Archiv für Oktober 25th, 2005

Bild des Jammers

Moment mal. “Bild” schafft es also nicht, auf Fotos amerikanische von deutschen Armee-Uniformen zu unterscheiden, deutsche von slowakischen Fans, einen Rosinenbomber von einer JU-52, eine deutsche Dogge von einem Dobermann, Köln von Berlin etc. etc. Und “Bild” überprüft bei angebotenen Fotos nicht, wann und wie sie entstanden sind. Aber “Bild” kann aufgrund eines einzigen Schnappschusses von einem vorbeigetragenen Yorkshire Terrier (siehe Ausriss unten) diagnostizieren, dass sein Fell stumpf ist, sein Blick müde, seine Zunge hängend, und daraus eine fast halbseitige Geschichte machen: “Große Sorge um DAISY“?

Ja, das kann “Bild”.

“Ein Bild des Jammers” habe die zwölfjährige “Hundedame” des ermordeten Rudolph Moshammer geboten. Die Foto-Unterschrift lautet:

Erwischt! Daisy hängt wie ein Schluck Wasser in der schwarzen Tasche. Müder Blick, zerzauste Haare.

Und “Bild” fragt: “Kann sie Mosi nicht vergessen?”

Wir lassen diese Frage unbeantwortet und stellen stattdessen diese: Warum nur lassen sich andere Medien wie “Focus Online” oder das “Oberbayerische Volksblatt” nicht davon abhalten, eine offensichtlich freie Improvisation auf Grundlage eines beliebigen Hundefotos mit einer Nachricht zu verwechseln und weiter zu verbreiten?

Kurz korrigiert (24)

Vielleicht wäre es besser für “Bild”, Fotos gar nicht zu beschriften und den Leser einfach raten zu lassen, was darauf zu sehen ist. Die Trefferquote könnte höher sein als bei der jetzt verwandten Zufallsmethode.

Die Menschen hier unten neben Frau Rados jedenfalls tragen keine amerikanischen Uniformen, sondern deutsche Uniformen, und sind deshalb vermutlich auch keine amerikanischen Soldaten, sondern deutsche, und fahren deshalb wohl auch nicht in einem “Panzerwagen der US-Armee”, sondern einem deutschen Dingo.

Danke an Danny H., Christian K., Harry G. und 4kris!

Nachtrag, 23.30 Uhr: Womöglich handelt es sich bei dem “Panzerwagen der US-Armee” doch nicht um einen (deutschen) Dingo, sondern um einen (ebenso deutschen) Fuchs.

Nachtrag, 26. Oktober: Letzter Vorschlag: Es ist ein (jawoll: deutscher) Spähwagen Fennek.

Danke für die Nachhilfe an Nico W. und Peter J.!

Angst vor leichten Verletzungen

Der Rennfahrer Heinz-Harald Frentzen hatte am Sonntag bei der DTM in Hockenheim einen schweren Unfall. Er wurde nach Ludwigshafen in die Klinik gebracht, wo eine leichte Gehirnerschütterung diagnostiziert wurde. Das wurde bereits am Sonntag bekannt und von “Bild” geflissentlich ignoriert. Am Montag berichtete das Blatt so:

Im Text heißt es:

Bei einer Computer-Tomografie wird eine Gehirnerschütterung der schwersten Kategorie festgestellt. Frentzen wird sofort auf die Intensivstation gebracht. Er hat außerdem schwere Prellungen und ein Schleudertrauma.

Dazu wäre, erstens, zu sagen, dass es terminologisch gar keine Gehirnerschütterung der “schwersten Kategorie” gibt (eine Gehirnerschütterung ist eine leichte Form des Schädel-Hirn-Traumas). Zweitens ist anzumerken, dass eine Gehirnerschütterung nicht per Computer-Tomographie nachweisbar ist (es lassen sich lediglich schwerere Gehirnverletzungen nachweisen und somit ausschließen). Und drittens hieß es dann gestern in einer Mitteilung der DTM:

Frentzen auf dem Weg der Besserung

Doch auch das wurde von “Bild” ignoriert. Heute steht also folgendes im Blatt:

Auffällig daran ist nicht nur, dass im Text jetzt schon von “Hirnprellungen” die Rede ist (die “Angst vor Hirnblutungen” dürfte ein Zitat des behandelnden Arztes im Handelsblatt zerstreuen), sondern auch, dass Frentzen selbst in “Bild” zitiert wird. Und zwar so:

“Ich habe noch sehr starke Kopfschmerzen. An den Unfallhergang kann ich mich nicht erinnern.”

Nicht, dass er das nicht gesagt hätte, das hat er durchaus. Allerdings klingt das vollständige Zitat, wie es sich in der bereits erwähnten Besserungs-Meldung auf der DTM-Internetseite nachlesen lässt etwas anders:

“An den Unfallhergang kann ich mich nicht erinnern”, sagt Frentzen. “Generell geht es mir gut außer, dass ich noch starke Kopfschmerzen habe. (…)”

Und eigentlich wäre die Geschichte hiermit zuende. Ist sie aber nicht. Denn erstens hat man sich bei Focus-Online dummerweise entschieden, die heutige Hirnblutungs-Geschichte aus “Bild” ungeprüft zu übernehmen. Und zweitens wusste man bei Bild.de offenbar schon gestern, dass alles halb so schlimm ist. Mit Datum vom 24. Oktober wurde nämlich diese Geschichte veröffentlicht:

Mit Dank für die zahlreichen sachdienlichen Hinweise

Allgemein  

Warum? – Darum!

Vor ein paar Wochen hatte “Bild” mal relativ viel Platz für ein paar Halbnacktfotos freigeräumt. “Doch jetzt tauchten neue Bilder auf” hatte “Bild” dazugeschrieben, obwohl die Fotos mehr als ein Jahr zuvor bereits im Fernsehen zu sehen gewesen waren, “Bild” sie sogar selbst beim Fotografen geordert hatte, und wir berichteten. Am vergangenen Sonntag nun griff “Focus TV” die Sache (am Rande eines Beitrags über Weblogs) auf und konfrontierte den stellvertretenden Chefredakteur von Europas größter Tageszeitung, Nicolaus Fest, mit unseren Recherchen.

Nur zur Erinnerung: “Bild” wird täglich über 3,8 Millionen Mal verkauft, von über 11,8 Millionen Menschen gelesen, sie ist die Hauptsäule in Deutschlands größtem Zeitungshaus, laut Springer Chef Mathias Döpfner zudem “in journalistischer Bestform” — und wir dokumentieren Nicolaus Fests “Focus TV”-Antwort auf die Sache mit den Halbnackfotos im O-Ton:

“Also uns werden ja diese Fotos auch angeboten. Wir haben schon mal solche Fälle erlebt, dass uns Fotografen Fotos angeboten haben und gesagt haben: ‘Die sind absolut aktuell, gestern geschossen’ oder so. Wir sind da auch ein bisschen natürlich auf die Informationen der Fotografen angewiesen. Und wir werden der Sache nachgehen. Aber wenn Sie Fotos angeboten bekommen und der Fotograf sagt Ihnen ‘Ham wir gestern geschossen…’ — warum sollten wir denen nicht glauben?”