Archiv für September, 2005

Evolution im Eiltempo

“Bild” macht Oskar Lafontaine heute ganz ironisch zum “Gewinner des Tages”. Ihm wurde nämlich von der “Wirtschaftswoche” der “Dodo-Preis für ökonomische Dummheit” verliehen. “Bild” schreibt:

Der “Dodo” war ein flugunfähiger, rund ein Meter großer Insel-Vogel, der wegen seiner mangelnden Lern- und Anpassungsfähigkeit ausstarb.

“Bild” hat diese Charakterisierung des Dodos zwar von der “Wirtschaftswoche” übernommen, falsch ist sie aber trotzdem. Und sie zeugt von ziemlich übersteigerten Erwartungen an die Evolution. Der Dodo, der bis zur Besiedelung seines Lebensraums keinerlei Feinde hatte, wurde nämlich ausgerottet. Er ist hungrigen Matrosen, abgeholzten Wäldern und eingeschleppten Affen, Ratten und Schweinen, zum Opfer gefallen.

So gesehen hätte die “Wirtschaftswoche” den Preis ebenso gut nach den Einwohnern Pompejis nennen können. Diesen Dummerchen ist es ja auch nicht gelungen, sich an herabfallendes Gestein, Flugasche und pyroklastische Ströme zu gewöhnen.

Mit bestem Dank für den Hinweis und die Pointe an Stefan E.

neu  

Der Schnarch-Skandal von Lübeck

Es ist der Stoff, aus dem Boulevardzeitungs-Träume sind. Ein Häftling bricht für einen Tag aus dem Gefängnis aus, klettert einfach über den Zaun, und die Aufseherin merkt nichts, weil sie ein Buch liest, aber ein anderer Häftling fotografiert alles und informiert exklusiv die “Bild”-Zeitung. Die macht daraus natürlich eine riesige Geschichte über den “Skandal-Knast von Lübeck” und den “Schnarch-Skandal in der Justizvollzugsanstalt Lübeck-Lauerhof”:

Hier haut ein Knacki ab ... und hier sitzt die Aufseherin in der Sonne

Noch schöner sind solche Knüller natürlich, wenn sie auch stimmen. Also, wenigstens ein bißchen. Wenn sich nicht hinterher herausstellt, dass der angebliche “Knacki” schon im Juli vorigen Jahres entlassen worden sei. Und dass sich die Aufseherin schon seit zweieinhalb Jahren in Altersteilzeit befinde. Und dass der abgebildete Zaun gar kein “Sicherheitszaun” (“Bild”) sei, der das Ausbrechen von Gefangenen verhindern soll, sondern nur eine harmlose Begrenzung. Und dass es für Gefangene im offenen Vollzugsbereich, um den es geht, gar keinen Sinn ergebe, über einen Zaun zu klettern, weil sie einfach durch die Tür gehen könnten. Und dass dieser Bereich mit dem Hochsicherheitsbereich, aus dem im vergangenen Jahr spektakulär der Schwerverbrecher Christian Bogner flüchtete, wie “Bild” bedeutungsvoll erwähnt, nicht das Geringste zu tun habe.

All das haben aber Recherchen der “Lübecker Nachrichten” (LN) ergeben, die in der heutigen Ausgabe der LN nachzulesen sind. Ein Sprecher des Justizministeriums wird darin mit dem schlichten Satz zitiert: “Die Bilder sind ein Fake.”

Die “Lübecker Nachrichten” gehören übrigens fast zur Hälfte zur Axel Springer AG, in der auch “Bild” erscheint. Ihr Artikel endet mit dem Satz:

Die Bild-Zeitung wollte sich dazu gestern nicht äußern.

Vielen Dank an Carsten S. für den Hinweis!

Ich weiß nix!

Nachdem die Schauspielerin Alexandra Neldel einer BILD-Mitarbeiterin ausdrücklich erklärt hatte, dass sie sich zu ihrem Privatleben nicht äußere, stand anschließend in einer “Bild”-Kolumne von Christiane “Ich weiß es!” Hoffmann unter anderem:

“Der ‘Verliebt in Berlin’-Star, bislang als Single geltend, gestand im Getümmel: ‘Ich bin verliebt!'”

Und weil das nicht stimmt, was da in der “Bild”-Kolumne von Christiane “Ich betexte Fotos!” Hoffmann stand, steht heute auf Bild.de (und voraussichtlich am kommenden Samstag auch in “Bild”) eine Gegendarstellung*.

Und dass das nicht stimmt, was da in der “Bild”-Kolumne von Christiane “Ich denk’ mir mal was aus!” Hoffmann stand, steht heute auf Bild.de (und hoffentlich am kommenden Samstag auch in “Bild”), wie gewohnt unter der Gegendarstellung. Da nämlich schreibt “die Redaktion” über Neldel:

Sie hat recht.
 
Mehr dazu hier, hier und hier.

*) Text online nicht mehr verfügbar.

Sunniten? Schiiten?

“Bild” berichtet heute auf der letzten Seite über eine Massenpanik an einer Pilgerstätte des Islam in Bagdad. Im Text heißt es:

1,5 Millionen Iraker pilgerten zur Grabmoschee des Imam Mussa al Kadim, eines sunnitischen Heiligen.

Anders als “Bild” schreibt, handelt es sich bei Mussa al Kadim (auch: Musa al Kadim, Mussa al-Kazim u.a.) aber nicht um einen sunnitischen Heiligen, sondern um den siebten Imam nach der Lehre der Imamiten oder Zwölferschiiten, also um einen schiitischen Heiligen. Die Heiligenverehrung wird zumindest von orthodoxen Sunniten sogar abgelehnt. (Und auch sonst gibt es einige Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten).

Bloß eine kleine Verwechslung, ein Flüchtigkeitsfehler? Schon möglich. Auf jeden Fall ist es aber ein Fehler, der den Verdacht nahe legt, dass “Bild” die gegenwärtigen politischen, gesellschaftlichen und religiösen Spannungen im Irak völlig Schnurz sind. Anders als anderen Zeitungen.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Peter B.

Kurz korrigiert (10)

Am 26. August 2004 passierte im Wiehltal ein Unfall. Medienberichten zufolge nannte ihn die Polizei damals den “folgenschwersten Verkehrsunfall, den es in Deutschland je gab”. Ein Tanklaster fiel auf der A4 kurz hinter der Abfahrt Gummersbach von der Wiehltalbrücke. Über 30.000 Liter Kraftstoff gingen in Flammen auf. Gestern begann der Prozess gegen den mutmaßlichen Verursacher des Unfalls. Und die prozessbegleitende Berichterstattung auch. Bild.de allerdings schrieb in der Zusammenfassung des Unfallhergangs:

Und das ist seltsam, weil die Wiehltalbrücke an ihrer höchsten Stelle doch nur 60 Meter hoch ist.

Nachtrag:
Wie der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen damals mitteilte, war der Tanklaster übrigens “etwa 10 Meter unterhalb der Brücke ausgebrannt”.

Mit Dank an Philipp N. und Stefan für die Hinweise.

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