taz: Hat Rot-Grün sich von Medien-Coups steuern lassen?
Riester: Das mit den Medien-Coups ging am Beispiel der Pflicht-Riester-Rente so: Ein Bild-Redakteur rief an, dass morgen die Bild mit der Schlagzeile “Zwangsrente Riester” aufmacht. Nur wenn ich ihm ein Exklusivinterview gäbe, würde er die für den Folgetag geplante Schlagzeile “Wann fliegt Riester?” verhindern können. Und ich blöder Hund bin auch noch darauf eingegangen! Die Schlagzeile am Tag drauf lautete: “Wutwelle rollt auf Bonn”. Das war kaum besser.
Es gibt einen ganz einfachen Weg, Steuern zu senken: Man senkt ganz einfach die Steuern. Wenn man die Einkommensteuer abschaffen würde, hätten die Menschen zum Beispiel gleich viel mehr Geld in der Tasche! Auf die gleiche Art könnten zum Beispiel auch Museen ihre Attraktivität steigern: Sie halbieren einfach die Eintrittspreise! Und wenn Privatsender endlich aufhören würden, so viel Werbung zu zeigen, hätte man viel mehr Spaß beim Filmegucken!
Und wenn Sie jetzt sagen, dass das doch Milchmädchenrechnungen sind, weil die Einnahmeausfälle jeweils an anderer Stelle wieder ausgeglichen werden müssten, dann sind Sie vermutlich kein “Bild”-Redakteur. “Bild” glaubt nämlich, dass man nur die Ökosteuer abschaffen muss, schon kostet der Sprit weniger, und alle sind glücklich.
Glauben Sie nicht, dass das so schlicht da steht? Aber ja:
Von 1,31 Euro für einen Liter Super kassiert der Staat rund 84 Cent Steuern, knapp zwei Drittel.
Würde der Ökosteueranteil (inkl. MwSt. 17,75 Cent) wegfallen, blieben ihm immer noch rund die Hälfte.
Und schwups würde Sprit 1,13 Euro kosten …
Und schwups ist der Artikel zuende, und irgendwie kommt der Gedanke nicht mehr vor, dass die über 16 Milliarden Euro, die aus der Ökosteuer jährlich in die Rentenversicherung fließen, dann ja auf eine andere Art finanziert werden müsste und zum Beispiel — schwups — der Beitrag zur Rentenversicherung deutlich stiege.
“Bild”-Autor und Hobby-Wissenschaftler Dr. Paul C. Martin formulierte in einem “Bild”-Kommentar den Gedanken leicht abgeschwächt, aber ähnlich schlicht:
Dabei müßten nur Mineralöl- und Ökosteuer ein klein wenig und vorübergehend gesenkt werden, bis das Schlimmste ausgestanden ist.
…und schon bliebe Deutschland eine Art Hungersnot erspart (Martin bezeichnet Benzin als “Grundnahrungsmittel” wie früher Brot).
So einfach ist das also. Viel einfacher als, sagen wir, über viele Tage das Thema der explodierenden Benzinpreise in “Bild” mit persönlichen und politischen Angriffen auf Jürgen Trittin zu verbinden, ohne gleichzeitig der Wahrheit Gewalt anzutun.
Am 27. August druckte “Bild” ein Interview mit“Verhör” von Trittin. Der Umweltminister sagte darin auf die Frage nach Wegen aus der Preisspirale, dass die Industrie sparsamere Autos entwickeln müsse und dass alternative Antriebe gefördert würden. Er griff die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer durch die Union an. Und den Verbrauchern empfahl er vier Möglichkeiten: sparsamere Autos fahren, mit Erdgasautos fahren, spritsparender fahren sowie “ab und zu das Auto stehen lassen”.
“Bild” kündigte das Interview “Verhör”auf der Seite 1 so an:
Zwei Tage später war dies auch die einzige Aussage, die von den Vorschlägen Trittins übrig geblieben war. Alle anderen vergaß die “Bild”-Zeitung, um (wieder auf Seite 1) ihre These von der “Wut auf Trittin” zu belegen. Angeblich waren “Millionen Autofahrer empört” über die (von “Bild” verkürzte) Aussage des Umweltministers. Immerhin 18 davon empörten sich tatsächlich in “Bild” und sagten Sätze wie: “Der soll mal seinen Dienstwagen stehen lassen.” “Bild” selbst nannte Trittins (von “Bild” verkürzte) Äußerung einen “blanken Hohn” für Pendler.
