er durch eine Nebelwand nicht sehen konnte. Unter den Versuchsbedingungen funktionierte das System allerdings nicht. Das war Mercedes Benz ebenso wie Specht auch vorher bekannt. Specht sollte aber so tun, als ob. Deshalb war vereinbart, dass er einfach bremst, sobald er ein am Boden angebrachtes Brett überfahren hat. Aus den Gesprächen, die Stern-TV aufnahm, geht hervor, dass der “AutoBild”-Mann dies schon vorher geübt hat.

Obwohl es gar kein Warnsignal gab, beschrieb der “AutoBild”-Reporter in die Kamera den “dreifachen Piepton”, der ihn zum Bremsen gebracht habe. Als er beim ersten Versuch nicht stark genug bremste und auf den anderen Wagen auffuhr, sagte er treuherzig: “Muss an mir gelegen haben, man merkt, dass das System arbeitet.” Stern-TV nahm mehrere Gespräche zwischen Specht und Mercedes-Benz-Mitarbeitern auf, in denen sie diskutierten, wie die Täuschung für die Fernsehleute aufrecht erhalten werden kann.

Kein Vertreter von “AutoBild” war bereit, hinterher ins Studio zu kommen. Erst hieß es, Chefredakteur Peter Felske habe keine Zeit, nach Köln zu kommen. Dann stand er aber auch für eine Live-Schaltung nach Hamburg nicht zur Verfügung.

Einen Teil der Fragen nach dem journalistischen Selbstverständnis von “AutoBild” beantwortet allerdings der Artikel, den Michael Specht nach dem ganzen Desaster schrieb. Er ist bereits auf dem Titel angekündigt: “AUTO BILD-Chefreporter Michael Specht wagte den Selbstversuch: Ich raste mit 55 km/h in den Nebel-Crash! Hat ihm die neue Mercedes S-Klasse dabei das Leben gerettet?”

Der Artikel selbst bezeichnet sich als “Test” und trägt die Überschrift: “Was taugen die Radaraugen von Mercedes? So bremst die S-Klasse den Nebel aus”. Specht tut so, als habe es keinen Betrugsversuch gegeben, sondern offene Bedenken:

(…) die Techniker haben Bauchschmerzen: Zahlreiche Eisenträger in den Decken und Wänden würden ebenso wie die starken Deckenfluter das Radar mit hoher Wahrscheinlichkeit fehlleiten — und folglich falsch oder gar nicht piepen. Mit fatalen Folgen.

So entschied sich Mercedes-Benz, genau in der Entfernung vor dem Hindernis einen Bremspunkt (kleines Brett auf dem Hallenboden) zu setzen, wo draußen das Radar das akustische Signal senden würde. Sobald das rechte Vorderrad der S-Klasse über dieses Brett rollt, muß ich ins Pedal treten.

Er schildert den Unfall und schwärmt von den Sicherungssystemen im Wagen (“So fühlt er sich also an: Abrahams Schoß”). Dann beschreibt er, wie er in den weiteren Versuchen rechtzeitig bremst. Das liegt zwar allein an dem am Boden montierten Brett, aber Specht urteilt trotzdem:

So langsam kriege ich volles Vertrauen in die Technik. Und bin überzeugt: Das Abstandsradar Distronic Plus ist die S-Klasse unter den Sicherheitssystemen unserer Zeit. Und womöglich die wichtigste Erfindung nach Airbag und ABS.

Das Diskussionsforum zum Thema bei autobild.de

Vielen Dank für die zahlreichen sachdienlichen Hinweise!

Nachtrag: Im Editorial der aktuellen “Auto Bild” heißt es:

(…) wenn Geld keine Rolle spielt und der Geschmack nicht dagegen spricht: S-Klasse kaufen. Am besten mit dem neuen Abstandsradar, das der aktuelle AUTO BILD-Selbstversuch (…) als Lebensretter bestätigt. Mit 55 km/h in den Nebelcrash, da gehen buchstäblich alle Alarmknöpfe an, und das vorausschauende High-Tech-Mobil steigt, wie von Geisterhand gebremst, voll in die Eisen.

Mal abgesehen davon, dass weder “buchstäblich” noch sonstwie alle Alarmknöpfe angingen: Selbst wenn die Technik wie vorgesehen funktioniert, bremst sie nicht “wie von Geisterhand”, sondern gar nicht — es sei denn, man tritt das Bremspedal.