Wiederum zwei Tage später titelte “Bild” auf Seite 1: “Benzin-Wut — Und die Politiker reden Müll”. Abgebildet waren als Beleg vier Politiker mit vermeintlich indiskutablen Zitaten — ausschließlich Mitglieder der rot-grünen Koalition, sicherlich ein Zufall, da ja auch CDU/CSU die Öko-Steuer nicht abschaffen wollen.
Inzwischen schien auch “Bild” allmählich der Kraftstoff auszugehen, denn der Artikel bestand tatsächlich fast ausschließlich aus alten Zitaten. Der Schluss allerdings hielt eine Überraschung parat:
Umweltminister Jürgen Trittin, hatte erst am Samstag im BILD-Interview allen Autofahrern geraten, ab und zu das Auto stehen zu lassen. Gestern präsentierte er auf BILD-Anfrage ein Drei-Punkte-Programm.
Sind Sie auch so gespannt, welche Punkte der Umweltminister nach Tagen der “Bild”-Attacke endlich aus der Schublade zog? Richtig: Es waren inhaltlich exakt die, die er “Bild” schon vier Tage zuvor diktiert hatte, die dem Blatt aber irgendwie unterwegs abhanden gekommen waren: keine Erhöhung der Mehrwertsteuer, alternative Treibstoffe, sparsamere Autos.
Nein, auch damit ist die Geschichte noch nicht zuende. Um zu belegen, dass Trittin Wasser predigt und Wein trinkt, begleiteten ein “Bild”-Reporter und ein “Bild”-Fotograf den Grünen-Minister am Dienstag einen ganzen Tag lang (die Umstände erläutert Trittin im “Tagesspiegel”). Akribisch schrieb der Reporter am Donnerstag auf, wie viele Kilometer Trittin mit seinem Dienstwagen zurücklegte, obwohl er doch das Ab-und-zu-Stehenlassen propagierte (und “Bild” druckte reichlich Fotos beim Ein- und Aussteigen in den Wagen).
Bilanz der Trittin-Wahlkampftour für diesen Tag: rund 600 gefahrene Kilometer, davon 380 Kilometer mit der Bahn, 215 Kilometer mit der Dienstlimousine, die zuvor 220 Kilometer aus Bonn zum Bahnhof in Bielefeld anfahren mußte, um den Minister abzuholen.
Der eifrige “Bild”-Mann hätte sich die Arbeit sparen können. Denn Trittins Dienstlimousine hat keinen Tropfen Benzin verbraucht. Sie ist, wie “Bild” unauffällig in einer Klammer vermerkt, “für 3400 Euro Aufpreis auf Erdgas umgerüstet” worden. Und Trittins Vorschlag lautete ja: Entweder mal den Wagen stehen lassen oder zum Beispiel auf einen Erdgas-Wagen umsteigen. Aber das komplette Zitat hatte der “Bild”-Mann sicher gerade wieder nicht zur Hand.
“Bild” macht Oskar Lafontaine heute ganz ironisch zum “Gewinner des Tages”. Ihm wurde nämlich von der “Wirtschaftswoche” der “Dodo-Preis für ökonomische Dummheit” verliehen. “Bild” schreibt:
Der “Dodo” war ein flugunfähiger, rund ein Meter großer Insel-Vogel, der wegen seiner mangelnden Lern- und Anpassungsfähigkeit ausstarb.
“Bild” hat diese Charakterisierung des Dodos zwar von der “Wirtschaftswoche” übernommen, falsch ist sie aber trotzdem. Und sie zeugt von ziemlich übersteigerten Erwartungen an die Evolution. DerDodo, der bis zur Besiedelung seines Lebensraums keinerlei Feinde hatte, wurde nämlich ausgerottet. Er ist hungrigen Matrosen, abgeholzten Wäldern und eingeschleppten Affen, Ratten und Schweinen, zum Opfer gefallen.
So gesehen hätte die “Wirtschaftswoche” den Preis ebenso gut nach den Einwohnern Pompejis nennen können. Diesen Dummerchen ist es ja auch nicht gelungen, sich an herabfallendes Gestein, Flugasche und pyroklastische Ströme zu gewöhnen.
Mit bestem Dank für den Hinweis und die Pointe an Stefan E.
Es ist der Stoff, aus dem Boulevardzeitungs-Träume sind. Ein Häftling bricht für einen Tag aus dem Gefängnis aus, klettert einfach über den Zaun, und die Aufseherin merkt nichts, weil sie ein Buch liest, aber ein anderer Häftling fotografiert alles und informiert exklusiv die “Bild”-Zeitung. Die macht daraus natürlich eine riesige Geschichte über den “Skandal-Knast von Lübeck” und den “Schnarch-Skandal in der Justizvollzugsanstalt Lübeck-Lauerhof”:
Noch schöner sind solche Knüller natürlich, wenn sie auch stimmen. Also, wenigstens ein bißchen. Wenn sich nicht hinterher herausstellt, dass der angebliche “Knacki” schon im Juli vorigen Jahres entlassen worden sei. Und dass sich die Aufseherin schon seit zweieinhalb Jahren in Altersteilzeit befinde. Und dass der abgebildete Zaun gar kein “Sicherheitszaun” (“Bild”) sei, der das Ausbrechen von Gefangenen verhindern soll, sondern nur eine harmlose Begrenzung. Und dass es für Gefangene im offenen Vollzugsbereich, um den es geht, gar keinen Sinn ergebe, über einen Zaun zu klettern, weil sie einfach durch die Tür gehen könnten. Und dass dieser Bereich mit dem Hochsicherheitsbereich, aus dem im vergangenen Jahr spektakulär der Schwerverbrecher Christian Bogner flüchtete, wie “Bild” bedeutungsvoll erwähnt, nicht das Geringste zu tun habe.
All das haben aber Recherchen der “Lübecker Nachrichten” (LN) ergeben, die in der heutigen Ausgabe der LN nachzulesen sind. Ein Sprecher des Justizministeriums wird darin mit dem schlichten Satz zitiert: “Die Bilder sind ein Fake.”
Nachdem dieSchauspielerinAlexandraNeldel einer BILD-Mitarbeiterin ausdrücklich erklärt hatte, dass sie sich zu ihrem Privatleben nicht äußere, stand anschließend in einer “Bild”-Kolumne von Christiane “Ich weiß es!” Hoffmann unter anderem:
“Der ‘Verliebt in Berlin’-Star, bislang als Single geltend, gestand im Getümmel: ‘Ich bin verliebt!'”
Und weil das nicht stimmt, was da in der “Bild”-Kolumne von Christiane “Ich betexte Fotos!” Hoffmann stand, steht heute auf Bild.de (und voraussichtlich am kommenden Samstag auch in “Bild”) eine Gegendarstellung*.
Und dass das nicht stimmt, was da in der “Bild”-Kolumne von Christiane “Ich denk’ mir mal was aus!” Hoffmann stand, steht heute auf Bild.de (und hoffentlich am kommenden Samstag auch in “Bild”), wie gewohnt unter der Gegendarstellung. Da nämlich schreibt “die Redaktion” über Neldel:
“Bild” berichtet heute auf der letzten Seite über eine Massenpanik an einer Pilgerstätte des Islam in Bagdad. Im Text heißt es:
1,5 Millionen Iraker pilgerten zur Grabmoschee des Imam Mussa al Kadim, eines sunnitischen Heiligen.
Anders als “Bild” schreibt, handelt es sich bei Mussa al Kadim (auch: Musa al Kadim, Mussa al-Kazim u.a.) aber nicht um einen sunnitischen Heiligen, sondern um den siebten Imam nach der Lehre der Imamiten oder Zwölferschiiten, also um einen schiitischen Heiligen. Die Heiligenverehrung wird zumindest von orthodoxen Sunniten sogar abgelehnt. (Und auch sonst gibt es einige Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten).
Am 26. August 2004 passierte im Wiehltal einUnfall. Medienberichten zufolge nannte ihn die Polizei damals den “folgenschwersten Verkehrsunfall, den es in Deutschland je gab”. Ein Tanklaster fiel auf der A4 kurz hinter der Abfahrt Gummersbach von der Wiehltalbrücke. Über 30.000 Liter Kraftstoff gingen in Flammen auf. Gestern begann der Prozess gegen den mutmaßlichen Verursacher des Unfalls. Und die prozessbegleitende Berichterstattung auch. Bild.de allerdings schrieb in der Zusammenfassung des Unfallhergangs:
Und das ist seltsam, weil die Wiehltalbrücke an ihrer höchsten Stelle doch nur 60 Meter hochist.